Die KolumneAchtung, die Mami-Taxis sind wieder unterwegs!
Marianne Siegenthaler
19.8.2018
Kaum sind die Ferien zu Ende, machen sie wieder die Strassen und Trottoirs rund um die Schulhäuser unsicher: die Taxi-Mamis.
Entweder waren unsere Eltern total naiv, es war ihnen einfach egal oder sie hatten blindes Gottvertrauen. Wie anders lässt es sich erklären, dass sie uns Kinder mutterseelenalleine auf den Chindsgi- und Schulweg schickten? Uns all den Gefahren aussetzten, die es auch damals schon gegeben hat?
Wir mussten gefährliche Strassen überqueren und hatten noch nicht mal Vortritt auf dem Fussgängerstreifen. 30er-Zonen gab es nicht, dafür den aggressiven Bauernhund, bei dem man nie wusste, ob er angekettet war oder vielleicht doch nicht. Und dann war der Schulweg auch noch so lang, dass wir mit unsere kurzen Beinchen ewig hatten, bis wir endlich angekommen waren.
Trotzdem haben wir jede Sekunde genossen. Schulweg bedeutet Freiraum. Keine Erwachsenen weit und breit, die uns kontrollierten. Und das nutzten wir aus. Wir wagten uns auf den gefrorenen Mühliweiher, obwohl das strengstens verboten war. Wir riefen laut all die grusigen Wörter, für die uns zuhause das Sackgeld gestrichen worden wäre.
Und wir stritten auch. Passten den Küde mit seinen Getreuen ab und bewarfen sie mit Tannzapfen. Oder rieben ihnen Hagebutten auf die nackten Arme und Beine. Und wir dachten uns jede Menge Tricks aus, um möglichst viel Zeit mit dem (heimlichen) Schwarm auf dem Nachhauseweg zu verbringen. Kurz: Der Schulweg war für mich während der ganzen Schulzeit mit Abstand das Beste – ausser den Ferien.
20 Meter Schulweg
Davon ist heute nicht mehr viel geblieben. Gerade mal 20 Meter lang ist der Schulweg mancher Kinder. Und das noch nicht einmal unbeaufsichtigt. Denn kaum aus den Blicken der Mütter, sind die Kinder schon wieder im Fokus der Lehrperson. Oder umgekehrt. Die Mamis stehen mit ihren Autos auf den Parkplätzen und Trottoirs rund um die Schulhäuser, um ihren Goldschatz sicher in die Schule beziehungsweise nach Hause zu bringen.
Zwei- bis viermal täglich spielt sich denn auch vor meinem Bürofenster die gleiche Szene ab. Eine nach der anderen fährt auf einen privaten Parkplätz ganz in der Nähe der Schule. Da parkiert sie mehr oder meist weniger gekonnt ihren SUV und lässt das Kind aus- oder einsteigen. Danach wird jede Tür sowie die Heckklappe mindestens einmal aufgerissen und wieder zugeschletzt. Dann aber schnell zurück in den Wagen, Rückwärtsgang rein und weg.
Ob da noch irgendwelche Kinder zu Fuss unterwegs sind, kümmert keine. Es ist ihnen einfach egal. Mir aber nicht. Darum habe ich auch mal eine von den Taxi-Mamis angesprochen, nachdem sie ein Kindergartenkind rückwärts beinahe überfahren hätte. Ich soll mich um meinen eigenen Kram kümmern, tönte es. Naja.
Da frage ich mich doch, wie blöd man sein muss, um nicht einzusehen, dass gerade die Mami-Taxis die wohl grösste Gefahr auf dem Schulweg sind. Weil sie das Trottoir zuparken. Weil sie rückwärts fahren, ohne sich umzudrehen.
Weil sie wilde Wendemanöver machen, die die Fussgänger zum Ausweichen zwingen. Weil sie mit Tempo 50 durch die 30er-Zone brettern. Und weil sie ständig abgelenkt sind durchs Telefonieren mit dem Handy. So viel Rücksichtslosigkeit und Ignoranz ist erstaunlich.
Inszenierung als Super-Mutter
Und ich schliesse daraus, dass es nicht nur um die Sicherheit des eigenen Kindes geht. Vielmehr sind diese Taxidienste auch als Beschäftigungsprogramm wichtig. Einen Job haben diese Mamis ja wohl kaum, denn das lässt sich mit den Taxidiensten nicht vereinbaren. Es sei denn, sie sind Bestseller-Autorinnen. Oder freischaffende Kompost-Beraterinnen. Aber zum Glück geben die fixen Bring- und Hol-Termine dem ereignislosen Alltag Struktur.
Und die Möglichkeit, sich als Super-Mami zu inszenieren: Im Gegensatz zu anderen Müttern nehmen sie sich viel Zeit und betreiben einiges an Aufwand, um ihre Kinder bestmöglich in ihrem harten Alltag zu unterstützen. Und das, obwohl sie weiss Gott noch anderes zu tun haben.
Darum sind sie auch ständig in Eile. Um nicht zu spät zur Yoga-Stunde zu kommen. Oder zum Guafför. Oder zum Kaffeeplausch mit Freundinnen. Also Gang rein, Sonnenbrille auf die Nase, Handy ans Ohr und Gas geben. Denn beim Fahren kann man doch grad noch ein paar wirklich wichtige Dinge per Smartphone erledigen. Leben retten zum Beispiel. Oder zumindest Jobs. Oder die Welt.
Scherz beiseite. Vermutlich quasseln sie mit einer Freundin. Oder bestellen die Pizza fürs Mittagessen. Oder reservieren einen Termin für die Lymphdrainage. Und sind so bestens beschäftigt bis zu ihrem nächsten Einsatz vor dem Schulhaus.
Zu Fuss geht auch
Es ist ja nicht so, dass ich kein Verständnis habe für Ängste von Müttern und Vätern. Ich habe selber eine Tochter, um die ich mich sorgte, wenn sie auf dem Schulweg unterwegs war. Darum habe ich sie anfangs auch begleitet – zu Fuss, das geht auch.
Im schweizerischen Durchschnitt sind die Schulwege weniger als 1,5 Kilometer lang. Fast die Hälfte ist sogar kürzer als 500 Meter. Das ist zu schaffen. Auch für kleinere Kinder. Dem Mami oder Papi schaden ein paar Schritte zu Fuss ganz bestimmt auch nicht. Und man kann miteinander reden. Ja, genau. Miteinander. Von Mensch zu Mensch. Ganz ohne Handy. Irgendwann schafft das Kind den Schulweg dann auch alleine oder zusammen mit anderen Kindern.
Und macht da sicher auch Dinge, die die Eltern oder Lehrer verboten haben. Gut so. Ein bisschen Freiraum braucht jedes Kind. Und dieser darf nicht durch die Rücksichtslosigkeit und Arroganz der Taxi-Mamis eingeschränkt werden – weder bei deren eigenen Kindern noch bei den Gspänli.
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