Serie: Schweizer in L.A. (7) Berner entwickelt einen 1.-August-Filter für Instagram

Von Marlène von Arx, Los Angeles

1.8.2020

Raffael Dickreuter vernetzt weltweit – virtuell und real: Zum 1. August hat der Augmented-Reality-Spezialist einen Instagram-Filter im Auftrag der Schweiz konzipiert, und für Zusammenkünfte in Person sorgt er mit einem monatlichen Swiss Hollywood Meetup.

Wenn einer das Büro im Zeitalter vom Homeoffice nicht vermisst, dann Raffael Dickreuter. Noch sitzen ihm die langen Arbeitstage am Computer in verdunkelten Büro-Räumen im Nacken – davon später.

Zwei Freunde in Miami, die mit ihren Laptops quasi am Strand ihre Brötchen verdienten, machten für den Berner klar: «Ich will mein Leben nicht in einem dunklen Büro verbringen. Ich will da arbeiten können, wo ich gerade bin.» Das ist diesen Sommer nicht an der geliebten Aare, sondern zu Hause in Los Angeles. CEO Raffael Dickreuter und sein Geschäftspartner Don LeMastus sind seit drei Jahren mit der eigenen Virtual-Reality-Firma Superba AR (www.superba.biz) unterwegs. Sie ist auf Augmented Reality, App-Entwicklung und Machine-Learning (Mega-Daten-Verarbeitung) spezialisiert.

Und das Business boomt: «Vor Corona fanden viele Firmen AR zwar interessant, aber etwas für die Zukunft. Sie verschoben ihre Pläne auf später. Jetzt sind sie quasi gezwungen, virtuell etwas auf die Beine zu stellen. Man will beispielsweise eine neue Wohnung oder eine Lagerhalle einrichten? Mit AR kann man die Möbel im richtigen Grössenverhältnis virtuell in den Raum stellen und weiss zum Voraus, wie alles aussieht und ob es passt. Mit dem Messband in den Möbelladen zu gehen, wird überflüssig.

«Das Internet bewegt sich vom Scrollen in 2D nun in den dreidimensionalen Raum», so Dickreuter. «Der Zeitpunkt ist in etwa vergleichbar mit den Neunzigerjahren, als sich Firmen überlegten, ob sie eine Website einrichten sollen. Das Spannendste am Ganzen ist für den Innovator, dass AR den User ins Zentrum stellt: «Klar, man kann George Clooney für eine Brillen-Kampagne engagieren. Aber um die Brille zu kaufen, will man doch wissen, wie sie einem selber steht und welche Farbe am besten passt. Man teilt das Resultat auf den Social-Media-Kanälen und es entsteht eine sich selbst fortpflanzende Kampagne. Das schafft ein Werbeplakat nicht.»

Für ihre virale Kampagne ist selbst die offizielle Schweiz auf Raffael Dickreuter – der auch eng mit der Berner Digitalisierungsfirma So REAL (www.soreal.ch) zusammenarbeitet – aufmerksam geworden: Für das House of Switzerland hat er den «Swiss National Day»-Filter für Instagram konzipiert. Ein Knopfdruck genügt und schon kann man sich in Edelweiss-Hemd und Schweizer Mütze ablichten lassen und an die Freunde weiter schicken. Auch das Feuerwerk wird noch gleich virtuell mitgeliefert. Die «Mission 1. August»-Kampagne bietet im Weiteren Rezepte, Dekorationstipps und sogar einen Fahnenschwing-Kurs an.

Auch an den Social-Media-Kampagnen für die Olympiade und die Eishockey-WM war Dickreuter involviert: «Dass die Eishockey-WM in der Schweiz nicht stattfinden konnte, hat mich natürlich schon gewurmt», so der Pittsburgh-Penguins-Fan. «Besonders stolz bin ich aber auch, dass unser Team im Januar an der Computer-Electronics-Show (CES) in Las Vegas die Schweiz im Swiss Tech Pavillon vertreten konnte.»

Inzwischen wollte der Tech-Riese Apple Raffael Dickreuter nach San Francisco holen, aber der 39-Jährige lehnte ab: «Das Angebot zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin, aber ich wollte die Unabhängigkeit und das Arbeiten von wo auch immer nicht schon wieder aufgeben.»

Der aus Muri bei Bern stammende Entrepreneur begann seine Tech-Karriere bei Snapchat in Silicon Beach – so nennt sich die L.A.-Version des Silicon Valleys. Silicon Beach stehe dem Silicon Valley im Norden in nichts mehr nach, findet Raffael Dickreuter. Zudem werden Technologie und Entertainment hier miteinander verbunden. Er kommt selber auch vom Film: Zehn Jahre lang arbeitet er an Effekten und Previsualisierungen von über 40 Filmen, darunter sieben Marvel-Blockbustern («Iron Man», «Avengers»).

Vermisst die Filmwelt nicht

Auch mit seinem Jugendidol Steven Spielberg kam es zu einer Zusammenarbeit – wenn auch nur zu einer kurzen. Der Schweizer erfuhr durch die Presse, dass Spielberg «Robopocalypse» auf unbestimmte Zeit verschieben würde und alle verloren von einem Tag auf den anderen den Job. «Ich vermisse die Filmwelt nicht», blickt Dickreuter zurück. «Es war ein Traum, der sich für mich erfüllte. Darüber bin ich froh. Aber ich habe auch die Schattenseiten gesehen. Man wird über Nacht für Monate in eine andere Stadt versetzt oder steht auf der Strasse, weil der Film annulliert wird. Man kann keine Pläne für ein Leben neben der Arbeit schmieden.»

Dazu gehören so einfach Dinge wie, sich mit Kollegen nach der Arbeit auf einen Drink zu treffen. Weil es diese Apéro-Kultur in Los Angeles nicht gebe, hat er vor drei Jahren den Swiss Hollywood Meetup ins Leben gerufen. «Die Schweiz hat Los Angeles aufgegeben und hier das Konsulat geschlossen. Somit gab es auch keine Events mehr, bei denen wir uns austauschen konnten», so der Vernetzer. Jetzt trommelt er einmal im Monat via Facebook seine Landsleute zur Zusammenkunft in der schicken Hollywood-Patio-Bar «Ysabel» zusammen. Dickreuter hat wohl das dickste Adressbuch aller Schweizerinnen und Schweizer in Los Angeles und teilt es auch gerne: «Mir macht es Spass, Leute zusammenzubringen, von denen ich denke, dass sie sich gut verstehen würden oder die sich aus irgendeinem Grund unbedingt kennen sollten. Viele kommen ja hierher als Pioniere, die Familie ist weit weg. Manchmal kann ein einziges Treffen über den nächsten Schritt entscheiden, auch ob man in L.A. bleiben kann oder wieder nach Hause muss.»

Seit dem Beginn der Coronakrise musste der Swiss Hollywood Meetup allerdings ausfallen, denn in Los Angeles sind Bars und Restaurants noch immer beziehungsweise wieder geschlossen. Raffael Dickreuter konnte sich nicht dazu überwinden, den Meetup auf Zoom zu verlegen: «Brauchen wir tatsächlich noch ein Zoom-Meeting mehr?», fragt er und liefert die Antwort gleich nach. «Ich habe jedenfalls keine Lust, noch mehr vor dem Computer zu hocken. Bei aller Liebe zur virtuellen Welt: Das reale Leben mit realen Kontakten ist ebenso wichtig.»

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