ESC-Finalist wieder zu HauseMarius Bear: «Nach dem Voting fiel ich in ein Loch»
Von Bruno Bötschi
17.5.2022
Der Eurovision Song Contest war eine Achterbahnfahrt für Marius Bear – nun ist er wieder daheim im Appenzellischen, wo er mit beiden Füssen fest auf dem Boden gelandet ist. Und sich an verrückte Wochen in Turin zurückerinnert.
Von Bruno Bötschi
17.05.2022, 16:44
18.05.2022, 09:29
Bruno Bötschi
Marius Bear, wie fühlt sich das Erlebnis Eurovision Song Contest 2022 an, nachdem du drei Nächte darüber schlafen konntest?
Immer noch total crazy. Der ESC in Turin ist das bisher grösste Erlebnis in meinem Leben.
Gestern warst du bei deinen Eltern in Enggenhütten im Kanton Appenzell Innerrhoden zum Mittagessen eingeladen.
Das stimmt. Meine Mam hat wunderbar gekocht. Danach habe ich ihr den Rasen gemäht, weil sie gerade etwas Probleme mit dem Knie hat. Das tat unheimlich gut. Nach so grossen Erlebnissen ist es extrem wichtig, wieder mit beiden Füssen auf den Boden zu kommen.
Wie zufrieden sind deine Eltern mit deiner ESC-Leistung?
Meine Eltern haben die Halbfinal- und die Finalshow live in Turin gesehen. Sie sind unheimlich stolz auf mich und finden, ich hätte es super gemacht.
Das Voting am Samstag fing grossartig an: Die Niederlande vergab zehn Punkten an dich und deinen Song «Boys Do Cry». Wie hast du diesen Moment erlebt?
Ich weiss nicht mehr, was ich gedacht habe. Ich war derart vollgepumpt mit Adrenalin. Alles fühlte sich wie ein Rausch an.
Wie viele Tränen sind geflossen, als du erfahren hast, dass dir das Publikum keinen einzigen Punkt vergeben hat?
Der ganze ESC war geprägt von ganz vielen Höhe- und Tiefpunkten. Ich gebe zu, nach dem Voting fiel ich in ein tiefes Loch.
Ich bin ein Künstler, der nach einem Auftritt fast immer das Gefühl hat, ich hätte es noch besser machen können. Aber als ich am Sonntag im Hotel in Turin meinen Auftritt angeschaut habe, musste ich sagen: Er war perfekt. Ich habe am Finalabend 200 Prozent gegeben und konnte den Plan so durchziehen, wie ich es seit einem halben Jahr im Kopf hatte. Schlussendlich ist es aber nicht richtig aufgegangen – also zumindest beim Publikum.
Ruhige Songs hatten es diesmal beim ESC-Publikum schwer.
Wir haben uns dafür entschieden, mit einem ruhigen und feinen Song nach Turin zu fahren. Hinter diesem Entscheid stehe ich nach wie vor.
Insider behaupten, deine grossartige Stimme sei mit dem Song «Boys Do Cry» unterfordert gewesen.
Wie gesagt, wir haben uns bewusst für einen tiefgründigen Song entschieden. Wir wollten das Gegenteil von dem machen, was normalerweise am ESC präsentiert wird. Für mich wäre es wahrscheinlich einfacher gewesen, eine grosse Ballade in Turin zu singen. Wir wollten Tiefe statt Feuerwerk präsentieren.
Welches war dein erster Gedanke, als du am Sonntagmorgen in Turin im Hotelzimmer aufgewacht bist?
Jetzt bin ich Künstler.
Das musst du erklären.
Ich mache seit fünf, sechs Jahren professionell Musik. Trotzdem fühlte ich mich in der Vergangenheit oft noch als Baumaschinenmechaniker, der auch Musik macht. Und deshalb: Der ESC ist das Beste, was mir in meinem bisherigen Künstlerleben widerfahren ist.
Unter die Haut gegangen ist mir der griechische Beitrag von Amanda Georgiadi Tenfjord. Absolut begeistert bin ich zudem von Sam Ryder aus Grossbritannien.
Und jetzt bitte noch ein Satz zum Siegersong «Stefania» vom Kalush Orchestra aus der Ukraine.
Es freut mich aus ganzem Herzen, dass die Ukraine gewonnen hat. Einerseits, weil ich den Song gut finde, andererseits aber auch, weil es eine wichtige Message an die Welt ist und Europa bewiesen hat, dass wir zusammenstehen, wenn es drauf ankommt.
Trotz der null Punkte des Publikums scheinst du nach wie vor ein grosser ESC-Fan zu sein. Was fasziniert dich am grössten Gesangswettbewerb der Welt?
Wie soll ich das erklären? Für mich haben sich die zwei ESC-Wochen in Turin wie eine wunderbare Wallfahrt angefühlt. Mir hat es total den Ärmel reingenommen.
Was war das absolut Verrückteste, was du in Turin erlebt hat?
Ach, es gab so viele verrückte Momente. Ich muss schnell überlegen …
... lass dir ruhig Zeit.
Ich habe in meinem Leben noch nie in derart kurzer Zeit eine solch grosse Gefühlsachterbahn erlebt. Ja, ich habe meinen Körper noch nie so stark gespürt wie während der zwei Wochen in Turin. Und weisst du was? Mein Bauch sagt mir, dass ich nicht das letzte Mal am ESC dabei war.
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