TV-Kritik «Das Leben eines Betrügers»: Glücklich nur im Knast

Von Gion Mathias Cavelty

11.2.2021

«Freedom and Sunshine for Josef Jakob», fordert TV-Experte Gion Mathias Cavelty.

So, wieder einmal tüchtig etwas für die Tränendrüsen im Schweizer Fernsehen: der zweiteilige «DOK»-Film «Das Leben eines Betrügers», den Reporter Hanspeter Bäni in den Jahren 2005 bis 2019 gedreht hat. Logischerweise bezeichnet Bäni sein Werk dann auch als «Vermächtnis von einem, dem wohl nicht viele eine Träne nachweinen».

Allein im Zentrum stehend: Josef Jakob, der titelgebende Betrüger. 15 Jahre seines Lebens hat er im Gefängnis verbracht (Bäni: «Er veruntreute Geld und fälschte Urkunden. Vor allem Kleinanleger waren seine Opfer»), wobei er erst mit 40 Jahren «auf die schiefe Bahn» geraten sein will. Der Freiheitsentzug war für Jakob aber «keine Bürde», im Gegenteil: Er fühlte sich wie in einem «Erholungsheim» («Ich habe hier drin ein einigermassen geregeltes Leben. Ich habe dreimal am Tag eine warme Mahlzeit, ein warmes Bett, ich kann fernsehen, ich kann Stereoanlage hören, ich kann jassen, ich kann tschütterlen, ich kann zwischendurch in Urlaub, und dann habe ich erst noch 250 Franken Sackgeld. Das habe ich draussen eigentlich nicht»).

Kaum draussen, wieder ein Betrüger

2005 kam Jakob frei und betätigte sich flugs wieder als Vermögensverwalter (immerhin will er nach der Schule Wirtschaft studiert haben, wie er mit Nachdruck betont). Er mietete einen Bürokomplex und heuerte eine Sekretärin an. Das Startkapital stamme «von Leuten, die im Hintergrund bleiben wollen». «'s gaht immer guet, wenn de Jakob öppis macht», tönt er im Verlauf des Films. «Ich chönnt tagtäglich Millione verdiene.»



2007 wurde er wegen Verdachts auf mehrfachen Betrugs, mehrfache Urkundenfälschung und mehrfache Veruntreuung wieder verhaftet. Nach der Entlassung aus der U-Haft wurde ihm verboten, «weiterhin Geschäfte zu betreiben» (Bäni). Er wurde verurteilt und zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verknurrt.

2019 starb Jakob im Alter von 71 Jahren; begraben wurde er in einem Gemeinschaftsgrab, nicht einmal sein Bruder (den Jakob um sein Pensionskassengeld betrogen hatte) kam an die Beisetzung (Bäni aus dem Off: «Was ist das für ein Mensch, der seinen eigenen Bruder betrügt und darüber noch lacht?»).

Brutalität und Machtbesessenheit

Dies zur Vita Josef Jakobs. Die Frage, die an dieser Stelle interessiert: Lohnt sich das Anschauen des Zweiteilers?

Absolut, wie ich finde. Ganz generell mag man Geschichten über Betrüger. Insgeheim bewundert man sie und wie sie den Leuten «d Chöle zum Arsch useziehed» (Zitat Jakob). Wie sie der Welt ein Schnippchen schlagen; allen eine lange Nase drehen; et cetera.

Und Josef Jakob ist (respektive war) einfach ein «Typ». Nichts Elegantes, Raffiniertes oder Charmantes war an ihm, er war kein Felix Krull oder dergleichen; tatsächlich diagnostizierte er bei sich selbst «Brutalität und Machtbesessenheit» (Betrüger wie Josef Jakob seien «so ich-bezogen, dass die eigene Befindlichkeit alles ist und die aller anderen nichts», äussert sich der Psychiater Thomas Knecht im Film).

Das Interessante: Man hat gegen solche «Typen» keine Chance. Man wird von ihnen einfach plattgewalzt. Ich selbst kenne gleich zwei solcher «Typen» im richtigen Leben. De facto könnten sie mir alles andrehen, was sie wollen. Sie geben dauernd an, überhöhen sich ständig, lügen einem das Blaue vom Himmel herunter – aber man kann trotzdem nicht anders, als fasziniert zu sein von diesen, nun ja, Westentaschen-Donald-Trumps.



«Das Leben eines Betrügers» bietet dem Zuschauer die Möglichkeit, die brachialen Manipulationstechniken des Josef Jakob zu studieren. Wie er zum Beispiel Hanspeter Bäni die ganze Zeit herabwürdigt, indem er ihm konsequent einfach «Bäni» sagt; wie er ihn wissen lässt, dass er – als er noch «zu den oberen 20'000» gehört habe (was natürlich reines Wunschdenken ist) – sich nicht mit ihm abgegeben hätte; dabei ist die traurige Wahrheit die, dass Bäni viele Jahre die einzige Bezugsperson von Jakob war; der einzige, der ihn etwa an seinem 60. Geburtstag besuchte, wie im Film zu sehen ist.

Bis zum bitteren Ende

Jakob prahlt damit, mit Boris Jelzin, Slobodan Milošević oder den Bundesräten Gnägi und Celio verkehrt zu haben; mit Oswald Grübel will er geschäftet haben, als dieser der CS vorstand; natürlich bestreitet das Grübel auf Nachfrage des Reporters.

Tja. Und dann – dies ist im zweiten Teil der Doku zu sehen – erhält Jakob 2017 eine niederschmetternde Diagnose: Blasenkrebs; aber selbstverständlich nicht «nur» Blasenkrebs, sondern «die bösartigste Form von Blasenkrebs, die es gibt» (Zitat Jakob).

Und was ist sozusagen der letzte Wunsch des Todkranken? Achtung, Spoiler: Er will noch einmal den Direktor der Strafanstalt Saxerriet sehen, wo er 15 Jahre lang inhaftiert war. «Für mich isch das hüt wieder en schöne Tag. I gseh Sie wieder emal und cha mit Ihne diskutiere», lässt er Direktor Martin Vinzens (übrigens vor Urzeiten mein Religionslehrer in Chur) beim Treffen wissen. Vinzens: «Ein Ganove waren Sie schon immer – und das sind Sie offenbar geblieben.» – Josef Jakob: «Ja, das bin ich geblieben, bis jetzt.»

Damit meint er: bis zum bitteren Ende.

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