Bötschi fragtFrancine Jordi: «Nach dem Tod wird es noch besser»
Von Bruno Bötschi
18.8.2021
Sie ist die erfolgreichste Sängerin der Schweiz und steht seit fast einem Vierteljahrhundert auf der Bühne: Francine Jordi. Die Bernerin über ihre Stimme, ihr Vorbild Liselotte Pulver und warum sie ihre Fans nicht politisch erziehen will.
Von Bruno Bötschi
18.08.2021, 06:45
19.08.2021, 08:02
Bruno Bötschi
Ein Nachmittag im Café des Amis in Zürich: Keine Ahnung, wie viele Pressetermine Francine Jordi an diesem Tag bereits absolviert hat. Schnell wird jedoch klar: Die Sängerin lässt sich deswegen nicht die Laune verderben. Jordi ist genau so, wie man sie vom Fernsehen her kennt: immer mit einem Lächeln im Gesicht.
Alle kennen sie – oder meinen es zumindest: Sängerin, Entertainerin und Schweizer Volksvertreterin. Die 44-jährige Künstlerin hatte mit zehn Jahren ihren ersten Bühnenauftritt. Damals hiess sie noch Lehmann zum Nachnamen. 1998 nahm sie mit dem Titel «Das Feuer der Sehnsucht» beim Grand Prix der Volksmusik teil und belegte den ersten Platz.
Nun, nach mehr als zwei Jahrzehnten als professionelle Sängerin auf der Bühne, ist die Zeit gekommen für einen musikalischen Rückblick: Dafür hat Francine Jordi ihre Lieblingslieder plus vier neue Songs unter dem Titel «Herzfarben» zusammengestellt und dieser Tage als Album herausgebracht.
Der Journalist bestellt einen Kaffee, Jordi trinkt einen Tee. Und dann kann es auch schon losgehen mit den vielen Fragen.
Francine Jordi, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 45 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach «weiter».
Heute erzähle ich Ihnen mein ganzes Leben (lacht).
Demnach darf ich alles fragen?
Das können Sie gern tun. Es könnte einfach sein, dass dann gewisse Antworten sehr kurz ausfallen werden.
Nein. Ich hatte bereits um 7.45 Uhr den ersten Pressetermin in der Nähe von meinem Zuhause. Als ich später nach Zürich gefahren bin, sang ich jedoch fleissig im Auto mit – unter anderem zu «One Margarita» von Luke Bryan und zu «Gummibaum» von Patent Ochsner.
Wirklich wahr, dass Sie fast täglich Arien singen, um Ihre Stimme in Schuss zu halten?
Das stimmt. Arien sind ist das beste Krafttraining für meine Stimme.
Wie trainieren Sie Ihre Stimme sonst noch?
Wissen Sie was? Während der Corona-Zeit habe ich zuerst Pause gemacht und während Wochen überhaupt nicht gesungen. Ich fand nach 23 Jahren Vollgas geben als Sängerin hat meine Stimme auch einmal eine Pause verdient. Danach nahm ich zweimal wöchentlich Gesangsunterricht. So viel Zeit, um mit meiner Stimme zu arbeiten, hatte ich den vergangenen zwei Jahrzehnten noch nie. Das Training hat nicht nur meiner Stimme gutgetan, sondern auch mir persönlich. Ich besuche übrigens auch sonst immer wieder einmal eine Gesangsstunde.
Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg
«blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Sie haben das Konservatorium besucht, stehen seit über zwei Jahrzehnten als Sängerin auf der Bühne. Was nützen Ihnen Gesangsstunden heute?
Es hilft mir bei der Entwicklung meiner Stimme. Und ich habe eine bessere Kontrolle über sie – jemand von aussen hört schneller, wenn sich mit der Zeit kleine Fehler einschleichen. Wir Sängerinnen und Sänger sagen dem: die Stimme versauen.
Wie kommen Sie morgens am schnellsten in Schuss: kalte Dusche oder Koffein?
Ich setze mich zuerst hin und trinke einen Schwarztee mit Milch.
Ihre Erklärung, warum Menschen unter der Dusche singen?
Beide Tätigkeiten haben eine reinigende Wirkung. Deshalb passen sie hervorragend zusammen.
Apfel oder Gipfel?
Gipfeli. Ich bin ein Salz-Typ.
Rot oder Gelb?
Rot in der Liebe, Gelb in der Ausstrahlung.
Auf dem Cover Ihres neuen Albums «Herzfarben» tragen Sie eine rote Bluse vor einem gelben Hintergrund.
