Max Küng «Ich ein Sadist? Wie kommst du denn darauf?»

Von Bruno Bötschi

11.5.2021

«Aber das gehört zu den Ferien: Dass sie schlimm sind, noch bevor sie beginnen, denn man muss ja packen»: Max Küng.
«Aber das gehört zu den Ferien: Dass sie schlimm sind, noch bevor sie beginnen, denn man muss ja packen»: Max Küng.
Bild: Maurice Haas

«Magazin»-Kolumnist Max Küng erzählt in seinem neuen Buch von den gemeinsamen Ferien dreier Pärchen. Die Beklemmung darin ist so gross, dass «Fremde Freunde» dem Interviewer direkt auf den Magen schlug.

Von Bruno Bötschi

Dass bei dieser Geschichte etwas nicht zusammenpasst, macht bereits der Titel klar: «Fremde Freunde» heisst der neue Roman von Max Küng, der dem breiten Publikum auch als Kolumnist und Reporter beim Magazin des «Tages-Anzeigers» ein Begriff ist.

Eine wunderbare Einladung: Drei Eltern und ihre Kinder machen sechs Tage in einem Ferienhaus. Das Dolcefarniente geniessen. Und natürlich: Essen wie Gott in Frankreich.

Die Geschichte beginnt durchaus idyllisch. Doch meistens kommt es anders, als man denkt. Bald beginnt es unter der Oberfläche zu glimmen und es tun sich erste kleine Abgründe auf. Ob der Autor Ferien hasst? Und ist sein Buch wirklich als Ferienlektüre geeignet?

Man kann das Max Küng alles fragen. Er ist zu einem Gespräch über seinen neuen Roman bereit. Wir beginnen ein «Back & Forth», einen elektronischen Dialog, bei dem Fragen und Antworten hin- und hergeschickt werden.

Max Küng, ich habe gestern Abend deinen neuen Roman ‹Fremde Freunde›fertig gelesen und frage mich nun: Hasst du Ferien?

Nein, niemand kann die Ferien hassen, denn wir alle brauchen sie. Aber sagen wir es so: Die Ferien sind eine nicht unproblematische Zeit.

Wieso denn das?

Weil sie so rar sind, verglichen mit der Zeit, die wir im Hamsterrad Alltag verbringen. Da herrscht ein enormer Druck. Zudem kosten sie immer auch eine schöne Stange Geld. Ferien müssen einfach gelingen, auf Teufel komm raus! Gerade deshalb ist die Absturzgefahr gross. Zudem kann man sich in den Ferien nicht wie im Alltag im Büro verstecken, sondern verbringt die ganze Zeit mit seinem Mann, seiner Frau. Und wenn dann noch der Alkohol als Enthemmungswaffe dazukommt ... all dies ist eine explosive Mischung.

In deiner Geschichte sind Jacqueline, Jean und die beiden anderen Familien kaum in ihrem Ferienhaus in Frankreich angekommen, da verdreht bereits jemand zum ersten Mal die Augen und die Stimmung sinkt gegen den Gefrierpunkt, obwohl nicht Winter ist.

Nein, es ist Herbst. Eine wunderbare Zeit, um Ferien in Frankreich zu machen, sich die Bäuche vollzuschlagen und Rotwein zu süffeln und Äpfel im romantischen Obstgarten zu ernten, um daraus Jus de Pomme pressen zu lassen. Das haben sie ja auch vor. Aber leider kennen sich die Gäste im Ferienhaus nicht so gut. Oder besser gesagt: Sie kennen sich noch nicht so gut. Sie lernen sich gerade kennen ... und wir dürfen dabei zusehen.

«Ferien müssen einfach gelingen, auf Teufel komm raus! Was soll man denn sonst auch daheim nach den Ferien den Freunden und Arbeitskollegen erzählen?» Max Küng.
«Ferien müssen einfach gelingen, auf Teufel komm raus! Was soll man denn sonst auch daheim nach den Ferien den Freunden und Arbeitskollegen erzählen?» Max Küng.
Bild: Maurice Haas

Während ich deine Geschichte las, spürte ich immer wieder, wie sich mein Bauch zusammenzog und mir unwohl wurde, bis ich irgendwann dachte: Selber schuld, wer mit Menschen in die Ferien fährt, die er kaum kennt.

