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Bötschi fragt Stefan Kurt: «Es zieht mich zurück in die Schweiz»
Von Bruno Bötschi
4.1.2022
Als «Schattenmann» wurde er vor 25 Jahren über Nacht zum Fernsehstar. Stefan Kurt, der seit zwei Jahrzehnten in Berlin lebt, spricht über seine Sehnsucht nach der Schweiz, das Älterwerden und die Leidenschaft für die Malerei.
Café Mühlebach im Zürcher Seefeld, 11 Uhr morgens. Der Journalist ist nervös, gleich wird der Schauspieler erscheinen, den er in den vergangenen elf Monaten mehrfach für ein Interview angefragt hat.
Das Schweizer Publikum kennt ihn aus Filmen wie «Akte Grüninger», «Zwingli», «Jagdzeit» und «Papa Moll». Aktuell spielt er in der ARD-Anwaltsserie «Legal Affairs» mit Lavinia Wilson einen Boulevardjournalisten, der immer wieder Unruhe stiftet. Der Grimme-Preisträger, in Bern geboren und aufgewachsen, lebt seit zwei Jahrzehnten in Berlin.
Ob Stefan Kurt die ständigen Anfragen cool fand? Oder vielleicht nur zugesagt hat, weil er endlich seine Ruhe haben wollte? Kaum hat er Platz genommen, fällt dem Journalisten ein Stein vom Herzen. Kurt scheint prächtig gelaunt. Hurtig zwei Kaffee und zwei Gipfeli bestellt, und dann kann es auch schon losgehen mit den vielen Fragen.
Stefan Kurt, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 45 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Gut aufgestanden heute Morgen?
Sehr gut sogar.
Es ist kurz nach elf Uhr. Demnach sind Sie jetzt hellwach?
Je älter ich werde, desto früher werde ich morgens wach.
Senile Bettflucht?
Nein. Ich freue mich auf den Tag. Die Morgenstunden sind inspirierend und kreativ.
Dann bitte jetzt einen klugen Satz zum Jahr 2021.
Ohh … so frisch bin ich im Moment doch noch nicht (lacht).
Zum Autor: Bruno Bötschi
blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.
Bevor wir richtig loslegen, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen: Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich in den vergangenen Monaten ein bisschen eine pain in the neck war und immer wieder bei Ihnen nach einem Interview gefragt habe.
Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen.
Geben Sie gern Interviews?
Ehrlich gesagt nicht so gern.
Ihr Schauspielkollege Moritz Bleibtreu findet Interviews mit Künstler*innen überflüssig. Er sagt: «Es gibt Menschen, die ich über Jahrzehnte für ihre Arbeit bewundert habe, doch dann haben sie in einem Interview irgendwas erzählt, und ich habe auf einen Schlag meinen Respekt verloren.»
Ich kann Moritz Bleibtreu verstehen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass wir Künstler*innen eine gewisse Verantwortung haben, weil wir in Interviews zu Themen Stellung nehmen können, über die sonst oft nur Politiker*innen sprechen. Das ist auch der Grund, warum ich mit meinen Antworten immer vorsichtig bin, also genau darauf achte, was und wie ich etwas sage.
Haben Sie Angst vor den Reaktionen?
Ich kann mich in Interviews nicht so gut artikulieren wie andere Menschen. Viel reden war noch nie mein Naturell.
Haben Sie schon einmal ein Interview abgebrochen?
Nein.
Werden heute von den Journalist*innen die besseren Fragen gestellt als noch vor zehn oder 20 Jahren?
Nein.
Wie wählen Sie Ihre Interviews aus?
Ich kann nicht immer auswählen. Es kam aber schon vor, dass ich meiner Agentur sagte, ich würde ein Interview lieber nicht machen respektive froh wäre, wenn eine*n andere*n Schauspieler*in vorgezogen würde.
Wie wählen Sie Ihre Rollen als Schauspieler aus?
Sehr oft entscheide ich nach dem Bauchgefühl.
Wann haben Sie zuletzt eine Rolle abgelehnt?
Das ist noch nicht so lange her. Ich sollte in einem Krimi wieder einen Rechtsanwalt spielen. Die Geschichte war gut, aber meine Begeisterung für die Rolle hielt sich in Grenzen.