Die Bluse brachte die Stylistin zum Fotoshooting mit. Ich war sofort in das Teil verliebt. Rot ist wie die Liebe. Und die Liebe ist der Sinn des Lebens; Liebe geben genauso wie Liebe bekommen.
Die Wirkung roter Kleidung war schon Thema in Studien: Wer dominant auftreten möchte, sollte Rot tragen. Vor allem Männer lassen sich davon beeindrucken.
Und sind Sie beeindruckt?
Meine Meinung ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, aber ich gebe zu: Das Bild fällt auf.
Ich wusste gar nicht, dass es solche Studien gibt. Aber wie gesagt, mir gefiel das Kleid einfach extrem gut. Deshalb habe ich es ausgewählt.
Die Farben-Studie ergab zudem, dass Frauen andere Frauen in roter Kleidung für untreu und gefährlicher für ihre eigene Beziehung halten.
Ob ich eine Gefahr für andere Menschen bin, müssen andere beurteilen. Ich kann nur sagen, ich bin jemand, der auf die Liebe setzt und absolut kein Interesse an One-Night-Stands hat.
Was ist das Gefährlichste, was Sie je auf einer Bühne gemacht haben?
Als Kind schlug ich das Rad einhändig auf der Bühne.
Ihr neues Album «Herzfarben» klingt wie eine musikalische Biografie: Können Sie Ihre Karriere als Sängerin in einem Satz beschreiben?
Mit vielen Ups and Downs ist sie gekommen, um zu bleiben.
Auf dem Album singen Sie neben Hochdeutsch, Englisch und Französisch auch schweizerdeutsche Nummern. Was ist für Sie anders, wenn Sie auf Berndeutsch, also in Ihrer Muttersprache singen?
Singe ich Berndeutsch, sitzt meine Stimme an einem anderen Ort, sie klingt also total anders. Ich singe gern in meiner Muttersprache. Ich kann so meine Gefühle noch besser ausdrücken.
Ist Berndeutsch Ihre liebste Singsprache?
Am liebsten singe ich Französisch. Da spüre ich am meisten Energie.
Den französischen 1980er-Jahre-Klassiker «Voyage, Voyage» singen Sie auf Ihrem neuen Album jedoch auf Deutsch.
Ich wollte «Voyage, Voyage» nicht einfach covern, sondern ihn zu meinem eigenen Song machen.
«Voyage, Voyage» ist ein Popsong.
Das stimmt, aber Fakt ist auch: Der Schlager ist in den letzten Jahren immer moderner geworden. Und das ist gut so. Die Schlagermusik ist und bleibt meine Heimat. Ich will nicht Popsängerin werden.
Was macht eine gute Cover-Version aus?
Habe ich das Gefühl, die Nummer ist von der Person, die sie gerade singt, ist es eine gelungene Cover-Version.
Welche Cover-Version ist für Sie die Mutter aller Cover-Versionen?
Da muss ich kurz überlegen … «Ein Bett im Kornfeld» von Jürgen Drews ist sicher eine der gelungensten Cover-Versionen.
Die beste Schweizer Cover-Version?
«Giggerig» von Polo Hofer finde ich grossartig.
Welches Lied von einer anderen Künstlerin, einem anderen Künstler, hätten Sie selbst gern geschrieben?
«Sierra Madre del Sur» von den Schürzenjägern. Ein solcher Erfolgssong lässt einen ein Leben lang sorglos leben.
Mit welchem Ihrer Lieder sollte der Francine-Jordi-Laie einsteigen?
Einsteigen würde ich mit «Das Feyr vo dr Sehnsucht», welches ich mit dem Jodlerklub Wiesenberg gesungen habe. Danach würde ich sofort «Crazy» hören. Beide Songs sind auf meiner neuen CD zu hören. Mit diesen Liedern lernt der Laie meine ganze musikalische Bandbreite kennen.
In welchem Ihrer Songs erfährt der Francine-Jordi-Kenner am meisten über Sie?
Der Song «Ab 44», ebenfalls auf dem neuen Album, zeigt gut, was ich heute für ein Mensch bin.
Was ist das Besondere an einem Duett?
Ich liebe die Zweitönigkeit und die Harmonie zwischen den Stimmen. Für mich ist es immer extrem spannend mit einer anderen Künstlerin, mit einem anderen Künstler zusammenzuarbeiten und zu schauen, wie sie oder er arbeitet. Duette sind für mich eine Herzensangelegenheit.
Auf Ihrer neuen Platte singen Sie «Proud Mary» im Duett mit Stefanie Heinzmann.
