Paartherapeut über Liebe und Finanzen Klaus Heer: «Streit über Geld ist schmerzhafter Leerlauf»

Von Bruno Bötschi

17.2.2022

Paartherapeut Klaus Heer rät in Geldfragen zu Verhandeln, Zuhören und Entgegenkommen: Der Netflix-Film «Marriage Story» ist die Geschichte der Scheidung von Charlie, gespielt von Adam Driver, und Nicole (Scarlett Johansson).
Paartherapeut Klaus Heer rät in Geldfragen zu Verhandeln, Zuhören und Entgegenkommen: Der Netflix-Film «Marriage Story» ist die Geschichte der Scheidung von Charlie, gespielt von Adam Driver, und Nicole (Scarlett Johansson).
Bild: Netflix

Der Kontostand ist in vielen Beziehungen Tabu und Minenfeld zugleich. Paartherapeut Klaus Heer erklärt, wie Konflikte rund um das Geld und die Liebe angegangen werden können.

Von Bruno Bötschi

Klaus Heer, bei Ihrem allerersten Restaurantbesuch mit Ihrer heutigen Frau, wer hat da bezahlt?

Ich natürlich. Ich bin der Mann.

Würden Sie das heute immer noch so machen? Oder was halten Sie von der Frage: «Wie machen wir es mit dem Bezahlen?»

Als gestandenes Paar feiern wir heute gewöhnlich ein kleines Machtspielchen: Wer ist schneller, sie mit der Hunderternote oder ich mit der Kreditkarte?

Wenn es ans Bezahlen in einem Restaurant geht, gibt es manchmal Überraschungen?

Ja, wenn meine Frau von der Toilette zurückkommt und hinterrücks bereits bezahlt hat.

Sind Sie auch der Meinung, wer die Wahrheit über eine Beziehung erfahren möchte, sollte über Geld reden?

Die wenigsten Paare haben so viel Glück, dass sich ihre Geld-Themen federleicht anfühlen. Die meisten müssen unbedingt drüber reden. Nicht weil sie der Wahrheit ihrer Beziehung auf die Spur kommen sollten. Vielmehr weil es strapaziös ist, sich dauernd über Geld zu zanken.

So grundsätzlich: Können ein*e Rappenspalter*in und ein*e Geldverprasser*in eine funktionierende Beziehung führen?

Zur Person: Klaus Heer
Bild: Ruben Ung, rubenung.ch

Klaus Heer bildete sich nach seinem Psychologiestudium in Hamburg und Bern in Psycho- und Paartherapie weiter. In den fast 50 Jahren, in denen er mit Paaren arbeitet, hat er sich den Ruf einer Kapazität in Fragen der Liebe, Partnerschaft und Sexualität erworben. Er schrieb Sachbücher wie die Bestseller «Ehe, Sex & Liebesmüh’» und «Paarlauf. Wie einsam ist die Zweisamkeit?». Heer lebt und arbeitet in Bern.

Schwerlich. Die Versuchung ist zu mächtig, sich in einen Grabenkrieg verwickeln zu lassen. Viele Partner übernehmen ihre Kriegslogik aus ihrer Kindheit und Jugend. Die wichtigste Evidenz dabei: Der andere ist schuld. Er ist der Kriegstreiber.

In einer Beziehung, habe ich gelesen, sollte es nicht darum gehen, Unterschiede aufzuheben, sondern mit Verschiedenheiten umzugehen. Beim Thema Geld funktioniert das demnach nicht?

Doch – wenn einer von beiden erleuchtet ist. Oder wenigstens halb erleuchtet. Will heissen: Mit Unterschieden zurechtkommen, ist über alle Massen anspruchsvoll. Speziell in Sachen Geld. Geld ist eine beinharte Liebeswährung.

Warum streiten Paare trotzdem so viel übers Finanzielle?

Da kommen mir grad zwei Gründe in den Sinn. Erstens importieren wir aus unseren Elternhäusern sehr unterschiedliche Geldpraktiken, die wir dann in unserer neu gegründeten Paarwelt für normal und selbstverständlich halten. Natürlich versuchen wir sie jetzt durchzusetzen. Und zweitens versteckt sich hinter dem Geld fast immer die gewichtige Frage von Abhängigkeit und Selbständigkeit.

In der Verliebtheits-Phase reden viele kaum übers Geld.

Verliebte Glückseligkeit und herbe Kontostände sind die Faust aufs Auge. Wer wird denn schon diese raren, beglückten Augenblicke mutwillig ruinieren wollen? Man weiss doch, dass Finanzthemen oft zäh und disharmonisch enden. Im privaten Rahmen ist man schnell überfordert damit.

Wie kann ein Paar sinnvoll über Finanzielles sprechen?

Das ist eine weitläufige Frage, die sämtliche vielschichtigen Beziehungsbereiche gleichermassen betrifft, nicht nur die Geldthematik. Also auch Kindererziehung, Sozialleben, Körperkontakte und Sexualität, Ernährung und Gesundheit. Paradoxerweise kommt es dabei nicht in erster Linie aufs Reden an. Sondern aufs Zuhören. Soll ich mich jetzt wirklich darüber auslassen?