Ihre Film- und Theaterfiguren wirken so, als würden Sie sehr genau auswählen, was Sie spielen. Stimmt’s?
Ach, das sieht nur von aussen so aus (lacht). Ich hatte bisher das Glück, immer tolle Rollenangebote zu bekommen. Toi, toi, toi, dass dies so bleibt.
Hat Hollywood nie angerufen?
Wie kommen Sie darauf?
Wenn ich Sie spielen sehe, kommt mir oft Christoph Waltz in den Sinn. Der deutsch-österreichische Schauspieler ist fast gleich alt wie Sie und feiert seit einigen Jahren Erfolge in Hollywood.
Wissen Sie was, ich habe mit Christoph Waltz zusammen am Thalia Theater in Hamburg gespielt. Als er das Theater verliess, übernahm ich zudem seine Rolle. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass Hollywood mich früher auch interessiert hat.
Wieso wurde nichts daraus?
Ich bin der falsche Typ dafür.
Warum?
Der Hauptgrund ist mein Respekt vor der englischen Sprache. Und die Art des Lebens in Hollywood ist so gar nicht meins.
Sie riefen demnach Christoph Waltz nie an und baten ihn um Tipps für den Einstieg in Hollywood?
Nein. Aber es gab eine Zeit, während der ich zu englischsprachigen Castings eingeladen worden bin. Ich wurde aber, wie gesagt, mit der Sprache nicht richtig warm. Das stresste mich enorm. Ich bin sehr musikalisch, kann Englisch gut nachahmen, aber eben nicht improvisieren damit. Das ist für mich ein Manko.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren allerersten Aufritt auf einer Bühne?
Das muss im Kindergarten gewesen sein. Im Stück ging es um Vögel. Ich spielte ein Huhn oder einen Hahn und hockte in einem Nest auf dem Pult der Kindergärtnerin.
War danach klar, dass Sie Schauspieler werden wollen?
Nein, nein, da war ich noch viel zu jung, als dass ich mir bereits Gedanken über meine berufliche Zukunft gemacht hätte. Später in der Schule war ich der Klassenclown, habe Lehrer nachgeahmt und die Mitschüler*innen unterhalten. Und in der Freizeit spielte ich den anderen Kindern ständig was vor.
Was spielten Sie?
Wir wohnten in einem Block im Schwabgut-Quartier in Bern. Vor der Tür hatte es viele Briefkästen. Die benutzte ich als Kulisse, machte Türen auf und wieder zu. Hin und wieder integrierte ich auch noch eine Milchkanne in mein Spiel. Ich spielte gern, aber noch lieber wollte ich berühmt, nein, weltberühmt werden.
Woher kam dieser Wunsch?
Als Teenager schaute ich wahnsinnig viel Fernsehen. Ich war ein grosser Fan von den Samstagabendshows wie «Einer wird gewinnen» oder «Wünsch dir was». Ich liebte zudem Vorabend-Serien wie «Immer wenn er Pillen nahm».
Welchen Kinofilm sahen Sie als allerersten?
«Winnetou». Für mich als Bub war das die grosse Welt. Ich hab den Film mehrmals gesehen und wurde jedes Mal depressiv, wenn ich das kleine Kino im Schwabgut verlassen musste.
Wieso das denn?
Im Kino sah ich die grosse Welt, draussen jedoch war alles so trist, so kein wilder Westen und so langweilig.
Wann wussten Sie, dass Sie Schauspieler werden wollen?
Mit 16. Da hiess es jedoch, ich sei zu jung für die Schauspielschule. Meine Eltern rieten mir, ich solle erst einen normalen Beruf erlernen, einfach für den Fall, dass es mit der Bühne nicht klappen sollte. Ich mag Kinder, und fand, als Lehrer erhalte ich eine gute Allgemeinbildung. Ich sah das Ganze auch als Test: Wenn ich nach dem Lehrerseminar noch immer Schauspieler werden will, ist es ein ernsthafter Wunsch und nicht nur eine Flause in meinem Kopf.
2021 konnten Sie ein Jubiläum feiern: Vor 25 Jahren zeigte das ZDF den Fünfteiler «Der Schattenmann» mit Ihnen in der Hauptrolle.