«Proud Mary» nahmen Stefanie Heinzmann und ich einst für die «Silvestershow» auf, die ich jeweils mit Jörg Pilawa moderiere. Es war mein grosser Wunsch, einmal mit Stefanie zusammen zu singen, auch weil wir privat eng befreundet sind. Unsere Zusammenarbeit fühlte sich so an, als wäre Ostern, Weihnachten, Geburtstag und Silvester gleichzeitig. Es war grossartig.
Ja, ja, ja … da müsste ich nicht einmal singen, es würde mir auch schon reichen, wenn ich neben Michael Bublé stehen könnte und ihm zuhören dürfte. Er könnte mir auch «Alli Mini Äntli» vorsingen oder etwas aus dem Telefonbuch, dahinschmelzen würde ich so oder so.
Was genau fasziniert Sie an dem kanadischen Sänger?
Seine Stimme ist der Wahnsinn.
Welchen Song würden Sie gern im Duett mit Bublé singen?
Werden Sie irgendetwas unternehmen, damit das Duett mit Michael Bublé irgendwann Realität wird?
Ach, wissen Sie, wenn das geschehen soll, dann wird das irgendwann einfach passieren. Ich konnte vor ein paar Wochen zusammen mit Peter Maffay singen. Dass das einmal so kommt, hätte ich auch nie gedacht.
Wie gut können Sie mit Kritik umgehen?
Kritik nehme ich sehr ernst – ausser es handelt sich um Neid und Missgunst.
Wie gehen Sie mit unfairer Kritik um?
Löschen, blocken, weiterrocken.
Welche überraschende Wahrheit hat ein Kritiker über Sie geschrieben?
Überraschend ist eher, dass die Kritiker meistens eher daneben liegen. Während meiner allerersten Solotournee schrieb ein Journalist, ich würde von einer «mehrbesseren Hochzeitsband» begleitet. Damals standen jedoch ausschliesslich Pop- und Rockmusiker mit mir auf der Bühne, die alle seit Jahren ihren Lebensunterhalt mit Musik bestritten.
Wie hat sich Ihr Gesang über die Jahre verändert?
Ich hoffe, ich bin besser geworden … nein, es ist klar: Ich singe heute besser als früher. Über die Jahre ist meine Stimme eine Terz nach unten gerutscht. Ich komme weiter runter, aber nicht mehr so hoch hinauf. Dafür singe ich technisch besser und mein Gesang hat mehr Ausdruck. Es ist so, als wäre ich eine Malerin, die ihre Farben von einer breiteren Palette auswählen kann.
Ist Ihre Stimme eigentlich versichert?
Nein.
Wann spürten Sie zum allerersten Mal, dass Sie besser singen können als andere Menschen?
Das weiss ich nicht mehr. Möglicherweise hat das damit zu tun, weil ich nie wirklich das Gefühl hatte, ich könne gut singen. Zu Beginn meiner Karriere war mein Selbstwertgefühl nicht besonders gross.
Wann realisierten Sie, dass Sie mit Ihrer Stimme die Menschen berühren?
So richtig realisiert habe ich das erst, als ich 1998 allein auf der Bühne stand, das Lied «Das Feuer der Sehnsucht» sang und bemerkte, dass im Publikum Menschen anfangen zu weinen.
Welche Musik hat Sie persönlich besonders stark geprägt?
Während meiner Kindheit prägte mich die Musik von Udo Jürgens. Als Teenagerin war ich begeistert von Michael Jacksons Stimme und seiner unfassbaren Perfektion. Beeindruckt war ich zudem schon immer von den Stimmen von Maria Callas und Céline Dion.
Welchen Sinn hat Musik? Oder anders gefragt: Warum gibt es sie überhaupt?
Gäbe es Musik nicht, wäre unser Leben extrem trostlos. Musik gibt Kraft. Musik sorgt für Emotionen. Musik ist die Tankstelle unserer Seele. Musik kann allein durch ihr Dasein Situationen viel emotionaler werden lassen.
Ärgern Sie sich, wenn Sie während eines Konzertes einen Ton nicht treffen?
Früher ja, heute nicht mehr – Fehler sind menschlich und beweisen zudem, dass die Sängerin oder der Sänger auf der Bühne auch wirklich live singt.
Haben Sie das perfekte Konzert schon gegeben?
Perfekt nicht, aber nahezu. Ich gebe pro Jahr zwischen 80 und 100 Konzerte. Darunter sind vielleicht drei, vier, bei denen alles stimmt.
Wie fühlt sich das an?
Es ist, als würde ich fliegen oder als hätte ich gerade erfahren, dass ich einen Sechser im Lotto habe.
