Meryl Streep im Interview «Meine Knie taten fünf Monate lang weh»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

11.12.2020

«Also ich schau den nur, wenn meine Familie das am Weihnachtstag will»

«Also ich schau den nur, wenn meine Familie das am Weihnachtstag will»

Das Musical «The Prom» feierte kürzlich Premiere auf Netflix. Was kann der Film bieten? Vania und Anthony sind unterschiedlicher Meinung über die wahre Geschichte. Stars hat er ja genug: Meryl Streep, Nicole Kidman und James Corden.

18.12.2020

Und hoch das Tanzbein! Meryl Streep, 71, erklärt, wie sie sich für das schrille Musical «The Prom» fit machte und warum sie Weihnachten höchstens mit der halben Familie feiern kann.

Meryl Streep, erinnern Sie sich an Ihren ersten Schulball, also Ihren ersten «Prom»?

Ja, ich war vierzehn Jahre alt und ging mit einem achtzehnjährigen Jungen hin! Ich war sehr aufgeregt. Meine Mutter hatte mir ein schönes Kleid mit Spaghetti-Trägern geschneidert und mein Haar war perfekt frisiert. Er hielt mir die Auto-Tür auf, und als ich mich auf den Sitz plumpsen liess, rissen die Spaghetti-Träger! Ich musste den ganzen Abend mit den Armen an die Seite geklemmt tanzen, denn ich hatte keine Oberweite, die das Kleid sonst gehalten hätte …

In «The Prom» spielen Sie die narzisstische Musical-Diva Dee Dee Allen. Wer hat Sie für die Rolle inspiriert?

Momentan muss man ja nicht weit für eine narzisstische Vorlage suchen gehen – die haben wir in der Politik (lacht). Viele Leute im Showbusiness, im Theater und in Filmen mögen wie Narzissten wirken, aber das ist ein Deckmantel für Unsicherheit. Wenn sie sagen, sie seien schüchtern, ist das nicht gelogen. Die Bühne gibt ihnen die Möglichkeit zu tun, was sie im Leben nicht tun würden. Dee Dee ist jedenfalls die Art Diva, die ich gern wäre. Ich wünschte, ich könnte einfach in einen Raum treten und ihn beherrschen. Aber dieses Talent habe ich nicht.

Ihre jüngeren, weniger erfahrenen Co-Stars denken sicher anders über die grosse Meryl Streep. Spüren Sie das nicht?

Manchmal schon, aber da muss man in den ersten zwei Arbeitstagen darüber hinwegkommen. Ich habe mich nie als etwas anderes als eine arbeitende Schauspielerin gesehen und ich glaube auch meine eigene Presse nicht. Schauspielerei bedeutet zuhören und fühlen. Nur schon dadurch bleibt man auf dem Boden.

Sie singen und tanzen in «The Prom». Wie anstrengend war das für Sie?

Meine Knie taten fünf Monate lang weh! Ich brauchte wirklich Durchhaltevermögen und Kraft. Fünf Tage die Woche bin ich deshalb eine Meile geschwommen. So konnten meine Lungen bei den Nummern mithalten. Gesungen habe ich immer sehr gern. Leider geht das jetzt nicht mehr gemeinsam in einem Raum wegen Covid.

Wie nehmen Sie die Corona-Krise wahr?

Als eine Art Züchtigung. Wir haben in den USA über eine Viertelmillion Menschen an Covid verloren. Und die Zahlen gehen immer noch nach oben, weil wir ermuntert wurden zu glauben, das Virus sei nichts. Dass wir wegen eines Führungsmangels so viele Leben verloren haben, ist sehr traurig. Aber wir werden auch diese Krise überwinden.

Was bedeuten die Massnahmen für Ihre Pläne über Weihnachten?

Vermutlich hocke ich in einem Hotel in Boston fest. Ich drehe hier einen Film und bin deshalb in Quarantäne. Aber mein Landhaus ist nicht weit weg, vielleicht kann ich da hin. Zwei Töchter arbeiten an Shows in New York und könnten auch hinfahren. Wir drei werden alle dauernd auf den Virus getestet und könnten also zusammen feiern. Der Rest der Familie ist in Kalifornien. Da ist momentan nichts zu machen.

Ihr Sohn ist Musiker und Ihre drei Töchter sind Schauspielerinnen. Wie begleiten Sie deren Karrieren heute?

Ich bin sehr stolz auf sie alle und dankbar, dass sie mir meinen überdimensionierten Platz in der Popkultur nicht übel nehmen. Aber sie tauschen sich eigentlich mehr untereinander aus, als dass sie mich etwas fragen. All die Jahre habe ich zu Hause immer den Begriff ‹DTM› gehört und wusste nicht, was es heisst. Inzwischen habe ich es herausgefunden: Es steht für ‹Don’t Tell Mom!›. Ich habe dafür immer auf die Lippen gebissen, wenn sie den falschen Freund hatten. Als Eltern muss man auch mal die Klappe halten können.

Ihre Tochter Grace hat mit Ryan Murphy bei «American Horror Story» zusammengearbeitet …

… genau, bevor er mir je eine Rolle anbot! Das gab etwas Spannungen zu Hause (lacht).

Das Broadway-Musical berührte den renommierten Showrunner und«The Prom»-Regisseur besonders, weil sein eigener Schulball damals homosexuelle Pärchen ausschloss. Im Stück will eine Gruppe von Broadway-Stars einem Mädchen helfen, den Schulball auch für ein lesbisches Paar zugänglich zu machen. Hoffen Sie, dass «The Prom» nicht nur Unterhaltung bleibt, sondern auch etwas bewegen kann?

Ja, denn es erkennen sich darin nicht nur Kinder wieder, die sich ausgeschlossen fühlen. Vielleicht realisieren Eltern dadurch auch, dass man mit Liebe statt mit Intoleranz führen kann. Ich glaube, dass wir uns zu unserem besten Selbst entwickeln müssen. Das braucht halt viel Zeit. Einer meiner besten Lehrer war Paul Grossman. Er war transgender, wurde zu einer Frau und deswegen entlassen. Wie heisst es jedoch: Der Bogen der Geschichte ist lang, aber er biegt sich Richtung Gerechtigkeit.

Sind Sie auch sonst optimistisch, was die Zukunft betrifft?

Ja. Es ist zwar noch nicht ganz vorbei, aber die Vernunft hat doch noch gesiegt in den USA. Expertise, Fakten und Wissenschaft werden es wieder einfacher haben. Und auch dieser Winter geht vorbei. Ein Film wie ‹The Prom› mit Gesang, Tanz und viel Freude ist genau das, was wir jetzt brauchen. Denn wir sehnen uns nach glücklicher Ablenkung – wie damals während der Grossen Depression, als die besten Musicals entstanden.

Langsam, aber sicher beginnt in Hollywood auch die Award Season. Was bedeuten Preise Ihnen als Oscar-Rekordhalterin noch?

Ich werde es nie überdrüssig, für die Arbeit ausgezeichnet zu werden. Man will ja auch, dass die Arbeit gesehen und geschätzt wird. Aber für Ariana DeBose und Jo Ellen Pellman, die beiden jungen Schauspielerinnen in ‹The Prom›, werden Preise zu diesem Zeitpunkt in ihrer Karriere unglaublich viel bedeuten. Ich kann es nicht erwarten, bis sie dieses Gefühl haben dürfen, gesehen und geschätzt zu werden.

«The Prom» läuft ab 11. Dezember auf Netflix.

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