Wow, ist das schon so lange her?
Sie gaben damals Ihre Festanstellung am Theater auf, um Filmschauspieler zu werden.
Ich gab meine Festanstellung auf, das stimmt, ganz untreu wurde ich dem Theater aber nie. Meine Faszination ist zu gross dafür. Nach fast zehn Jahren am Thalia Theater wollte ich jedoch etwas Neues probieren. Ich dachte damals, ich fange als Filmschauspieler wieder ganz klein an …
… doch es kam anders: Mit der Rolle des Hauptkommissars Karl Cäsar «Charly» Held in «Der Schattenmann» gelang Ihnen auf Anhieb der Durchbruch im TV.
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es von Beginn weg so gut funktioniert. Ich fragte mich vor den Dreharbeiten: Kann ich das überhaupt? Werde ich neben all den namhaften Kollegen wie Mario Adorf, Heinz Hoenig und Heiner Lauterbach bestehen können? Während den ersten Drehtagen bin ich dann von den Kollegen auch argwöhnisch beobachtet worden, weil natürlich jeder von ihnen auch gern die Hauptrolle gespielt hätte.
Legten Ihnen die berühmten Kollegen Steine in den Weg?
Das nicht, nein. Sie haben mich einfach nicht mit offenen Armen empfangen und es sagte keiner: «Hey, schön spielst du den Helden. Und wenn du Fragen hast, helfe ich dir gern.»
Die Dreharbeiten waren für Sie als No-Name nicht lustig.
So schlimm war es nicht, auch weil es schnell besser wurde. Heinz Hoenig nahm sich meiner an und das war super hilfreich.
Schauspieler Heinz Rühmann soll einmal zu Schauspielerin Senta Berger gesagt haben: «Angst ist gut in diesem Beruf. Geht sie verloren, ist das ein schlechtes Zeichen.»
Mir hilft Angst überhaupt nicht weiter. Aber ich denke, ich weiss, was Rühmann meinte. Er sprach wohl von Respekt und einer gewissen Alertheit. Als Schauspieler weisst du im Voraus nie, ob eine Szene funktioniert. Je länger ich jedoch in diesem Beruf arbeite, desto mehr spüre ich, dass es vor allem auf das Loslassen ankommt. Kann ich während eines Drehs nicht loslassen, bleibt die Szene leer, verliert mein Spiel an Qualität.
Wie lassen Sie los?
Viel hat mit Übung zu tun und mit dem Wissen, dass die Welt nicht untergeht, wenn ein Fehler passieren sollte. Ich will oft zu perfekt sein und Fehler nicht zulassen. Passiert dann doch einer, ärgere ich mich umso mehr. Ich musste lernen, dass man während Theaterproben oder Dreharbeiten auch einmal die Hosen runterlassen muss.
Nach der Ausstrahlung von «Der Schattenmann» schrieb die Presse über Sie: «Der Schweizer Robert de Niro» und «Der Mann, der alles in den Schatten stellt». Wie schafften Sie es, nach so viel Lob auf dem Boden zu bleiben?
Diese Lobeshymnen, das gebe ich gern zu, haben mich natürlich gefreut. Mit Robert de Niro verglichen zu werden, fand ich wunderbar. Aber ich bin nicht der Typ, der nach so einem Lob auf Wolke sieben davonschwebt. Ich freue mich, aber nach einigen Stunden ist die Zeitung, in der diese Kritik erschienen ist, ganz blöd gesagt, das Toilettenpapier von morgen (lacht).
Eine Zeitung schrieb einmal über Sie: «Äusserlich entspricht er dem Typ Buchhalter.» Ärgert Sie so eine Aussage?
Ich kann damit leben, wenn Leute es so sehen, denn für mein Aussehen kann ich ja nichts.
Wollten Sie es den Kritikern*innen nie zeigen, dass Sie auch einmal total anders können?
Das habe ich natürlich schon hin und wieder getan. Aber es stimmt ja: Privat bin ich ein zurückhaltender Typ. Es gibt Schauspielkollegen, wenn die in ein Restaurant kommen, drehen sich die Gäste nach ihnen um. So bin und war ich nie. Wichtiger ist sowieso, dass meine Sichtbarkeit im Film oder auf der Bühne funktioniert. Und das tut sie, zumindest bisher (lacht).