Gern.

Klassisch ist die Mühsal dieses Paares mit zwei Kindern jünger als zehn Jahre. Die Frau ist unglücklich. Sie berichtet, dass Familien- und Hausarbeit seit der Ankunft der Kinder überwiegend an ihr hängen bleibt – obwohl sie das doch seinerzeit anders geplant hätten. Jetzt ist sie teilzeitlich in ihrem anspruchsvollen Beruf tätig, ihr Mann zu 100 Prozent, nein, 130-prozentig. So hatte sie sich das nie vorgestellt. Jetzt ist sie dauersauer auf ihren Partner, unter anderem deshalb, weil sie zum ersten Mal in ihrem erwachsenen Leben finanziell abhängig ist. Er ist dauerüberfordert. Er versteht nicht, was daran so schwierig sein soll. Sie hat doch alles.



Stimmt der Eindruck, dass über Geld mehr gestritten wird, wenn ein Paar Nachwuchs bekommt?

Die Ankunft eines Kindes ist eine schwer vorstellbare Herausforderung. Ein Paradigmenwechsel, auf den man sich nicht wirklich vorbereiten kann. Dieser Stress greift natürlich über auf Beziehungszonen, denen Paare oft nicht gewachsen sind – eben zum Beispiel das Geld.

Und wenn der eine der beiden Partner deutlich mehr verdient: Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Auf der konkreten Ebene ist es im Moment meistens nicht lösbar. Viele Paare versuchen es mit Reden – und rutschen ab in Streit. Streit ist immer das untrügliche Zeichen von: Beide reden und keiner hört zu. Es ist niemand da, der sich für den anderen interessiert. Interesse ist ein Synonym für Liebe. Ich meine: Interesse für die schwierigen Themen des Partners.

Ist es immer noch schwieriger, wenn die Frau mehr verdient als der Mann?

Das ist noch immer selten. Und damit vielleicht sogar visionär. Aber klar, jedes Ungleichgewicht in der Beziehung ist herausfordernd. Balancieren will gelernt sein.

Es gibt Männer, die immer noch Angst haben, für eine Frau nicht attraktiv zu sein, wenn diese mehr verdient.

Ich halte das für ein Gerücht.

Haben Partner mit mehr Geld in der Beziehung immer mehr Macht?

Nicht immer. Sicher ist die Kaufkraft ein gewichtiges beziehungsinternes Machtmittel, aber bei weitem nicht das einzige. Höchstens das Offensichtlichste. Ebenso bedeutsam ist die Machtfrage in der Sexualität. Hier läuft das aber genau umgekehrt. Mehr Macht hat der Partner, der weniger will. Erstaunlich, dass die Paare für beide Machtfelder kaum ein Bewusstsein haben.

Streit um Finanzen gibt es oft bei grösseren gemeinsamen Ausgaben, etwa dem Kauf eines Autos oder wegen Ferien. Wie kann man das verhindern?

Solche Differenzen sind unvermeidlich, wenn man ein lebendiges Paar und längere oder lange Zeit miteinander verbunden ist. Je höher die geplanten Ausgaben, umso eher sind Kompromisse möglich. Voraussetzung ist allerdings, dass die beiden Partner minimal begabt und geübt sind im Verhandeln. Lieben heisst einander entgegenkommen. Beispiel: Es gibt auf dem Automarkt eine riesige Palette von günstig bis schweineteuer. Ebenso bei Preisen für Häuser und Ferien. Jede überlebensfähige Paarschaft muss jede Menge Kompromisse eingehen. Ein Kompromiss ist ja definiert als ein Deal, mit dem beide gleichermassen unzufrieden sind.

Und wenn es mit den Kompromissen nicht mehr funktioniert, kommt das Paar zu Ihnen. Ist Geld überdurchschnittlich oft Thema in der Beratung?

Nein, durchschnittlich oft. Was mir auffällt: Betuchte Paare wählen genauso häufig Geldthemen als Kampfplatz wie Minderbegüterte. Zaster schützt vor Hader nicht.



Welche Tipps haben Sie für Menschen, die aktuell eine gute Beziehung führen und nicht wollen, dass Geld irgendwann in der Zukunft Ihre Beziehung stört oder sogar zerstört?

Ich glaube nicht an Prophylaxe für Probleme «irgendwann in der Zukunft». Ein Paar ohne Geldquerelen soll doch seinen Frieden geniessen. Das wirkt prophylaktisch genug gegen drohendes Ungemach.

Wann raten Sie zu Verträgen?

Wenn es darum geht, bei einer geplanten Familiengründung die gerechte Verteilung der bezahlten und der unbezahlten Arbeit zuverlässig festzulegen. Oder wenn eine Trennung ansteht, präzise Vereinbarungen beispielsweise über Kinderbetreuung und Geldfragen zu suchen und zu finden.

Wann haben Sie zuletzt mit Ihrer Frau über Geld gestritten?

Noch nie. Streit über Geld ist schmerzhafter Leerlauf. Verhandeln und Zuhören und Entgegenkommen – das ist pfiffiger.