Bötschi fragtCrimer: «Es hatte seine Vorteile, auf dem Land aufzuwachsen»
Von Bruno Bötschi
24.3.2022
Crimer: «Sich mehr an kleinen Sachen freuen»
Der Krieg in der Ukraine. Das Corona-Virus. Und der Klimawandel. Die Zeiten sind gerade ziemlich kompliziert. Umso wichtiger sei es, findet Musiker Crimer, sich auch einmal an kleinen Dingen zu erfreuen.
21.03.2022
Sänger Crimer über das Leben als Landei und seine Auftritte im Kirchenchor, lackierte Fingernägel und die Schwierigkeiten, Kleider in den richtigen Grössen zu kaufen.
Von Bruno Bötschi
24.03.2022, 06:51
25.03.2022, 13:24
Bruno Bötschi
Restaurant Volkhaus, Zürich, kurz vor halb neun Uhr morgens. Warten auf ihn. Da: er. Grosser Crimer. Anzug, Hemd, Krawatte, lackierte Fingernägel und Plateauschuhe.
Der Journalist winkt. Er winkt zurück und lächelt. Crimer – geboren und aufgewachsen als Alexander Frei in Balgach SG – nimmt Platz und bestellt einen Cappuccino.
In der «Berner Zeitung» war dieser Tage über den Musiker zu lesen: «Im Trubel des Weltgeschehens ist beinahe vergessen gegangen, dass der helvetische Lieblings-Eighties-Popper Crimer Ende letzten Jahres ein neues Album veröffentlicht hat.»
Und weiter: «Er triggert mit seinen ohrwurmigen Synthiepop-Schlagern Erinnerungen an eine Zeit in den 80ern, als der Kalte Krieg noch Routine war und Neonlicht noch Romantik entfachte.»
Diesen Mann will der Journalist kennenlernen. Landei trifft Landei. Ostschweizer trifft Ostschweizer. Noch schnell das Konzept des Interviews erklärt und dann kann es auch schon losgehen mit den vielen Fragen.
Crimer, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle dir in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen – und du antwortest möglichst schnell und spontan. Passt dir eine Frage nicht, sagst du einfach «weiter».
Okay.
Singen oder Tanzen?
Singen.
Du tanzt auf der Bühne immer so ekstatisch.
Mein Tanzstil wird erst durch meinen Gesang ausgelöst. Mir kommt es jeweils so vor, als explodiere dann etwas in meinem Körper – und die wilden Tanzbewegungen sind das Resultat davon.
Berlin oder Zürich?
Zürich ist überschaubarer und trotzdem megacool.
Depeche Mode oder New Order?
New Order. Deren Musik klingt dezenter.
Als kürzlich dein Song «White Walls» im Radio lief, meinte ich einen Moment lang, es sei eine neue Single von Depeche Mode und sagte zu meinen Freunden: «Dave Gahan tönt auch immer jünger.»
Diesen Vergleich höre ich hin und wieder – und ich gebe gern zu: Ich finde es schön, mit solchen musikalischen Grössen verglichen zu werden.
Ich bin ein 80er-Jahre-Kind, bin mit der Musik von Depeche Mode, Human League oder Duran Duran aufgewachsen. Du bist 22 Jahre jünger als ich. Wann und wo hast du die Eighties entdeckt?
Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg
blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.
Begonnen hat alles mit dem Synthesizer. Seit ich denken kann, hat mir Synthesizer-Musik immer gut gefallen. Das zieht sich durch meine gesamte Diskografie. Lange Zeit wusste ich jedoch nicht, was das überhaupt für ein Instrument ist. Machst du Musik mit einem Synthesizer, tönt es schnell nach 80er-Jahre. Es gibt kaum ein anderes Instrument, das derart klar einem Jahrzehnt und einem Musikgenre zugewiesen werden kann wie der Synthesizer.
Welche Musik hörten deine Eltern?
Sie hörten Phil Collins, Lionel Richie und The Pointer Sisters. Depeche Mode und The Cure, also die eher wavigen Bands, hörten sie kaum. Diese Bands entdeckte ich erst so richtig, als mir immer wieder gesagt wurde, dass meine Songs deren Musik ähnlich seien.
Sind deine Freunde und deine Familie hin und wieder genervt darüber, dass du, wie du selbst sagst, ein «Eighties-Fetischist» bist?
(Lacht) Ich mag die Inszenierung und den Stil der 80er-Jahre. Gleichzeitig weiss ich aber, dass viele Dinge von damals Quatsch sind. Ich hänge nur den guten Seiten der 80er-Jahre nach. Deshalb nervt sich niemand über Eighties-Fetischismus.
Wo zeigt sich dein Eighties-Fetischismus am am stärksten?
Meine Texte schreibe ich lieber in mein Notizheft, als sie in den Computer zu tippen. Möglicherweise ist diese Vorliebe eher nostalgisch angehaucht, als dass sie etwas mit den 80ern zu tun hat.
Blöde Frage: War früher alles besser?