Sie sollen nach dem «Schattenmann» viele Rollenangebote bekommen haben.
Die Situation war schön, aber auch bedrohlich, weil der Rummel mich überforderte.
Und Ihr Telefon klingelte für Auftritte in Talkshows, die sie scheinbar alle absagten, und sogar bei «Wetten, dass..» wollten Sie sich nicht blicken lassen. Warum haben Sie dieses ganze Rösslispiel nicht mitgemacht?
Es kamen damals mehrere Dinge zusammen. Meine Mutter war kurz vorher gestorben und ich wollte mit meinem Vater meinen jüngeren Bruder, der in Australien lebt, besuchen. Ich nahm mich deshalb von allem einige Monate raus. Als das Angebot von «Wetten, dass..» kam, lag ich zudem mit hohem Fieber im Bett und spürte, dass mir solche Auftritte keinen Spass machen. Und ich das auch nicht gut kann.
Wieso können Sie das nicht?
Die Gäste bei «Wetten, dass..» sollten dem Publikum einen gewissen Unterhaltungswert bieten und die eine oder andere Anekdote erzählen. Ich fange jedoch in solchen Situationen öfter an zu stottern und witzig bin ich dann schon gar nicht. Darum sagte ich mir: Ich lasse das besser sein.
Hat Ihr Durchbruch als Filmschauspieler Sie beflügelt oder hat er auch neue Ängste geweckt?
Er hat mich beflügelt und gab mir Selbstvertrauen. Natürlich auch deshalb, weil durch «Der Schattenmann» die Branche realisierte, der Kurt ist noch ein guter Typ.
Um als Schauspieler immer wieder weiterzumachen, braucht es Kraft. Und Gründe, die einen motivieren. Besprechen Sie sich das jeweils mit Ihrem Mann oder Ihrem sonstigen Umfeld? Oder machen Sie das allein mit sich aus?
Mehrheitlich mache ich das allein mit mir aus. Ich überlege mir, will ich die Rolle spielen, kann ich das, gefällt mir das, traue ich mir das zu. Oft rede ich danach mit meinem Mann über das Projekt oder gebe ihm das Drehbuch zu lesen. Es gab schon den Fall, da hat er mir abgeraten, einen Charakter zu spielen – und ich tat es trotzdem. Es kam aber auch schon vor, dass er mich überzeugt hat, eine Rolle zu spielen, die ich plante abzulehnen.
Am 5. Februar 2021 outeten sich 185 Schauspieler*innen als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär und als trans im «Süddeutsche Zeitung Magazin» , um so gemeinsam für mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen einzustehen. Sie waren einer davon.
Das war ein wichtiges Zeichen. Für mich war es zudem genau der richtige Zeitpunkt. Ich dachte vorab, da machen sicher nicht mehr als 20, 30 Schauspieler*innen mit und war positiv überrascht, als es 185 waren. Es war mir wichtig, Sichtbarkeit und Verständnis für Diversität zu schaffen. Und damit Menschen zu unterstützen, das zu leben, was sie sind.
Kann die Schauspielerei süchtig machen?
Ja. Die Schauspielerei hat eine grosse Faszination, besonders dann, wenn man Erfolg hat und bei spannenden Projekten mittun darf, in denen viel Energie oder auch viel Geld drinsteckt.
Vor drei Jahren sagten Sie in einem Interview: «Ich bin ein Suchtmensch.»
Früher war das schlimmer.
Welchen Süchten hingen Sie nach?
Ich rauchte wie ein Schlot.
Wie viele Anläufe bis zum Nichtraucher waren nötig?
Vier oder fünf waren es. Zuerst schaffte ich ein halbes Jahr, dann ein Jahr und so weiter… Mit 15 fing ich an, hörte 2010 damit auf.
Was machen Sie heute, wenn Sie in einem Film einen Charakter spielen müssen, der raucht?
Kräuterzigaretten ohne Nikotin rauchen.
Besteht keine Rückfallgefahr mehr?
Bisher nicht (lacht).
Mein Gefühl sagt mir: Es wird wieder mehr geraucht in Kinofilmen und Fernsehserien.
