Kolumne Apropos Postauto – mit Korruption im Kulturbetrieb kenne ich mich aus

Von Michael Angele

12.5.2020

Ascona, wie unschuldig der Blick auf die Piazza. Unkorrumpierbar schön.
Ascona, wie unschuldig der Blick auf die Piazza. Unkorrumpierbar schön.
Bild: Getty Images

Unser Berner in Berlin wurde zweimal zum Literaturfestival in Ascona eingeladen, ein drittes Mal nicht mehr. Und jetzt kommt das Schweizer Postauto ins Spiel und die Korruption im Kulturbetrieb und, und, und ...

Gestern noch hielt ich in der Einöde um Berlin eine Lobrede auf das Schweizer Postauto. Es kommt dreissigmal am Tag und ist immer pünktlich, wohingegen der Bus im Brandenburgischen Nirgendwo (wo ich im Moment lebe) nur zweimal am Tag erscheint – um fünf Uhr in der Früh und um 14 Uhr am Nachmittag. Wenn er denn überhaupt kommt.

Völlig vergessen hatte ich dabei den Subventionsskandal um das Postauto. Nun wurde ich daran erinnert. Man liest von einer merkwürdige Wendung in diesem Fall, der ja durch das Bundesamt für Verkehr (BAV) aufgedeckt wurde.

Die Bundesanwaltschaft geht nämlich dem Verdacht nach, dass beim BAV selbst nicht alles korrekt abgelaufen sein könnte. Konkret sollen BAV-Angestellten «kostspielige Einladungen ans Filmfestival in Locarno TI mit Essen und Übernachtung angeboten worden sein».

Grosse Erwartungen

Ich verstehe das nicht. Und ich darf sagen: Mit Korruption im Kulturbetrieb kenne ich mich ein wenig aus. Sie läuft wie überall nach dem Muster: Eine Hand wäscht die andere.

Bei einem Festival läuft das so, dass ein Festival, das etwas auf sich hält, die Kulturjournalisten der wichtigen Zeitungen der Welt – oder wenigstens der deutschsprachigen Welt – einlädt und «Essen und Übernachtung» und eigentlich auch die Anreise übernimmt. Dafür wird eine lobende Berichterstattung erwartet. Manchmal wird auch einfach nur eine Berichterstattung erwartet, denn ein Festival, das in der Zeitung nicht erwähnt wird, kann man vergessen (und vergisst es auch).

Kommen wir zu Ascona. Ich wurde zweimal zum Literaturfestival in dieser wunderschönen kleinen Stadt an den Gestaden des Lago Maggiore eingeladen.

Einmal wurde ich für lau im traumhaften Bauhaus-Hotel auf dem Monte Verita untergebracht, ein anderes Mal in einem nicht minder traumhaften Hotel am See, in dem auch die Nationalmannschaft während der EM 2008 residiert hatte, die deutsche.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, was ich so kompensierte, dass ich das eine Mal recht kritisch über das Festival schrieb, und das andere Mal nur am Rande. Ein drittes Mal wurde ich nicht eingeladen. Nun, das ist der Preis, den man für sein schlechtes Gewissen zu bezahlen hat.

Ins eigene Fleisch schneiden? Mmh ...

Das ist nur eines von vielen Beispielen für Korruption im Kulturbetrieb. Ein anderes Beispiel, das allen eine Warnung sein sollte, kommt aus der Luftfahrt.

Jahrelang konnten Menschen mit einem Journalistenausweis manchmal gratis oder zu einem lächerlich geringen Preis mit Air Berlin fliegen. Ich reiste so viele Male in die Schweiz!



Natürlich erhoffte man sich bei Air Berlin eine günstige Berichterstattung von uns Journalisten, wenn es einmal hart auf hart gehen sollte. Irgendwann einmal war dennoch Schluss mit dem Journalistenbonus. Und irgendwann einmal war dann auch Schluss mit Air Berlin – die Fluglinie groundete bekanntlich.

Ich denke nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Konkurs von Air Berlin und dem Ende der Journalistenrabatte gegeben hat. Das Konzept war einfach nicht zeitgemäss, zu teuer für eine Billiglinie, zu billig für Luxus. Air Berlin ist das Opfer eines allgemeinen Trends geworden.

Ich glaube sowieso, dass Korruption überschätzt wird. Ein bisschen so wie die Werbung. Als Journalist sollte man es nur nicht zu laut sagen, sonst schneidet man sich ins eigene Fleisch.

Aber warum genau das Filmfestival von Locarno Mitarbeiter des BAV mit gutem Essen und schönen Übernachtungen gelockt haben soll, habe ich immer noch nicht kapiert. Damit diese den Postautoverkehr in einen Shuttleservice von der Piazza Grande zu den Luxushotels in den Hängen über der Stadt umfunktionieren, in denen die geschmierten Journalisten untergebracht sind? So in der Art? Was verstehe ich nicht?

Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele bildet zusammen mit Jakob Augstein die Chefredaktion der Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt».

«Die Kolumne»: Ihre Meinung ist gefragt

In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion2@swisscom.com

Das sind die verrücktesten Pflanzen der Welt

Zurück zur Startseite