Definitiv nicht.
Früher hiess es, die Schweiz höre hinter Winterthur auf.
Den Spruch kenne ich. Ich kenne aber auch den «Klimawandel»-Song von Manuel Stahlberger, in dem er singt «und endlich ist auch das Rheintal verschwunden dank des Klimawandels».
Heute entwickelt sich die Ostschweiz mit Künstler*innen wie Priya Ragu aus St. Gallen, Marius Bear aus Enggenhütten AI und dir aus Balgach SG zu einem musikalischen place to be. Deine Erklärung, warum dem so ist?
Gegenfrage: Ist der regionale Aspekt wirklich so wichtig? Ich mag meine Heimat, aber auf mein künstlerisches Schaffen hat sie, glaube ich, nur bedingt Einfluss. Aber es ist wahrscheinlich schon so, dass die Landbevölkerung heute offener ist als früher.
War es vielleicht sogar von Vorteil, nicht in einer Grossstadt aufzuwachsen? Also im Sinne von: Du konntest deiner Fantasie freien Lauf lassen, ohne von irgendwelchen Trends geleitet zu werden?
Ich denke, es hatte durchaus seine Vorteile, auf dem Land aufzuwachsen. Als Landei musste ich irgendwann das Ellbögeln lernen, etwa um mir einen ersten Gig in der Stadt zu ergattern. Das erste Konzert in St. Gallen zusammen mit meiner Band war auf jeden Fall ein Riesending für uns.
Das Problem war vielmehr: Wir waren nicht so gut, wie wir dachten. Zudem machten wir uns viel zu viele Gedanken über unsere Kostüme.
Welche Ostschweizer Musiker*innen sollte ich deines Erachtens auf meiner Unbedingt-einmal-reinhören-Liste eintragen?
Es gibt eine Rheintaler Band, die sich vor Kurzem umbenannt hat, und jetzt unter dem Namen «Bahnhofbuffet Chancental» sehr coole Grunge-Mundart-Musik macht.
Dein Lieblingsort in Balgach?
Der Brunnen auf dem Dorfplatz. Dort trafen wir uns nach der Schule und gingen in der naheliegenden Käserei chrömle.
Wenn ein/e Tourist*in sich nach Balgach verirren würde, was würdest du ihr/ihm unbedingt zeigen wollen?
Ich würde ihm das Rebenhäuschen zeigen, ein kleines, rotes Häuschen am Hügel oben. Mein Grossvater behauptete immer, dort wohne eine Hexe, was ich als Kind natürlich total spannend fand. Zudem bietet das Rebenhäuschen eine tolle Aussicht über das Rheintal.
Du könntest dem/der Tourist*in auch die Kirche zeigen, wo du einst deine Karriere als Sänger gestartet hast.
Das könnte ich tun. Aber die Kirchen in Balgach sind nicht spektakulär.
Bitte erzähl trotzdem noch etwas mehr über deine Zeit im Kirchenchor.
Meine Motivation als Teenager, Mitglied des Kirchenchores zu sein, hatte auch finanzielle Gründe. Pro Auftritt verdienten wir 20 Franken. Damit finanzierte ich mir die Süssigkeiten, die ich in der Käserei kaufte. Wir waren zudem kein typischer Kirchenchor, sondern sangen auch Songs von Robbie Williams und den Red Hot Chili Peppers.
Glaubst du an Gott?
Ich bin kein gläubiger Mensch.
Crimer ist dein Künstlername. Wie bist du darauf gekommen?
Ich schrieb spannende Namen in mein Notizheft, bis ich feststellen musste: Die sind alle schon in Gebrauch. In der Folge setzte ich einzelne Buchstaben an bestehende Wörter an – und so wurde aus dem Wort «Crime» irgendwann «Crimer». Crimer klingt nach Chromstahl und es wäre auch ein cooler Name für einen Superhelden. Das Notizbuch mit den möglichen Künstlernamen besitze ich übrigens heute noch.
Ursprünglich nanntest du dich Batman. Wieso nicht mehr?
Du sprichst die Auseinandersetzung mit DC-Comics an. Die drohten mir mit einem Rechtsstreit, wenn ich den Namen nicht wechseln würde.
Hast du ein Hit-Shirt, also ein Shirt, in dem du dich komponierend besonders wohlfühlst?
Ich trage gerne Rollkragenshirts.
Wie heisst die letzte Zeile des Liedes, das du zuletzt komponiert hast?
I wanna drag your heart through the rain, that's where you get those muddy stains.
Dein Lied «Never enough» handelt davon, dass du als Teenager auf einen Internet-Grüsel hereingefallen bist. Willst du mehr darüber erzählen?
Diese Person, ich nehme an, es war ein Mann, hat mir sehr schnell sehr anzügliche Bilder von Frauen geschickt. Zudem wollte sie, dass ich die Kamera einstelle. Zuerst sagte ich Nein, dann tat ich es trotzdem. Kaum hatte ich es getan, war die Person verschwunden. Die Sache hat zum Glück kein wirklich schlimmes Ende genommen, aber am Ende musste ich realisieren: Der Typ hat mich total verarscht.
