Automaten-Würste, Witze und Spinner Darum war der Münchener «Tatort» zum Phänomen «Reichsbürger» so gut

tsch

31.5.2018

Ein Gesellschaftskrimi, so wie er sein sollte: Der Münchener «Tatort: Freies Land» zum Phänomen «Reichsbürger» betrieb nicht nur politische Aufklärung auf hohem Niveau – er leistete sich zudem subtile Spässe.

Was war los?

Florian Berg lag tot in seiner Münchener Badewanne. Seine Pulsadern waren aufgeschnitten, doch die Tatwaffe fehlte. Florians Mutter beschuldigte die Freiländer, eine Reichsbürger-artige Aussteigertruppe, den Sohn umgebracht zu haben. Dort war der Tote bis vor kurzem als Buchhalter tätig gewesen. Die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) mussten «den Münchener S-Bahn Bereich» notgedrungen verlassen, um dort zu ermitteln, wo Deutschland ein bisschen nach Endzeit aussah. Und das nicht nur im gesellschaftlichen Sinne.

Was wollen die «Reichsbürger»?

Eine einheitliche Bewegung oder gar Partei der «Reichsbürger» existiert nicht. Gemein ist der losen Gruppe ihr Weltbild, das sich aus rechtsextremem, rassistischem, aber auch esoterischem Gedankengut speist. «Reichsbürger» erkennen die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht an. Bisweilen gründen sie – so wie im «Tatort» – eigene Staaten, die sich gegen Deutschland und seine Justiz abzuschotten versuchen. Basierend auf derzeit wieder ungeheuer populären Verschwörungstheorien und «alternativen Fakten» spricht die «Reichsbürger»-Ideologie den Wunsch nach Gemeinschaft, Solidarität und einem gesellschaftlichen Neustart an.

Wie stark sind die «Reichsbürger» wirklich?

Etwa 15'000 Menschen rechnete der Verfassungsschutz im September 2017 der Gruppierung zu. Tendenz: stark steigend. Etwa 1000 unter ihnen gelten als rechtsextrem und gewaltbereit.

Wie waren die Kommissare in Form?

Schlecht – und das war gut. Durch die Augen von Batic und Leitmayr erlebte der Zuschauer die Ohnmacht des Rechtsstaates gegenüber der aggressiven Verweigerungshaltung der Freiländer. So wie die «Tatort»-Kommissare im Film werden auch echte Polizeibeamte im Umgang mit Reichsbürgern angewiesen, sich auf keinerlei Provokationen einzulassen und das Gesetz schnörkellos durchzusetzen. Dass Nüchternbleiben trotz Piesacken und Paragrafendreherei schwierig ist, zeigte vor allem Franz Leitmayr in einer starken Szene, als er die Fassung verlor und fast zum Prügelpolizisten wurde.

War es der erste Fall von Batic und Leitmayr, der fast komplett ausserhalb Münchens spielte?

Im Prinzip ja. Einzig der «Tatort: Allmächtig» vom 22. Dezember 2013, der von der Ermordung eines populären Reality-Stars erzählte, ist bedingt vergleichbar. Er entstand über weite Strecken in Bayrischzell, hatte aber mehr Münchener Szenen als «Freies Land», der 78. Fall des seit 1991 in Amt und Würden befindlichen Ermittlerduos.

Wer waren die Macher des «Tatorts»?

Drehbuchautor Holger Joos («Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz») beging nicht den Fehler, die Reichsbürger von Anfang an in die böse Ecke zu stellen. Deren von Andreas Döhler («Millionen») gespielter Anführer schaffte es bei einer Infoveranstaltung in der Dorfkneipe, nachvollziehbare Begeisterung und Aufbruchsstimmung für ein neues Leben zu vermitteln. Joos' Drehbuch gelang es auf diese Weise, das Verführungspotenzial des Reichsbürgergedankens zu transportieren. Regie führte der routinierte, vielfach preisgekrönte Regisseur Andreas Kleinert («Mein Vater», «Klemperer»).

Warum machte dieser «Tatort» auch Spass?

Zwischen der klugen Analyse des Phänomens Reichsbürger nahmen sich Autor Joos und Regisseur Kleinert Zeit für sinnliche Figuren und Spässe: Der stets Schweinsbraten essende Dorfpolizist Mooser – Symbol für einen Rechtsstaat, der aufgegeben hat – wurde grossartig vom niederbayerischen Kabarettisten Sigi Zimmerschied verkörpert. Die vor Staub starrenden Szenen im «Staat» Freiland erinnerten an eine Mischung aus Amish People und das letzte Abendmahl Jesu Christi. Ein seltsam aus der Zeit gefallenes Ambiente, das sowohl ein visionäres Versprechen als auch dessen Scheitern bebilderte. Selbst die Figur des verrückten Alten machte Spass: Als Leitmayr und «Catweeazle» Alois (Peter Mitterrutzner) am hochsommerlichen Sees über Wahrheitstheorien diskutieren, war das nicht nur Philosophie-Wissenschaft in verständlichen Worten, sondern auch lustig. Schlagt die Feinde der Demokratie - mit Sinn und Sinnlichkeit.

Wir vergeben eine 6.

Der «Tatort: Freies Land» lief am Sonntag, 3. Juni, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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