In der Tat, aber die Verlockung war wohl zu gross, denn so einer Einladung in ein Ferienhaus in Frankreich kann man einfach nicht widerstehen. Und dafür waren die Ferien ja auch gedacht: Dass sich die Paare dann kennenlernen, dass sie Freunde werden. Aber tja, es gab dann halt ein paar Komplikationen ...

… Komplikationen, die ich – wie gesagt – sogar körperlich spürte. Ich weiss jetzt gar nicht, ob ich dein Buch meinen Freundinnen und Freunden als Ferienlektüre empfehlen soll.

Es kann durchaus sein, dass sich die oder der eine in dem Buch wiederfindet, denn die darin behandelten Probleme kennen wir ja wohl alle irgendwie. Aber es ist ja bloss ein Buch. Und Du kannst es problemlos empfehlen oder noch besser: verschenken! Ich aber werde nach Erscheinen von ‹Fremde Freunde› wohl mit ein paar von meinen Freunden ein paar einfühlsame Gespräche führen müssen, in denen ich ihnen erkläre, dass alles in ‹Fremde Freunde› erfunden ist, wirklich alles, sowohl das Personal wie auch alle Geschehnisse! Falls ihnen jedoch dies oder das irgendwie doch vertraut vorkommen sollte, dann wäre dies purer Zufall! Mit meinen Freunden, die ein Haus in Frankreich besitzen, habe ich bereits gesprochen. Sie haben mir versichert, dass ich sie mit meinen Liebsten im Herbst wieder besuchen darf. Mal sehen, ob sie sich im Herbst noch daran erinnern.

Sorry, lieber Max, du hast selber Familie und deshalb weisst du: Es ist nicht alles erfunden in deinem Buch. Viele Menschen funktionieren genauso wie in deinem Roman beschrieben.

Ja, gewisse Problemchen und Probleme kenne ich durchaus. Ironischerweise fahre ich ja übermorgen in die Ferien, denn wenn man Kinder hat, dann ist's ja so, dass die einen Ferien die anderen Ferien nur so jagen. Und eben wurde ein neuer Fahrradträger fürs Auto geliefert. Hast du schon mal einen Fahrradträger zusammengebaut? Das ist der totale Ikea-Moment. Da drehst du durch. Ich rate dir, nur vormontierte Fahrradträger zu kaufen! Aber das gehört zu den Ferien: Dass sie schlimm sind, noch bevor sie beginnen, denn man muss ja packen. Das Packen macht mich immer wieder fertig – und ich weiss jetzt schon, dass die Kinder mit grosser Wahrscheinlichkeit das Ladekabel für die Nintendo-Konsole vergessen werden, wir im Ferienhaus ankommen und ich zu mir selber sage: «Das fängt ja gut an ...»



In deinem Roman «Fremde Freunde» fängt es damit an, dass Salome und Philipp den Ausweis ihres Sohnes Quentin daheim vergessen, deshalb nicht nach Frankreich einreisen können und nochmals zurückfahren müssen. Als ich das gelesen habe, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, warum meine Mutter früher, wenn wir verreist sind, immer nochmals ausgestiegen ist und kontrolliert hat, ob die Haustüre auch wirklich geschlossen ist. Kennst du solche Macken auch? Oder sind das schon Neurosen?

Ich beklage mich ja gern, dass wir nicht wie in unserer alten Wohnung einen Gasherd in der Küche haben, sondern einen Elektro mit Glaskeramik. Mit Gas zu kochen ist einfach viel besser, viel gefühlsechter. Aber ich bin auch froh, denn die Frage «habe ich den Herd auch wirklich ausgeschaltet», die ploppt bei mir immer auf, wenn wir auf dem Weg in die Ferien beim Feuerwehrdepot auf die Autobahn hochfahren. Und sie begleitet mich dann über Tage. Und das mit der Tür, wie du es schön schilderst, auch dies ist mir durchaus vertraut.