Kann gut sein, Rauchen ist so sinnlich. Und darum ist es schon geil, einen rauchenden Charakter zu spielen. Es fängt ja schon mit dem Anzünden einer Zigarette an.
Wirklich wahr, dass Sie in der Schauspielschule versucht haben, wie es ist betrunken zu spielen?
Das stimmt. Ich musste aber schnell realisieren, dass das nicht gut kommt.
Warum nicht?
Das Spiel macht den Unterschied! Wenn ich wirklich betrunken bin, kann ich nicht mehr spielen, dass ich betrunken bin. Zudem macht es viel mehr Spass, betrunken zu spielen als es zu sein.
Aber die Augentropfen mit dem hübschen Namen «Collyre Bleu» nehmen Sie immer noch?
Woher wissen Sie das? Aber ich kann Sie beruhigen, ich nehme sie nicht mehr.
Wozu sind diese blauen Augentropfen gut, die man scheinbar nur in der Schweiz bekommt?
Sie gaben meinen Augen auch nach langen Nächten einen schönen Glanz. Richtig gesund ist es aber nicht, deshalb habe ich schnell wieder damit aufgehört.
Was ist der anstrengendste Teil Ihrer Arbeit?
Das Warten am Set.
Und der inspirierendste Teil?
Dass ich für eine Rolle mein ganzes Leben benutzen kann. Dieses Gespräch mit ihnen genauso wie alle meine Beziehungen, meine Vorlieben, meine Ängste, einfach meine ganze Biografie. Und dieser Fundus wird je älter ich werde, desto reichhaltiger.
Ihre schlimmste Erfahrung auf einem Filmset?
Zum Glück wurde ich noch nie wirklich schlecht behandelt. Natürlich gibt es Situationen, die extrem stressig sind. Ich bin jedoch ein Typ, der bei Stress eher zumacht. Aber wie jeder Mensch habe auch ich gute und schlechte Momente. An einem Tag spiele ich eine Szene, für die ich zwei, drei Seiten Text auswendig lernen musste, und alles läuft super. Am Tag darauf muss ich nur ein einziges Sätzli aufsagen und mache mir deswegen fast in die Hose. Habe ich alles schon erlebt.
Werden Sie laut, wenn es nicht funktioniert?
Nein, ich fresse den Ärger eher in mich hinein, was auch nicht gut ist.
Sie gehören zu den bekanntesten Schauspielern der Schweiz. Weniger bekannt ist, dass Sie auch als Maler tätig sind. Können sie kurz und knapp erklären, wer der Maler Stefan Kurt ist?
Angefangen hat es mit den Tönen. Ich habe verschiedene Geräusche – damals noch mit einem Kassettenrecorder – aufgenommen und parallel abgespielt. Ich wollte wissen, was in meinem Kopf passiert, wenn ich gleichzeitig Meeresrauschen und die WC-Spülung der Toilette höre.
Wie kamen Sie über die Töne zum Malen?
Wie die Töne mische ich nun die Farben und Formen. Irgendwann fing ich an, diese Klangteppiche und Hörbilder mit alten Dias, die ich übereinander legte, zu kombinieren, später fotografierte ich Strukturen und vor allem florale Motive. Zu der Fotografie kam dann wie von selber die Malerei. Bei der Malerei interessiert mich vor allem der meditative Wert des Zufalls.
Wie bitte?
Ich male abstrakt und liebe es, mich selber zu überraschen. Ich arbeite viel mit dem Zufall, lasse Farben und Formen in- und auseinanderlaufen. Oder ich male blind 40'000 Punkte auf ein Papier und erfreue mich an der «Gedankenwolke», die daraus entsteht.
Hören Sie Musik, während Sie malen?
Hin und wieder höre ich Klassik, manchmal dudelt das Radio, sehr oft ist es aber auch ganz still.
Was fasziniert Sie am Malen?
Als Schauspieler bin ich ein Teamplayer. Als Maler hingegen bin ich Produzent und kann machen und lassen, was ich will. Es sagt mir niemand, welches Sujet ich malen, welche Farben ich verwenden soll. Das ist spannend. Und es ist ein tolles Gefühl, wenn ich ein Bild anschauen und sagen kann: Das ist mein Werk.
