Sundance Film FestivalHalbschweizerin Geraldine Viswanathan verzückt Harry Potter
Marlène von Arx
29.1.2019
Shia LaBeouf versöhnt sich mit seinem Vater, Daniel Radcliffe glaubt nicht an Gott und Jake Gyllenhaal ist sauer auf Bradley Cooper – und was man sonst noch so erfährt am Sundance Film Festival in Park City, Utah.
Wieder einmal Sundance! Das bedeutet Schnee, sonnige Kälte, Warten an der Bushaltestelle und natürlich ganz viele Filme. Schon im Vorfeld wollten die Veranstalter des grössten amerikanischen Indie-Film-Festivals von den MedienvertreterInnen wissen, welchem Geschlecht, welcher Hautfarbe, welcher sexuellen Präferenz und welcher Minorität man sich zugehörig fühle. Die Angaben sind natürlich freiwillig. Aber man wollte auch bei der Presse Wert auf Diversität legen.
Ein Blick aufs Programm zeigt es dann deutlich: Weisse Männer müssen sich jetzt erst einmal hinten anstellen. Eröffnet wurde das Festival mit einem Geschlechter-Switch-Remake von «After the Wedding». Die amerikanisierte Version von Susanne Biers gleichnamigen dänischen Film von 2006 mit Mads Mikkelsen und Rolf Lassgard in den Hauptrollen, wurde nun mit Michelle Williams und Julianne Moore neu verfilmt. Williams hilft in Indien, ein Waisenhaus zu leiten und Moore spielt eine reiche Unternehmerin, die das Waisenhaus finanzieren will. Als Gegenleistung muss Williams zu einem persönlichen Treffen nach New York fliegen. Kurzfristig wird sie auch an die Hochzeit von Moores Tochter eingeladen, wo die Vergangenheit nicht nur Williams, sondern auch Moores Familie einholt. «Kaum zu glauben: Wir waren vor 23 Jahren zum ersten Mal zusammen in Sundance!», so Julianne Moore am roten Teppich mit Ehemann Bart Freundlich, der Regie führte. «Noch bevor wir Kinder hatten!»
Lügengebilde um eine Krebserkrankung
Neu in Sundance ist hingegen Regisseurin Lulu Wang, deren Familiendrama «The Farewell» der Komikerin Awkwafina («Ocean’s 8», «Crazy Rich Asians») eine Chance gibt, ihre ernsthafte Seite zu zeigen: «Basierend auf einer tatsächlichen Lüge», wie es im Vorspann heisst, erzählt die in Amerika aufgewachsene Lulu Wang die Geschichte nach, wie ihre geliebte Grossmutter in China mit Krebs diagnostiziert wurde und die Familie beschloss, der Kranken zu verheimlichen, dass sie nur noch wenige Monate zu leben hatte. Stattdessen wurde kurzfristig die Hochzeit eines Enkels arrangiert, damit die über den Erdball verstreute Familie von der Matriarchin unter einem glücklichen Vorwand Abschied nehmen konnte. Der Film befasst sich mit kulturellen Unterschieden und dem Vor- und Nachteil von Geheimnissen und Lügen, die nun wohl nur schwierig aufrecht erhalten werden können. Wangs ahnungslose Grossmutter ist nämlich auch sechs Jahren nach der Diagnose unter den Lebendigen und hat keine Ahnung, worum es im Film geht, den ihre Enkelin hier zu den Breakout-Filmemachern gekürt hat: «Zur Zeit debattieren wir in der Familie, was wir ihr jetzt sagen», so Wang schmunzelnd.
Eine weibliche Regisseurin, Alma Har’el, hat sich auch der Schauspieler Shia LaBeouf für seine Biographie «Honey Boy» ausgesucht, die er selber aufs Drehbuch-Papier brachte und in der er seinen eigenen Vater, einen Alkoholiker und Gelegenheits-Clown, spielt. «Ich habe nach der Entziehungskur gleich mit der Arbeit angefangen», so der als exzentrisch bekannte Schauspieler überraschend ruhig und bescheiden nach der Standing Ovation beim Premiere-Screening. Nebst den hervorragenden schauspielerischen Leistungen von LaBeouf und Jung-Schauspieler Noah Jupe hat der Film auch zu einer Annäherung zwischen Vater und Sohn geführt: «Ich hatte sechs, sieben Jahre lang nicht mehr mit meinem Vater geredet, aber jetzt haben wir wieder Kontakt», so LaBeouf.