Mit anderen Menschen eine solch wichtige Zeit wie die Ferien zu verbringen, ist eben nicht immer erholsam. Bleibt die Frage: Warum quälst du deine Leserinnen und Leser mit diesem Thema? Hast du eine sadistische Ader?

Ich, ein Sadist? Wie kommst du denn darauf? Ich behandle meine Figuren doch sehr liebevoll. Und der Leserin und dem Leser soll es Spass machen, den Figuren dabei zuzusehen, wie ihnen all die blöden Dinge geschehen, die in den Ferien halt leider passieren können.

Bei mir hat sich der Spass in Grenzen gehalten respektiv du hast die ‹blöden Dinge› alle derart stimmig beschrieben, dass sich, wie bereits erwähnt, während der Lektüre bei mir ein körperliches Unwohlsein meldete.

Sehr gut. Dann scheint es ja zu funktionieren! Das freut mich.

Was auffällt: Die Sicht der Kinder und deren Empfindungen kommen in deinem Buch nicht vor. Hast du das von Anfang an so geplant oder hat sich das einfach so ergeben während dem Schreiben?

Ein Buch zu schreiben bedeutet vor allem viel Arbeit. Ich schrieb vier Jahre an «Fremde Freunde» und es war irgendwann etwa doppelt so dick wie es nun ist. Viele Dinge muss man ausprobieren. Und dann wieder über Bord werfen, auch wenn es wehtut, wenn man einfach so die Arbeit von Wochen wegschmeisst. Denn vielleicht funktionieren gewisse Dinge für sich, aber die Frage ist: Wie verhalten sie sich mit dem Rest der Geschichte. Irgendwann beschloss ich, die Kids in Ruhe zu lassen und mich auf die Grossen zu fokussieren. «The Kids are alright» heisst es in einem Song von The Who – und so ist es auch. Um die muss man sich keine Sorgen machen. Sie sind in ‹Fremde Freunde› ja auch die, die die Ferien so richtig geniessen können, weil sie einfach das tun, was sie tun wollen. Wenigstens so lange die Eltern sie lassen ...

«Der Leserin und dem Leser soll es Spass machen, den Figuren dabei zuzusehen, wie ihnen all die blöden Dinge geschehen, die in den Ferien halt leider passieren können»: Max Küng.
«Der Leserin und dem Leser soll es Spass machen, den Figuren dabei zuzusehen, wie ihnen all die blöden Dinge geschehen, die in den Ferien halt leider passieren können»: Max Küng.
Bild: Maurice Haas

Musik ist ein gutes Stichwort: Welcher Sound hat dich beim Schreiben von ‹Fremde Freude› begleitet?

Ich hatte ja schon immer ein Faible für französische Musik, France Gall, Serge Gainsbourg, Jacques Dutronc. Und ich bin jetzt gerade daran, für das Buch einen Soundtrack zusammenzustellen, eine Spotify-Playlist zu erstellen. Für jedes Kapitel des Buches gibt's dann einen aus meiner Sicht passenden Song. Das macht grossen Spass! Ich war ja früher Teilzeit-DJ und hab auch Soundtracks für Theaterstücke gemacht, zum Beispiel für «Genesis» am Schauspielhaus in Zürich. Musik war und ist zentral in meinem Leben, aber beim Schreiben höre ich kaum welche. Und wenn, dann Instrumentales für den Hintergrund: Nils Frahm, Jon Hopkins, Kelly Lee Owens.

Hörst du in den Ferien andere Musik als daheim?

Das ist jetzt ein bisschen peinlich, aber: Im Ferienhaus haben wir ein klassisches Küchenradio. So ein kleines, schepperndes Gerät. Und das ist auf DRS-1 eingestellt. Das passt irgendwie zu dieser Küche, denn dort herrscht eine andere Zeit. Dort ist immer 1979.

Musik, die 1979 am Radio lief, war ‹Chiquitita› von Abba, ‹ Was Made for Lovin’ You› von Kiss und ‹Don’t Stop ’til You Get Enough› von Michael Jackson. Mein heimlicher Favorit ist jedoch ‹Gloria› von Umberto Tozzi. Welches ist dein 1979er-Lieblingshit?