Welchen Dämonen jagst du in deinem Song «My Demons» hinterher?
Den Dämonen des Selbstzweifels – also den bösen Geistern im Kopf, die einen immer wieder klein machen wollen. Ich glaube, die kennt jede und jeder von uns.
Du hast einmal gesagt, der Schweizer Musikmarkt sei funktionalistisch. Dass viele Bands ihre Lieder so bauen, dass sie möglichst oft ins Radio kommen. Wie muss denn ein Song gebaut sein?
Jesses, was ich manchmal so alles in Interviews erzähle. Hätte ich eine Antwort auf diese Frage, würden meine Songs öfter im Radio gespielt (lacht).
Deine Erklärung, warum Sänger beim Singen oft die Augen schliessen?
Während ich die Augen geschlossen halte, fühle ich mich weniger exponiert auf der Bühne. Bei einem Disco-Song würde ich sie allerdings niemals schliessen. Ich kann sonst die Emotionen des Publikums nicht richtig lesen und nicht von der Energie zehren, die während eines Konzertes spürbar ist.
Was ist das Peinlichste, das dir je auf einer Bühne passiert ist?
Normalerweise sind wir während eines Auftrittes voll konzentriert und kommunizieren nur mit Gesten und Blicken. Aber einmal winkte mich der Keyboarder hektisch zu sich. Ich dachte schon, ihm sei schlecht geworden oder sein Instrument funktioniere nicht mehr, aber er sagte nur: «Deine Hose ist gerissen.»
Wirklich wahr, dass sich kürzlich ein Fuchs in euren Bandraum verirrt hat?
Das stimmt. Zum Glück habe nicht ich ihn entdeckt. Ich hätte mir vor Angst sicher in die Hose gemacht. Das Tier war leider sehr krank, das war auch der Grund, warum es sich in den Keller verirrt hat, und musste in der Folge von einem Wildhüter eingeschläfert werden.
Vor welchen Tieren hast du Angst?
Grosse Spinnen mag ich nicht.
Liest du Kritiken?
Ja.
Was dachtest du, als der «Musikexpress» über dein Konzert im Berliner Indie-Keller «Urban Spree» schrieb: «Das Publikum ist freilich ausgerastet – wie es das meistens tut, wenn Crimer zwischen Kopfstimme und Basstonlagen changiert, wie nur er es kann.»
Endlich ist es einmal jemandem aufgefallen (lacht).
Und ernsthaft?
Ich reize die beiden Stimmlagen gern aus und deshalb finde ich es natürlich schön, wenn das jemandem positiv auffällt. In Berlin war an jenem Abend aber noch aus einem anderen Grund eine grossartige Stimmung. Ich habe eine kleine Fanbase in Polen und Russland, die immer wieder an meine Konzerte kommen und dort für viel Stimmung sorgen.
Welchen Song würdest du gern einmal covern?
Ich würde gern «Join me» von Him covern. Ich denke, das Lied würde mir auch stimmlich gut liegen.
Welche Cover-Version ist für dich die Mutter aller Cover-Versionen?
So ist es. Zudem wurde das Video dazu teilweise in der gleichen Location aufgenommen wie unser Song «Brotherlove», der 2018 erschienen ist. Aber Fakt ist: Milky Dimaond ist eine grossartige Dragqueen. Ich wurde auf sie vor fünf Jahren aufmerksam, als ich ein Video von ihr sah, in dem sie sich ihr Gesicht mit zwei Lippenstiften malträtierte. Da wusste ich sofort, mit diesem Menschen will ich zusammenarbeiten.
Zum Schluss gibt es jetzt noch den grossen Self-Rating-Test: Du schätzt dein Talent zwischen zehn Punkten, supertolle Begabung, und null Punkten, keine Begabung, ein: Unterwäsche-Model.
Ein Punkt. Ich würde mich schon als Unterwäsche-Model zur Verfügung stellen, wenn ich angefragt würde. Ich denke aber, ich entspreche nicht den üblichen Vorstellungen für diesen Job.
Migros-Kind?
Fünf Punkte. Seit ich in Zürich leben, gehe ich ab und zu auch in der Migros einkaufen. Während der Kindheit in Balgach lag die nächste Coop-Filiale näher.
Queer Artist?
Ich mag das Gender-Spiel. Sieben bis acht Punkte.
Gärtner?
Null-Komma-Punkte. Bei mir überlebt nicht einmal der Basilikum in der Küche.
«Was brauche ich zum Popstar?» – «Ein, zwei Stunden»
Als Kind träumte er davon Popstar zu werden. Jetzt hat er sich den Traum erfüllt: blue News Redaktor Bruno Bötschi ging ins Tonstudio, um einen Song aufzunehmen.
16.11.2021
Der «Bruno Bötschi»-Newsletter
Verpasse ab sofort keinen Text mehr von Bruno Bötschi.