Als Sängerin haben Sie ein grosses Publikum. Spüren Sie dadurch eine Verantwortung, Ihren Fans auch politische Denkanstösse zu geben?
Ich gebe Menschen nur ungern einen Rat, wenn sie mich nicht danach fragen. Natürlich kann ich als Künstlerin in Interviews meine Sicht auf die Welt erklären oder erzählen, wie ich eine schwierige Lebenssituation gemeistert habe. Mein Publikum politisch zu erziehen, sehe ich jedoch nicht als meine Aufgabe an. Als Sängerin bin ich dazu da, die Menschen zu unterhalten und während eines Konzerts dafür zu sorgen, dass sie ihre Alltagssorgen vergessen können.
Sind Sie zuversichtlich für die Schweiz?
Sehr.
Warum?
Wenn ich schaue, wie wir als Gesellschaft und wie unsere Politikerinnen und Politiker die Corona-Pandemie angegangen sind, muss ich sagen: Wir haben diese extrem schwierige Zeit sehr gut gemeistert.
Lieder funktionieren oft wie Apotheken: Welcher Song hilft Ihnen persönlich gegen Heimweh?
«Home» von Michael Bublé.
Gegen schlechte Laune?
Bin ich schlecht drauf, höre ich «Wunderschön» von Mike Leon Grosch. Kaum habe ich die ersten Töne gehört, bin ich schon wieder viel, viel besser gelaunt.
Es kommt ganz darauf an, was für ein Liebeskummer es ist. Wäre ich gerade verlassen worden, würde ich wohl meinen eigenen Song «Wo schläfst du heute ein» auflegen, der auf meinem neuen Album zu finden ist. Wissen Sie was, als ich das Lied im Studio eingesungen habe, musste ich richtig aufpassen, dass ich nicht in eine Depression verfalle (lacht).
Wann wussten Sie das letzte Mal nicht, wo Sie am Abend einschlafen werden?
Ach, das war doch alles schon in Medien zu lesen und der Rest bleibt geheim.
Wann zuletzt unter freiem Himmel geschlafen?
Da war ich noch ein Kind. Ich mag es überhaupt nicht, wenn Ameisen in meinem Bett herumkrabbeln.
Wann haben Sie zuletzt das Radio ausgemacht, weil Sie das Gedudel nervte?
Musik nervt mich nicht, das ewige Negative in den Nachrichten hingegen schon eher. Es passiert ab und an, dass ich deshalb das Radio ausmache oder den Sender wechsle.
Macht Musik Sie nie wütend?
Es gibt eine Band, bei der ich, kaum höre ich sie, sofort leicht aggressiv werde.
Von welcher Band reden Sie?
Rammstein. Wieso dem so ist, kann ich nicht wirklich erklären. Ich merke einfach, wenn deren Musik ertönt, steigt mein Aggressionspegel. Diese Tatsache hat mich allerdings nicht davon abgehalten, 2019 im Stade de Suisse in Bern das Rammstein-Konzert zu besuchen.
Waren Sie danach total aggressiv drauf?
Nein, überhaupt nicht. Vielleicht hat es damit zu tun, weil ich während des Konzertes die Stimme von Sänger Till Lindemann nicht besonders gut gehört habe (lacht).
Sie wurden im vergangenen Juni 44: Was dachten Sie als 12-jähriges Mädchen über Menschen, die über 40 Jahre alt sind?
Oh, sind die alt.
Ihr revolutionärster Gedanke als 12-Jährige?
Ich war keine Revolutionärin. Was war Ihr revolutionärster Gedanke damals?
Ich fand Atomkraftwerke das Hinterletzte.
Ich wehre mich seit klein gegen Tierversuche.
Der Spruch Ihrer Mutter, den Sie nie vergessen werden?
Chliini Rössli blibe lang Füli.
Den besten Ratschlag, den Sie je von Ihrem Vater bekommen haben?
Von meinen Eltern habe ich wahnsinnig viel lernen dürfen. Sie sind meine Idole. Meine Mutter und mein Vater reden viel zusammen, haben Respekt voreinander, sie sind zufrieden und dankbar und wollen nicht ständig immer noch mehr.
Was bereuen Sie, wenn Sie zurückblicken?
Ich habe Frieden geschlossen mit meiner Vergangenheit. Warum soll ich in Vergangenes noch Energie investieren? Die Vergangenheit hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Und das ist gut so.
Der Refrain Ihres neuen Songs «Ab 44» heisst «Das Leben sortiert sich». Was hat sich in den letzten Jahren alles sortiert?
