Ominöser «Artikel 13»«Artikel 13»: Neue EU-Gesetze bedrohen auch Nutzer in der Schweiz
Dirk Jacquemien
24.10.2018
Die YouTube-Chefin sieht die Existenz von europäischen YouTubern bedroht. Welche Gefahr fürs Internet bedeutet die geplante Urheberrechtsreform der EU wirklich – und was bedeutet es für Produzenten in der Schweiz?
Werden Memes in Europa jetzt verboten? Werden europäische Nutzer von YouTube ausgeschlossen? Die derzeit laufende Reform des Urheberrechts in der Europäischen Union erzeugt einigen Wirbel und Protest.
Nun hat YouTube-Chefin Susan Wojcicki die Nutzer ihrer Plattform direkt zum Widerstand aufgerufen. Doch was hat es mit dem viel diskutierten Artikel 13 wirklich auf sich? «Bluewin» erklärt, warum das neue EU-Recht auch Schweizer Nutzer betreffen wird.
Was hat die EU bestimmt?
Im September hat das Europäische Parlament einer umfangreichen Reform des Urheberrechts zugestimmt. Diese muss nun noch mit dem Ministerrat und der Kommission abgestimmt werden und dann vermutlich im neuen Jahr wieder im Parlament behandelt werden. Eine erneute Zustimmung gilt allerdings als wahrscheinlich.
Am meisten Wirbel erzeugt Artikel 13 dieser geplanten EU-Richtlinie. Dieser verpflichtet Internet-Plattformen wie Google, Facebook oder Twitter zur vollständige Haftung, falls auf ihren Seiten Material ohne Zustimmung der Urheberrechtsinhaber hochgeladen und veröffentlicht wird. Die Plattformen sollen daher Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern abschliessen.
Erklärtes Ziel der Befürworter von Artikel 13 ist dabei vor allem, die grossen amerikanischen Tech-Konzerne, die derzeit vermeintlich von den Leistungen anderer profitieren, zur Kasse zu bitten. Kleinere Unternehmen und gemeinnützige Plattformen, etwa Wikipedia, werden explizit von der Haftung ausgenommen. Profiteure des neuen Rechtes werden hingegen traditionelle Medien- und Unterhaltungsunternehmen sein, die sich schon mal auf Mehreinnahmen freuen können.
Wie wird Artikel 13 umgesetzt?
Die anvisierten Lizenzvereinbarungen werden aber natürlich nicht jedes im Internet vorhandene Material abdecken können. Entweder, weil sich Rechteinhaber und Plattformen nicht auf einen Preis einigen können, oder weil ein Rechteinhaber seine Inhalte überhaupt nicht lizensieren möchte.
Die einfachste und für die Plattformen kostengünstigste Lösung, um sicherzustellen, dass man nicht in Haftung genommen wird, ist über automatisierte Upload-Filter, die hochgeladenes Material auf urheberrechtlich geschützte Inhalte überprüfen. Diese Algorithmen werden aber kaum in Lage sein, etwa Satire oder Kritik zu erkennen, für die man im Rahmen des Zitatrechts weiterhin urheberrechtlich geschütztes Material verwenden darf.
Die Folge dürfte sein, dass viel mehr blockiert werden wird, als eigentlich rechtlich vorgeschrieben ist. Beliebte Memes könnten dann beispielsweise unter die Räder kommen. Die Anbieter sollen einen Berufungsprozess einführen, bei dem sich Nutzer über fälschlicherweise gesperrte Inhalte beschweren, aber das würde einen enormen Personalaufwand erfordern. Die Richtlinie sieht zwar vor, dass die Plattformen dazu verpflichtet werden, ihren Nutzern «wirksame und zügige» Beschwerdenmechanismen zur Verfügung zu stellen, aber wie das in der Praxis kontrolliert werden soll, bleibt unklar.
Nun dürfte sich bei den meisten Menschen der Mitleid beispielsweise mit Google (offiziell Alphabet), dem derzeit viertgrössten Unternehmen der Welt, in Grenzen halten. Dessen Umsatz von knapp 110 Milliarden Dollar würde die neue EU-Richtlinie sicherlich verkraften.