Sind Bilder stärker als Worte?
Im ersten Moment ja, aber Worte können auch tief gehen und noch sehr lange nachhallen. Bis sie im Kopf ankommen, braucht es einfach oft etwas mehr Zeit.
Wenn Sie das Wort «Schweiz» hören: Woran denken Sie?
Meine Heimat, meine Kindheit, meine Jugend. Ein gutes Gefühl.
Was fühlt sich eher nach Heimkommen an: Wenn Sie nach Zürich reisen oder wenn es nach Berlin geht?
Beides ist Heimkommen. Aber ich muss sagen, je älter ich werde, desto mehr zieht es mich zurück in die Schweiz. Berlin ist sehr hektisch. Ich lebe jetzt seit 20 Jahren dort und ich kann sagen: «I had it.» Je länger, desto mehr orientiere ich mich wieder in die Schweiz.
Sie wurden im Oktober 62. Was denken Sie, ist die Midlife-Crisis durch?
Ganz durch ist sie noch nicht. Das Gute am Älterwerden ist, ich kann heute auswählen, welche Rollen ich spielen möchte. Ich muss mich nicht mehr beweisen, muss keine Karriere mehr planen. Das entspannt sehr. Auch weil ich gar nicht mehr so viel spielen will, sondern gern etwas mehr Zeit für mein Privatleben einsetze, statt das Leben anderer zu spielen. Ich bin glücklich, dass ich das kann.
Graue Haare, Falten, Brille: Haben Sie Mühe mit dem Älterwerden?
Ich gebe zu, ich habe es mir einfacher vorgestellt.
Was ist cool am Älterwerden?
Die Kraft des Körpers lässt zwar nach, dafür hat man die Lässigkeit und das Wissen, die noch vorhandene Kraft besser einsetzen zu können und überfordert sich – anders als noch in jungen Jahren – nicht ständig.
Gehen im Alter Träume verloren?
Die sind immer noch da. Aber ich weiss heute, dass sich nicht alle meine Träume erfüllen müssen. Das ist aber auch nicht erstrebenswert, weil es sonst ja irgendwann keine Träume mehr gäbe. Das wäre total langweilig.
In Ihrem nächsten Kinofilm «Die goldenen Jahre» geht es um die Herausforderungen, die sich nach einer Pensionierung ergeben.
Es ist der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt. Ich konnte sozusagen aus meinem Leben spielen. Esther Gemsch und ich spielen ein Ehepaar, das in den Ruhestand geht. Die Frau will möglichst viel raus, er würde lieber daheimbleiben. Schon bald hängt der Haussegen schief. In der Folge lädt die Frau ihren Mann auf eine Kreuzfahrt ein.
Wollen Sie auf der Bühne sterben?
Oh, nein. Aber als Kind hatte ich so einen archetypischen Traum, in dem ich mich während einer Theateraufführung auf der Bühne mit einem Messer umbrachte. Je mehr ich litt und je mehr Blut floss, desto lauter jubelte das Publikum. Oh, das lässt wohl ganz tief blicken (lacht).
Fürchten Sie sich vor dem Tod?
Ich hoffe, dass ich dereinst keine Angst vor ihm haben werde.
Mitglied einer Sterbehilfe-Organisation?
Nein. Ich finde die Thematik spannend und verstehe Menschen, die sich dafür entscheiden. Ich finde jedoch, mir wurde mein Leben geschenkt und ich möchte es dereinst auch mit dem Tod so halten. Aber das sage ich jetzt als gesunder Mensch. Wer weiss, wie ich darüber denken würde, wenn ich schwer erkranken täte.
Was erwarten Sie vom Jenseits?
Oh, gar nichts.
Demnach glauben Sie nicht an ein Leben danach?
Ein Leben, wie wir es kennen, stelle ich mir nicht vor. Es kann aber gut sein, dass da was ist. Ich werde es erfahren ...
Haben Sie Vorsätze fürs neue Jahr gefasst?
Nein. Meine Hoffnung ist, dass wir die Corona-Seuche endlich in den Griff bekommen. Sie hat unsere Gesellschaft schon genug auseinandergetrieben und für viel böses Blut gesorgt.
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