Doku «Es geschah am ...»: Quoten mit Katastrophen

Von TV-Experte Gion Mathias Cavelty

8.9.2019

Diese Woche hat SRF eine neue Dokudrama-Reihe mit dem Titel «Es geschah am ...» lanciert. Darin werden in loser Folge Ereignisse der jüngeren Schweizer Geschichte thematisiert. Dies mithilfe nachgestellter Spielfilm-Szenen und Aussagen von echten Beteiligten, Opfern und Augenzeugen.

Klingt auf den ersten Blick spannend – schauen wir uns das Ganze näher an.

Erstens einmal: Der Name der Sendung. Wer eine TV-Produktion mit «Es geschah am ...» betitelt, hat vor allem eins im Sinn: Im potenziellen Zuschauer diffuse Beklemmung aufkommen lassen, denn natürlich denkt dabei jeder sofort an den Krimiklassiker «Es geschah am hellichten Tag», in dem das Thema Kindsmord im Zentrum steht.

Zweitens: Der Untertitel – «Der Geisterzug von Spiez». Grusel, Grusel! Das «Schreckmümpfeli» lässt grüssen.

Drittens: Das Sendungslogo. Es passt perfekt zum Titel, denn es sieht aus wie das eines Horrorfilms aus den 1960er-Jahren. Auch hier wird wieder das Signal gesetzt: Nervenkitzel auf Teufel komm raus.

Viertens: Das Datum der Erstausstrahlung – Samstagabend, 7. September 2019, 20.10 Uhr. Die Zeit also, an der sich früher Gross und Klein vor dem Fernseher in der Stube versammelte, um sich an Familientauglichem zu erfreuen: Unterhaltung, Quizshows, gespickt mit Sketchen, Bauchrednern, Tieren, gerade angesagten Pop-Stars et cetera.

Ein Zug. 300 Tonnen. Drei Männer

Doch am letzten Samstagabend: Nix Büetzer Buebe, nix Kliby und Caroline, nix Hackbrett-Trio Fidibus, sondern (Zitat aus dem Teaser): «Ein Zug. 300 Tonnen. Drei Männer. Donnern ungebremst ins Tal». Das klingt nach Unheil! Das klingt nach Zerquetschtwerden! Das klingt nach durch die Luft fliegenden Körperteilen! Das klingt nach Quoten!

Und tatsächlich ging es in «Der Geisterzug von Spiez» um die als «der Eisenbahnunfall von Dürrenast» bekannte Katastrophe in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2006, bei der ein Dienstzug mit kaputten Bremsen in einen stehenden Bauzugwagen donnerte und die drei im Dienstzug sich befindenden Männer (zwei BLS-Lokführer sowie der Mitarbeiter einer privaten Baufirma) den Tod fanden.

Diese Katastrophe wurde nun in sagenhaften 106 Minuten rekonstruiert, und die Hauptfrage, die sich dabei stellte, war: Ist es das, was das Schweizer Fernsehen unter «Bildung» versteht? Wenn ja: Was sollte man aus dem Ganzen lernen? Und warum wurde das Drama gerade jetzt thematisiert? Ein aktueller Anlass war weit und breit nicht auszumachen.

Die beste Variante erwischt?

Nun: Die eigentliche Produktion nahm sich professionell-solid aus; das Tempo der Inszenierung war gemächlich und bei der Fahrt ins Verderben durchaus hollywoodmässig; die Schauspieler (besonders zu erwähnen sind Daniel Mangisch und Gian Rupf): glaubwürdig, bodenständig; die Interview-Sequenzen mit den realen Zeitzeugen (Sicherheitswärtern, Einsatzleitern, Betriebsleitern etc.): nüchtern, sachlich; besonders berührend: die Erinnerungen von Patricia Winter, die Tochter des tödlich verunglückten Lokführers Niklaus Winter, an ihren Vater.

Im Lauf der Handlung geriet der Zuschauer tatsächlich in den von den Produzenten kalkulierten Sog; er begann sich Fragen zu stellen wie: Hätte der Unfall nicht verhindert werden können? Wurden die Bremsprobe vom stets top-zuverlässigen Otto Henzen wirklich seriös genug durchgeführt? Hätte man einen Sprung vom rasenden Zug unter Umständen überleben können? Hätte es eine Möglichkeit gegeben, den Zug so umzuleiten, dass er … et cetera.

«Es gab nur schlechte Varianten», resümiert Disponent F.T. am Schluss über die verschiedenen Möglichkeiten, den Zug zum Stoppen/Entgleisen zu bringen, «Aber vielleicht haben wir von diesen schlechten Varianten noch die beste erwischt.»

Der Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe (UUS) lässt – zumindest nach Meinung des Chefredaktors der Schweizer Eisenbahnrevue, Walter von Andrian – «sehr viele Fragen» offen.

Wie wird es weitergehen mit «Es geschah am ...»? Hier meine Tipps für die nächsten SRF-Sensationslust-Befriedigungs-Produktionen:

- «Es geschah am … Der Grossbrand von Schweizerhalle»
- «Es geschah am … Der Vierfachmord von Rupperswil»
- «Es geschah am … Mord im Vatikan: Drama um den Schweizer Gardisten Tornay»
- «Es geschah am … Das Zuger Attentat vom 27. September 2001»
- «Es geschah am … Der Massenexit der Sonnentempler» 
- «Es geschah am … Der Kaiman vom Hallwilersee»

Auf jeden Fall bin ich mir sicher: Wir können uns auf viele weitere fröhliche Samstagabende mit dem Schweizer Fernsehen freuen!

«Es geschah am …» lief Samstag, 7. September, um 20.10 Uhr auf SRF1. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tagen nach der Ausstrahlung anschauen.

Mit Zug und Schiff durch Norwegen.

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