Kolumne am Mittag Entführungsopfer Oetker: «Gott sei Dank, ich empfinde keinen Hass»

Von Bruno Bötschi

25.12.2020

Trotz der Entführung den Optimismus nie verloren: Richard Oetker.
Trotz der Entführung den Optimismus nie verloren: Richard Oetker.
Bild: Keystone

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte: Der deutsche Unternehmer Richard Oetker wurde vor 44 Jahren gekidnappt und gefoltert. Trotzdem empfindet er keinen Hass gegenüber dem Entführer, vergeben wird er ihm aber nie.

Die Menschen könnten mit Opfern von Schicksalsschlägen generell schlecht umgehen. Das führe so weit, dass manche dem Kontakt, dem Gespräch ganz aus dem Weg gehen, erzählt Richard Oetker im Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit». «Als Opfer müssen Sie also selber aktiv werden und Menschen, die Ihnen lieb sind, direkt ansprechen. Das ist nicht immer einfach.»

Der heute 69-jährige Unternehmer wird am 14. Dezember 1976 entführt und lebensgefährlich misshandelt. Nachdem sein Vater, der Unternehmer Rudolf-August Oetker, 21 Millionen D-Mark (rund 10,7 Millionen Euro) bezahlt, kommt der damals 25-jährige Richard frei.

«Wir Menschen sind viel stärker, als wir glauben»

Man erwartet einen gebrochenen Mann. Wer entführt, mit Stromschlägen gefoltert und während 47 Stunden in einer nur 1,45 Meter langen und 70 Zentimeter breiten Holzkiste eingesperrt wird – der muss doch vor dem Leben in die Knie gehen. Nicht so der fast zwei Meter grosse Richard Oetker.

Oetker sagt in der «Zeit»: «Ich bin immer ein fröhlicher Mensch gewesen, ich habe einen sehr grossen Optimismus in mir, gehe gern auf andere Menschen zu.» Seit 2006 hilft er über die Stiftung Weisser Ring Menschen, die Opfer eines Verbrechens geworden sind. Er macht ihnen Mut: «Wir Menschen sind viel stärker, als wir glauben.»

Oetker hält Vorträge für die Organisation, spricht über seine Entführung. Er könne sich vorstellen, dass die Verarbeitung des Geschehenen durch das Reden leichter geworden sei. Auch die lange Zusammenarbeit mit der Polizei habe ihm möglicherweise gutgetan.

Der Unternehmer ist bis heute von der schrecklichen Straftat gezeichnet. Auch 44 Jahre danach leidet er körperlich unter den schweren Verletzungen, die ihm Entführer Dieter Zlof bei einem der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte zugefügt hatte. Oetker kann nicht lange laufen und stehen.

Der Schrecken ging vor Gericht weiter

Oetker betonte auch immer, wie er und seine Familie unter der Tat gelitten haben – auch noch Jahre später. Beim Prozessauftakt 1980 erlebte er einen dieser ganz schrecklichen Momente. Zu Beginn sprachen alle Medienvertreter noch mit dem prominenten Entführten aus der Oetker-Dynastie. Kaum wurde der Entführer in den Saal gebracht, wendeten sich die Journalisten wort- und grusslos von ihm ab und wollten nur noch mit dem Täter sprechen. Es heisst, das habe Oetker tief getroffen.

Vergeben könne er seinem Entführer nie, sagt Richard Oetker. Dafür habe dieser alles zu minutiös geplant. Er verspüre jedoch keinen Hass, auch auf Rache habe er nie gesonnen.

«Aber das ist keine Leistung, das habe ich meinem Naturell zu verdanken», betont er im Gespräch mit der «Zeit». «Ich kann nichts dafür, dass ich keine Rache empfinde, ich kann auch nichts dafür, dass ich Gott sei Dank keinen Hass empfinde. Dafür dass ich so bin, wie ich bin, kann ich nichts.»

Regelmässig gibt es werktags gegen die Mittagszeit bei «blue News» die Kolumne am Mittag. Es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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