Roger Federer scheitert bei den Australien Open am entfesselten Stefanos Tsitsipas. Die Niederlage ist vielleicht schmerzhafter, als sie sich der Schweizer eingestehen will.
Box-Legende Mike Tyson sagte einst, jeder habe einen Plan, bis er einen Schlag ins Gesicht kriegt. So erging es in der Vergangenheit vielen Gegnern von Roger Federer. Mit seiner Aura erdrückte er die meisten schon vor dem Spiel. Nun ist der Traum einer erfolgreichen Titelverteidigung des Schweizers bereits nach dem Achtelfinal Geschichte. Es war kein krachendes Knockout des 20-fachen Grand-Slam-Siegers, um in der Boxsprache zu bleiben. Sondern einfach eine knappe Niederlage nach Punkten gegen ein aufstrebendes Talent. Am Schluss stand es in der Punktebilanz 178:166.
Dass der 37-Jährige die Partie in die richtige Bahnen hätte lenken können, wenn er seine Chancen konsequenter genutzt hätte, wusste er selbst am besten: «Es ist mir egal, wie ich es mache, aber ich muss den zweiten Satz einfach gewinnen. Das hat mich das Spiel gekostet.» In der Tat konnte er im zweiten Satz vier Satzbälle nicht verwerten. Insgesamt gelang es ihm bei zwölf Breakbällen kein einziges Mal, Tsitsipas den Aufschlag abzunehmen. Das fortgeschrittene Alter des Schweizers kann für diese Horrorbilanz keine Ursache sein, zumal er sich «physisch topfit» fühlte. Die magere Ausbeute entspricht weder seinem Können noch seinen Ansprüchen, egal wie gut sein Gegenüber spielte.
Sein Gegner war in der Tat fantastisch: Stefanos Tsitsipas spielte während über dreieinhalb Stunden ohne grösseren Durchhänger und stets mit kühlem Kopf, was für einen 20-Jährigen aussergewöhnlich ist. Viele Fans und Fachleute zogen nach der Partie Parallelen zum Achtelfinal-Match in Wimbledon 2001 zwischen Pete Sampras und dem 19-jährigen Federer. Dort enttrohnte das damals aufstrebende Talent den grossen Tennis-König. Es wäre dennoch zu vermessen, schon von einer Wachablösung im Tennis zu reden. Dafür war das Match zu eng, ein Break im gesamten Spiel darf bei der Bewertung nicht zu sehr ins Gewicht fallen. «Die Margen sind heutzutage sehr klein», betonte auch Federer während des Turniers immer wieder. So entschied wahrscheinlich das Schicksal.
«Mein Idol wurde heute zu meinem Rivalen»
Denn der Grieche wollte den Sieg gegen sein Vorbild unbedingt, wie er an der Pressekonferenz mit funkelnden Augen festhielt. Und der aktuell auf Position 15 geführte Tsitsipas liess in den entscheidenden Momenten seinen Killer-Instinkt aufblitzen: «Beim Matchball sind mir Bilder durch den Kopf, wie ich früher Spiele von Federer vor dem TV geschaut habe. Doch ich konnte ruhig bleiben und das Match beenden, mein Idol schlagen. Mein Idol wurde heute zu meinem Rivalen.»
Tatsächlich hatte der Schweizer schon vor der Partie grossen Respekt vor Tsitsipas, schliesslich machte ihm dieser bereits beim Hopman Cup das Leben schwer. Federer zollte ihm Respekt: «Ich habe gegen einen besseren Spieler verloren, der heute Abend einfach sehr gut gespielt hat. Ich habe es lieber, gegen einen Spieler zu verlieren, der auch gut spielt.» Dass Tsitsipas das Potenzial zu einem Top-Star hat, ist sich auch Federer sicher: «Er kann lange in der Weltspitze bleiben.»
Ein Kompliment für Federer
Tatsächlich war die Art und Weise, wie Tsitsipas Tennis praktiziert, schon fast eine Hommage an Federer. Der Grieche zeigte satte und präzise Aufschläge, seine Rückhand war zuverlässig und seine Vorhand eine Wucht. Und er stürmte ans Netz, wenn sich ihm die Gelegenheit bot, was die jungen Spielern nur noch selten tun. Sicher ein kleiner Trost also für den grossen Tennis-Fan Federer.
Federer redete nach dem Ausscheiden davon, dass nun halt die Normalität hier in Australien nach fast drei Jahren Ungeschlagenheit eingekehrt sei. In seiner Karrierephase ist jedoch kein Platz mehr für Normalität. Die Uhr tickt. Diese Niederlage am Ende der ersten Turnierwoche wirft ihn weiter zurück, als er es sich wahrscheinlich eingestehen will. Zwar tritt er wieder nach dreijähriger Absenz bei einigen Sandturnieren an, weil er «wieder Lust»auf diese Unterlage verspüre. Doch ein Triumph in Roland Garros ist unrealistisch, solange Nadal und die anderen Sandspezialisten mit an Bord sind.
So muss Federer seine Hoffnung bis in den Sommer vertagen, wenn zunächst Wimbledon und danach Ende August die US Open anstehen. Ohne aktueller Titelhalter eines Grand Slam zu sein, fühlt sich sicher auch für die Tennis-Legende komisch an. Es wird für den Weltranglistendritten bei seiner Gier nach neuen Rekordmarken nicht einfach werden, ein halbes Jahr mit dieser Niederlage im Gepäck ans nächste Major zu reisen. Ob er es dann in England oder New York schafft, den Schalter mit dieser Ausgangslage in den entscheidenden Momenten umzulegen, wird spannend zu beobachten sein. Wenn es jemandem gelingen kann, dann dem immer noch motivierten Schweizer. Das Wichtigste für ihn und alle Tennis-Fans ist sowieso, dass es ihm noch Spass macht. Doch wie schnell es mit der Herrlichkeit vorbei sein kann, das hat man am Sonntag beim Spiel gesehen.