Das hat schon mit 30 angefangen. Damals habe ich entschieden, künftig auf mein Herz und mein Bauchgefühl und nicht mehr auf den Kopf zu hören. Denn ich bin überzeugt: Das Leben will mich beschenken und nicht bestrafen.
Vermissen Sie das Jungsein?
Überhaupt nicht – ich möchte unter keinen Umständen nochmals 20 sein.
Warum nicht?
Ich fühle mich heute so gut wie noch nie. Oder kann ich irgendetwas mit 44 nicht mehr tun, was ich mit 20 noch konnte? Ich denke nicht. Zudem haben mich meine Erfahrungen klüger werden lassen und sorgen dafür, dass ich Fehler von früher nicht mehr machen muss. Aber natürlich ist mir sehr wohl bewusst, dass das Älterwerden auch eine Herausforderung sein kann und Veränderungen passieren, etwa mit meinem Körper. Ich sage deshalb immer, ich würde gern so natürlich altern wie Liselotte Pulver. Die Schauspielerin strahlt innen und aussen und ist auch mit 91 nach wie vor eine wunderschöne Frau – daran können auch einige Falten im Gesicht nichts ändern.
Sie sind demnach kein Fan von Schönheitsoperationen?
Ich bin ein Feigling und deshalb sage ich heute: Nein, ich werde mich nicht unters Messer legen. Gleichzeitig weiss ich aber auch: Sag niemals nie.
Was heisst das jetzt genau?
Ich möchte, wie gesagt, natürlich älter werden, weiss allerdings nicht, ob ich in ein paar Jahren noch gleicher Meinung sein werde. Ich würde deshalb auch nie Menschen, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, irgendwie verurteilen oder schlecht reden. Ich finde, dass soll jede und jeder für sich selber entscheiden.
Nein. Denn ich bin der festen Überzeugung, nach dem Tod wird es noch besser werden. Wir absolvieren auf der Welt sozusagen unsere Schulzeit, damit es nachher weitergehen kann.
Wir kommen langsam zum Schluss und damit zum Self-Rating-Test: Sie benoten Ihr eigenes Talent von null Punkten, kein Talent, bis zehn Punkte, maximales Talent: Gärtnerin?
Ich gebe zu, bei mir daheim ist mein Vater für den Garten zuständig. Als Auszubildende gebe ich mir zehn Punkte, müsste ich alles selber erledigen, würde ich knapp fünf Punkte schaffen.
Fussballerin?
Minus drei Punkte. Fussball ist nicht meine Sportart, ich schaue lieber Eishockey.
Feministin?
Wenn es darum geht, dass die Frauen gleich viele Rechte und Pflichten haben sollen wie die Männer, bin ich absolut dafür. Frauenquoten hingegen befürworte ich nicht. Mir ist die Eignung einer Person wichtiger als deren Geschlecht. Ob Frau, Mann oder Transgender, die Fähigkeiten eines Menschen sind für mich entscheidend. Deshalb bin ich jetzt etwas verunsichert, wie viel Talent ich als Feministin habe. Wie viele Punkte würden Sie mir geben?
Sechs Punkte.
So wenig? Ich setze mich doch für die Gleichberechtigung von Frauen ein, aber ich sehe mich halt nicht als Frauen- sondern als Menschenrechtlerin.
Politikerin?
Oh, in diesem Beruf wäre ich ganz schlecht. Ich bin zu wenig diplomatisch. Einen Punkt.
Wurden Sie schon von einer politischen Partei angefragt, um auf deren Liste zu kandidieren?
Ja. Ich habe dankend abgelehnt.
Welche Partei war es?
Das verrate ich nicht.
Es heisst zwar oft, jede Frage müsse erlaubt sein. Aber viele sind einfach nur unhöflich und abwertend. Welche Journalistenfragen möchten Sie nie mehr hören?
Warum wollen Sie nicht Popmusik machen? Ich verstehe diese Frage nicht, weil ich mich von Anfang an für Schlagermusik entschieden habe. Und dazu stehe ich nach wie vor.
Je ein Interview abgebrochen?
Nein – bemerke ich jedoch, dass mein Gegenüber schlecht vorbereitet ist, fallen meine Antworten meist sehr kurz aus. Solche Gespräche sind ganz schnell vorbei.
Auch nie darüber nachgedacht, ein Interview abzubrechen?
Nein. Ich bin genug spontan und schlagfertig, um auf alle Fragen, auch auf blöde, eine Antwort zu finden.
Wo schlafen Sie heute Nacht ein?
In meinem Bett.
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