Damals war ich zehn Jahre alt und tastete mich langsam an die Musik heran, vor allem an die Plattensammlung meines zehn Jahre älteren Bruders. Das hat mich geprägt, vor allem, weil ich seine Stereoanlage nicht anfassen durfte. Natürlich schlich ich mich heimlich in sein Zimmer und hörte Musik auf seinem riesigen Technics-Turm mit Equalizer und Hifi-Rack mit Rauchglastüren. Auch deshalb hab ich wohl noch immer eine Vorliebe für Unterhaltungselektronik.

Deine Tophits von damals?

‹Heart of Glass› von Blondie, ‹The Logical Song› von Supertramp und ‹Confusion› von Electric Light Orchestra. ‹Funkytown› von Lipps Inc. kam glaub's erst ein Jahr später raus, oder?

Stimmt. – Damit die Ferien erholsamer werden, wie in deinem Roman beschrieben: Was sollte man unbedingt vor der Abreise tun oder unter keinen Umständen vergessen mitzunehmen?

Bei mir funktioniert es nur mit schriftlicher Checkliste, sonst geht die Hälfte vergessen. Was bei mir immer mitmuss: Der Asthmaspray, ein Buch, genügend frische Unterhosen und Socken und falls eine Velotour ansteht ein Dutzend Beutel mit flüssigem Energiekonzentrat von Winforce mit L-Carnitin für einen besseren Fettstoffwechsel, Geschmacksrichtung Banane. Nach denen bin ich süchtig.



Du fährst übermorgen in die Ferien: Hast du schon gepackt?

Nein. Erinnere mich nicht daran!

Welches Buch nimmst du mit?

Ich nehme zwei Bücher mit. ‹London Fields› von Martin Amis, weil es superlustig ist und ich es in den Ferien fertiglesen werde. Dann hab ich noch ein richtig dickes Buch dabei, 800 Seiten, gross wie eine Cornflakes-Packung: ‹Game of Thrones – Der Winter naht› von George R.R. Martin. Ich hab die Serie noch nie gesehen, das Buch soll aber viel besser sein, hat man mir gesagt. Ausserdem: Ein Autor mit gleich zwei Mittelinitialen – der muss einfach gut sein!

Verrätst du, wohin die Reise geht?

Wir haben ein Haus im Misox. Das ist ein Tal, welches nicht sehr bekannt ist, aber eigentlich kennen es doch alle, weil die Autobahn A13 sich dort hoch schlängelt zum San Bernardino-Tunnel, und das Gazosa kommt von dort, das mit der Bügelverschlussflasche, die so schön ploppt, wenn man sie öffnet. Wir haben vor, nicht viel zu unternehmen, sondern abzuhängen und abends ein Feuer im Kamin zu machen und Marshmallows zu bräteln und ‹Risiko› zu spielen. Gut, das ist das, was ich den Kindern versprochen habe. Selbstverständlich werde ich dann bald das Wort ‹Wanderung› in den Mund nehmen und die Teleskopstöcke aus der Dachbox holen. Ich kann mir das Gejammer der Kinder schon gut vorstellen, denn es ist verdammt steil im Misox, aber als Vater hat man ja gewisse Pflichten. Eine davon ist, den Kindern die Schönheit der Natur näherzubringen.

Wunderbar, das tönt nach ziemlich unproblematischen Ferien.

Ja. Es wird herrlich werden. Davon bin ich überzeugt.

Machst du im Misox auch Ferien vom Schreiben?

Ja und nein. Ich nehme mir zwar vor, nicht zu arbeiten, aber das Schreiben kann man nicht einfach abstellen, denn das Schreiben ist ja nicht nur das am Computer sitzen und reinhacken, sondern das Sehen und Studieren. Die Ideen für Figuren oder Szenen können hinter jeder Ecke lauern. Ich arbeite da übrigens total altmodisch und dem Klischee entsprechend mit Tintenfüller von Lamy und Moleskine-Notizbuch. In den Ferien aber muss ich vor allem auch die Lesungen vorbereiten, die anstehen. Darauf freu ich mich: Echte Menschen zu sehen und ihnen vorzulesen.

Bibliografie: Fremde Freunde, Max Küng, Kein & Aber, 500 Seiten, 33 Fr.