Harry Potter schwärmt von Geraldine Viswanathan
Und jetzt mal hinaus aus den dunklen Kino-Sälen und hoch zur Main Street, wo sich Indie-Neulinge und gestandenen Stars in den verschiedenen Sponsor-Lounges die Türklinken in die Hand drücken. In der Music Lodge treffe ich Daniel Radcliffe. Er hat keinen Film, sondern die Mini-Serie «Miracle Workers» hier in Sundance: Radcliffe und Geraldine Viswanathan spielen Engel im Himmel, die zwei Menschen helfen sollen, sich zu verlieben. «Wir arbeiten für einen sehr desillusionierten Gott, gespielt von Steve Buscemi, der seine Liebe zu seiner Schöpfung wiederentdecken muss», erklärt Radcliffe, der es sich beim Cheminée bequem gemacht hat. «Ich glaube nicht an Gott, also kann ich mir nicht vorstellen, wie desillusioniert er mit der Menschheit im Moment ist. Aber ich glaube, wir haben alle momentan etwas das Gefühl, dass wir uns in einer dunklen Zeit befinden. Unsere Serie ist eine realistische, aber auch optimistische Betrachtung unserer Spezies.»
Lachend fügt der Engländer, der zur Zeit den südafrikanischen Akzent für den Knast-Film «Escape from Pretoria«» übt, hinzu: «Das tönt jetzt etwas gross geklotzt. Sagen wir einfach, es ist eine siebenteilige unterhaltende Komödie.» Von seinem weiblichen Co-Star, die in Australien aufgewachsene Halbschweizerin Geraldine Viswanathan, kann er nur schwärmen: «Was für ein tolles Jahr sie hat! Sie hat ja auch einen Film hier in Sundance und dann hat sie gerade einen Film mit Hugh Jackman abgedreht.»
Die Schweiz ist ansonsten hier mit Daniel Zimmermanns «Walden» vertreten, der Dok über den Transport von Holz um die Welt, der bereits am ZFF lief.
Ein anderer ehemaliger Teen-Star, Zac Efron, macht hier als Serienkiller Ted Bundy in «Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile» von sich reden. Der Film, in dem auch Lily Collins, John Malkovich und Metallica Frontman James Hetfield in einer Nebenrolle als Polizist mitspielen, verfalle zu sehr dem Charme des Massenmörders, hört man hier auf der Park Avenue.
Vermeintliche Opfer packen über Michael Jackson aus
Zu viele Monster, soll es dafür im vierstündigen Dokumentarfilm «Leaving Neverland» haben, in dem Wade Robson und Jimmy Safechuck die Pop-Ikone Michael Jackson des Kindsmissbrauchs beschuldigen. Die Park City Polizei war auf demonstrierende Jackson-Fans vorbereitet, aber nur zwei kamen. Robson und Safechuck hatten vor Jahren vor Gericht behauptet, Jackson hätte sie nie sexuell genötigt. Aber jetzt sind sie Ende dreissig und dabei den jahrelangen Missbrauch aus ihrer Kinderzeit aufzuarbeiten. Ihre Ausführungen schockierten die Zuschauer. Die Jackson-Familie bezeichnet den Film als «Rufmord».
Strickpullover als Dresscode
Ebenfalls deprimierend: «The Report». Scott Z. Burns’ Polit-Drama zeigt, wie Daniel Jones (Adam Driver) für den Senatsausschuss unter der Leitung von Dianne Feinstein (Annette Bening) sechs Jahre lang die Folter-Taktiken der USA nach 9/11 untersuchte und in Washington damit überall – inklusive bei Obama – aneckte. Zum Glück gibt’s dazwischen auch humoristische Einlagen in Sundance: Armie Hammer wirbt beispielsweise für seinen Horror-Film «Wounds», in dem er überall Plastik-Kakerlaken hinterlässt.
Inzwischen ist es Abend geworden in Park City. Dan Gilroys Horror-Satire über die Kunstszene «Velvet Buzzaw» mit Jake Gyllenhaal und René Russo feiert hier Premiere, ist aber im Februar schon auf Netflix zu sehen. Gyllenhaal wartet im Strickpullover (= Sundance Dress Code) bei der Velvet Buzzaw Party auf seinen Festival-Auftritt. Enttäuscht erzählt er, dass aus seinem Projekt, den Komponisten Leonard Bernstein zu spielen, nichts wird: «Ich wollte diese Rolle schon lange spielen und die Vorbereitungen liefen schon seit Jahren. Und dann kündet im letzten Moment Bradley Cooper ein Bernstein-Projekt an und das war’s.» Wie gemein!
Da hilft nur noch toll abzutanzen: Zu Ehren des Dokumentarfilms «A Tuba to Cuba», die Reise der Preservation Hall Jazz Band aus New Orleans auf der Suche nach ihren musikalischen Wurzeln in Kuba, heizte die Band am Sonntag abend unterstützt von Arcade Fire in einem kleinen Lokal an der Main Street tüchtig ein. Da schwang sogar Haley Joel Osment das Tanzbein.
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