Tränen bei Nadal «Ich versuchte, die Emotionen zu kontrollieren, aber es war unmöglich»

Von Luca Betschart, New York

9.9.2019

In einem dramatischen Fünfsatz-Krimi schlägt Rafael Nadal im Endspiel der US Open Daniil Medvedev und gewinnt seinen 19. Grand-Slam-Titel. Dass er somit nur noch knapp hinter Roger Federers Rekord liegt, interessiert ihn nach dem Match aber nicht primär.

Als Rafael Nadal gegen Daniil Medvedev mit einer 2:0-Satzführung im Rücken auch im dritten Satz früh mit Break vorlegen kann, scheint der US-Open-Final 2019 bereits gelaufen – und zwar mit einem enttäuschend einseitigen Verlauf. Selbst der unermüdlich kämpfende Medvedev hat den Glauben an den Sieg zu diesem Zeitpunkt verloren, wie er nach der Partie verrät: «Ich dachte wirklich, dass ich in 20 Minuten eine Rede halten muss und überlegte, was ich sagen soll.»

Doch wie aus dem Nichts findet der Russe einen zusätzlichen Gang, nimmt Nadal innert kürzester Zeit zweimal den Aufschlag ab und holt sich den dritten Satz. Die Partie ist neu lanciert. «Ich habe irgendetwas gefunden, ich weiss nicht genau was. Aber ich war plötzlich besser im Spiel und ab da war es eine ausgeglichene Partie», sucht Medvedev selbst nach Gründen für die eindrückliche Wende.

Zweifel bei Nadal

Auch im vierten Satz stellt der 23-Jährige seinen spanischen Kontrahenten vor teilweise unlösbare Probleme und holt sich beim Stand vom 5:4 das entscheidende Break – mit einem unfassbaren Rückhand-Returnwinner. Und als er gleich zu Beginn des Entscheidungssatzes erneut am Servicedurchbruch schnuppert, kommen auf der anderen Seite des Netzes Zweifel auf.

«Wenn du zwei Sätze verlierst und zu Beginn des fünften Satzes Breakbälle gegen dich hast, bist du in Schwierigkeiten», gibt Rafael Nadal an der Pressekonferenz zu. «Aber ich versuchte, diese Gedanken zu vermeiden und glaubte immer an meine Chance.» Der «Stier aus Manacor» macht seinem Übernamen einmal mehr alle Ehre. Mit einer unglaublichen Willensleistung zieht er das Momentum zurück auf seine Seite, geht sogar mit Doppelbreak 5:2 in Führung und rettet sich anschliessend förmlich über die Ziellinie.



Um ein Haar ein zweites Comeback

Denn Medvedev gelingt auch nach viereinhalb Stunden noch einmal eine Reaktion. Nachdem er sich ein Break zurückholen kann und bei eigenem Aufschlag zwei Matchbälle abwehrt, hat er beim Stand von 5:4 sogar die Chance, auszugleichen. Nadal kann diese abwehren und beendet die Partie kurz darauf nach beinahe fünf Stunden. Ein dramatisches Ende, das den Sieg für den Spanier aber noch schöner macht. «Ein unvergesslicher Moment, aber Daniil kreierte diesen mit. Wie er kämpfte, wie er spielte – wie ein echter Champion», lobt der vierfache US-Open-Sieger seinen Gegner und sagt diesem eine grosse Karriere voraus. «Ich bin sicher, dass er noch viele weitere Chancen kriegt.»

Selten hat man den 33-jährigen Mallorquiner nach einem Spiel so emotional erlebt wie an diesem Sonntag in New York. Als vor der Siegerehrung ein Video mit all seinen 19 Major-Titeln auf der Grossleinwand im Arthur Ashe Stadion abgespielt wird, kann er die Tränen schliesslich nicht mehr zurückhalten. «Ich versuchte, die Emotionen zu kontrollieren. Aber in diesem Moment war das unmöglich», entschuldigt er sich schon beinahe für seinen Gefühlsausbruch.

Nadal: «Ich spiele, um glücklich zu sein»

Dass er dank des vierten Triumphs in New York Roger Federer im Kampf um die meisten Grand-Slam-Titel weiter auf die Pelle rückt, ist denn an diesem Abend auch zweitrangig. «Ich kann nicht nur an Grand Slams denken. Tennis ist viel mehr als nur die Grand-Slam-Turniere. Ich muss auch an den Rest denken – ich spiele, um glücklich zu sein. Und der Sieg heute macht mich sehr glücklich.» Er fühle sich einfach geehrt, ein Teil dieses Dreikampfs zu sein – auch wenn er natürlich gerne derjenige mit den meisten Major-Titeln wäre.

Und Medvedev? Der zeigt sich als äusserst fairer Verlierer und gewinnt mit seinem kämpferischen Auftritt und seiner sympathischen Rede an der Siegerehrung weiter die Herzen der New Yorker Tennis-Fans. Anders als Nadal misst er dem erneut neu lancierten Titelrennen an gewonnenen Majors aber gleich nach dem Matchball deutlich mehr Bedeutung zu, wie er an der Pressekonferenz preisgibt: «Ich sagte ihm am Netz, dass sie (Federer, Djokovic, Nadal, Anm. d. Red.) sich einen grossartigen Wettkampf liefern und wünschte ihm Glück, dass er der Beste wird. Es macht Spass, ihnen dabei zuzusehen.»

Zurück zur StartseiteZurück zum Sport