Und zu den grössten Profiteuren des bisherigen Urheberrechts-Regimes gehörte zweifellos Google. YouTube hat seinen frühen Erfolg vor allem der massenhaften Urheberrechtsverletzung zu verdanken, das Hochladen geschützter Inhalte wurde kaum bekämpft. Erst später folgten Verträge mit Verwertungsgesellschaften und es etablierte sich eine «Creator»-Kultur, bei der Nutzer Inhalte speziell für YouTube produzieren.
Auf diese Kultur setzt Google nun. Die Chefin von Google-Tochter YouTube, Susan Wojcicki, fordert die Nutzer auf, gegen das neue Recht zu protestieren, weil es das YouTube, das sie kennen und lieben, zerstören würde. Der Lebensunterhalt der YouTube-Produzenten sei gar gefährdet. Google hofft, mit öffentlichem Druck doch noch Änderungen der Richtlinie durchsetzen zu können.
Was wird nun mit YouTube passieren?
Diese Creator-Kultur ist durch die oben erwähnten Rechtsänderungen natürlich zumindest in Europa in Gefahr. Zum einen könnten Nutzer in Europa möglicherweise keine Videos von amerikanischen oder asiatischen YouTube-Stars sehen, weil diese Material verwenden, für das Google in Europa nach Artikel 13 von den Rechteinhabern haftbar gemacht werden könnte.
Dann könnten auch einfach weniger Inhalte produziert werden, weil etwa europäische Produzenten abgeschreckt werden – und das wäre schlecht für die Produzenten und für YouTube. Schliesslich müsste YouTube wohl in jedem Fall mehr Lizenzgebühren bezahlen: Definitiv schlecht fürs Unternehmen.
Insgesamt dürfte Artikel 13 Google und YouTube aber weniger betreffen als aufstrebende andere Anbieter, da der Mega-Konzern natürlich die Ressourcen hat, mit vielen Rechteinhabern vorteilhafte Verträge abzuschliessen. Paradoxerweise könnte durch das neue Recht dann die marktbeherrschende Stellung von Konzernen wie Google sogar noch verstärkt werden.
Was bedeutet das für Schweizer Nutzer?
Als Nicht-EU-Land ist die Richtlinie theoretisch nicht auf Schweizer Unternehmen oder auf in der Schweiz agierende Nicht-EU-Unternehmen anwendbar. Auch hierzulande plant der Bundesrat eine Reform des Urheberrechts, eine ähnliche Regelung wie Artikel 13 ist allerdings nicht in Planung.
Dennoch ist wahrscheinlich, dass die grossen Tech-Anbieter die Schweiz als kleine Insel im EU-Meer wie einen Mitgliedstaat behandeln werden. Ähnliches hat man bereits bei der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung gesehen: Die Schweiz anders zu behandeln, bedeutet oftmals viel zu viel organisiatorischen Aufwand. Und selbst falls YouTube und Co. diesmal anders agieren, könnte das neue Recht immer noch dazu führen, dass Videos von Schweizer YouTubern in den Nachbarländern nicht zu sehen sein werden, was natürlich fatal für die Einnahmen der Internet-Stars wäre.
«Die EU macht das Internet kaputt»
In einer von «20 Minuten» durchgeführten Umfrage bei Schweizer Produzenten von Internet-Inhalten schwankte der Tenor zwischen Angst und Ärger: «Die EU macht das Internet kaputt» sagt etwa Rafael Kink von der Gaming-Agentur «MYI Entertainment». Mit den Vorstössen werde sogar eine faire Nutzung von geschützten Inhalten unter dem Zitatrecht verunmöglicht.
Zudem fürchte Kink einen schweren Eingriff in die Meinungsfreiheit: «Eine Game- oder Filmkritik wäre – wenn überhaupt – noch mit dem Einverständnis des Rechteinhabers möglich. Mit kritischen Kommentaren wäre es vorbei.» Die Richtlinie sei offensichtlich von Leuten gemacht, «die nicht verstehen, wie das Internet funktioniert», führt er gegenüber «20 Minuten» weiter aus.
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