Blockaden und BussenRusslands Kampf gegen das freie Internet
DPA/dj
16.8.2021 - 14:54
Seit Jahren beklagen Aktivisten eine zunehmende Zensur des russischen Internets. Im Kampf gegen Kritiker und Meinungsfreiheit wolle der Staat die komplette Kontrolle – so der Vorwurf. Doch wie realistisch ist das Szenario eines vom weltweiten Netz abgeklemmten «Runets»?
16.08.2021, 14:54
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Wer in Russland Internetseiten des Kremlgegners Alexej Nawalny öffnen will, findet seit kurzem oft: nichts. Oder genauer gesagt: eine Fehlermeldung, einen Verweis auf die Unerreichbarkeit der jeweiligen Seite, je nach Browser auch einen traurigen Smiley. Die Behörden begründen die Sperrung von fast 50 Seiten damit, dass Nawalnys Organisationen in Russland verboten seien. Oppositionelle hingegen sehen in dem Vorgehen gut einen Monat vor der Parlamentswahl einen Ausdruck zunehmender politischer Repressionen.
Offiziell ist oft von Extremismusbekämpfung die Rede, wenn die Seiten Andersdenkender blockiert werden. Oder von Kinderschutz, wenn es gegen homosexuelle Aktivisten geht. Auch der Kampf gegen Drogenkonsum oder gegen Urheberrechtsverletzungen seien häufige Argumente der russischen Behörden, sagt Stanislaw Schakirow, technischer Direktor der Nichtregierungsorganisation Roskomswoboda. Oft sei das aber ein Vorwand, um Kritiker zumindest online auszubremsen.
Nach Angaben seines Verbandes, der sich für ein freies Internet einsetzt, sind derzeit fast eine halbe Million Seiten auf Anordnung der Behörden von Russland aus nicht erreichbar. Darunter sind auch zahlreiche Websites von Regierungskritikern. Die russische Medienaufsicht Roskomnadsor liess eine entsprechende Anfrage der Deutschen Presse-Agentur unbeantwortet.
Mehr Nachfrage nach VPNs
Einer Recherche der russischen Wirtschaftszeitung «Kommersant» zufolge stiegen die Preise für VPN-Tunnelverbindungen, mit denen russische Internetnutzer Blockaden umgehen können, zuletzt merklich an. Experten führten das auf eine höhere Nachfrage zurück.
Netzexperten und Menschenrechtler klagen seit Jahren über zunehmende Angriffe auf das freie Internet in Russland. Seit Ende 2019 ist im flächenmässig grössten Land der Welt etwa ein Gesetz in Kraft, das auf die Schaffung eines eigenständigen russischen Internets abzielt. Es verpflichtet unter anderem Provider zur Anschaffung von Technik, die es ermöglicht, den Datenverkehr besser zu kontrollieren und zu steuern. Ausserdem wird der russische Internetverkehr seitdem stärker über Knotenpunkte im eigenen Land gelenkt.
Präsident Wladimir Putin pries das Gesetz damals als «Frage der nationalen Sicherheit», als Schutz vor möglichen Cyber-Angriffen aus dem Ausland. Kritiker hingegen schlugen Alarm. Schakirow spricht von einer «Chinaisierung des russischen Internets»; vom Versuch, das Netz komplett unter staatliche Kontrolle zu bringen.
Ähnlich beurteilt der Aktivist auch die Geldstrafen, die es seit Monaten für ausländische IT-Riesen in Russland förmlich hagelt. Twitter, Tiktok und Co. sollen mal Aufrufe zu Nawalny-Demonstrationen, mal kinderpornografische Inhalte nicht konsequent gelöscht haben. Kürzlich verurteilte ein Moskauer Gericht den US-Konzern Google zu drei Millionen Rubel (knapp 40'000 Franken) Bussgeld – wegen des Verstosses gegen ein Gesetz, das die Speicherung russischer Nutzerdaten auf russischen Servern vorschreibt.
Zwang zur Kooperation
Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor wolle die ausländischen Unternehmen zur Kooperation zwingen, erklärt Schakirow. «Aber Facebook kann sich natürlich nicht mit Putin an den Verhandlungstisch setzen und darüber beraten, wie politische Nachrichten in Russland am besten zensiert werden können», sagt er und lacht.
Für einige Konzerne habe ein Rückzug vom verhältnismässig unwichtigen russischen Markt mitunter weniger schwerwiegende Folgen als der drohende Image-Verlust, meint Schakirow und verweist auf LinkedIn: Das amerikanische Karriere-Netzwerk ist wegen der Weigerung, Daten in Russland zu speichern, seit 2016 vollständig blockiert.
Zensur scheitert oft an Inkompetenz
Droht russischen Internetnutzern also irgendwann tatsächlich die komplette Zensur ihres «Runets»? Nein, sagt Schakirow, ganz so düster seien die Aussichten nicht. Zwar seien die Auswirkungen staatlicher Repressionen durchaus gravierend – nicht zuletzt, weil viele Regierungsgegner sich mittlerweile in den sozialen Netzwerken selbst zensierten.
Doch Russland verfüge im Vergleich etwa zu China über eine schlechtere technische Infrastruktur, über weniger finanzielle Mittel und über weniger IT-Spezialisten, die bereit seien, die gewünschten Massnahmen umzusetzen. Er erinnert daran, wie der Kurznachrichtendienst Twitter im Frühling als Strafe verlangsamt wurde. Damals brach gleich am ersten Tag die Verbindung zu Tausenden weiteren Homepages – unter anderem von russischen Ministerien – vorübergehend zusammen. Die Behörden betonten zwar, die Vorfälle hätten nichts miteinander zu tun. Der Spott war trotzdem riesig.
Russlands Internet komme zudem die massive Korruption in dem ehemals sowjetischen Staat zugute, meint Schakirow – nicht, ohne kurz zu grinsen. Ein Grossteil der restriktiven Gesetze werde nie umgesetzt. «Würden unsere Beamten so arbeiten wie in China oder in Deutschland, wäre alles viel schlimmer», sagt er. «Aber da in Russland die Korruption floriert, ist das Internet noch verhältnismässig frei.»