Die vorübergehende Verhaftung von Michel Platini lässt Fussball-Romantiker von einer Neuvergabe der WM 2022 träumen. England soll gar in den Startlöchern stehen, das Endturnier zu übernehmen. Was ist dran?
15 Stunden musste Michel Platini am Dienstag zu diversen WM- und EM-Vergaben bei der Anti-Korruptions-Behörde im französischen Nanterre in der Nähe von Paris aussagen, bevor er wieder auf freien Fuss gesetzt wurde. Als er den Polizeiposten verlassen konnte, trat der ehemalige Spitzenfussballer und Topfunktionär mit zerzausten Haaren vor die Journalisten und spielte im Beisein seines Anwalts die Brisanz seiner Einvernahme herunter.
«Ich bin gekommen und wurde in Gewahrsam genommen. Das tut weh. Es war viel Lärm um Nichts. Ich verstehe nicht, was ich in dieser Geschichte gemacht habe». Dabei ist der ohnehin von seinen offiziellen Fussball-Ämtern enthobene Platini in der Causa «WM-Vergabe 2022» womöglich ein entscheidendes Puzzleteil bezüglich einer etwaigen Neuvergabe des Turniers. Im Zentrum des Interesses steht Platinis Verbindung zum ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.
Als Platini plötzlich umschwenkte
Platini und Sarkozy sollen seit 1999 ein enges und gutes Verhältnis gepflegt haben, das am 23. November 2010 in einem inzwischen bekannten Dinner im Élyséepalast gipfelte, berichtet die Deutsche Presseagentur «DPA». Auch Tamim bin Hamad, der damalige Kronprinz und heutige Emir des Emirats Katar, gehörte der illustren Tafelrunde an.
Für Sepp Blatter, den damaligen FIFA-Präsidenten, der in dieser Sache nicht im Fokus der Ermittler steht, ist klar: An diesem Abend wurde der Zuschlag für die WM 2022 in Katar besiegelt. «Platini hat 2010 seine Meinung geändert und Katar unterstützt, weil es der französische Präsident Sarkozy von ihm wollte», ist Blatter überzeugt.
Zusammen mit Platinis Stimme seien drei weitere europäische Vertreter ins Katar-Lager geschwenkt. Das Ende ist bekannt: Katar erhielt völlig überraschend mit 14:8 Stimmen gegenüber den USA den Zuschlag. Auf die Empörung der Vergabe folgte weltweit der grosse Katar-Kater.
«Gebt die WM den Briten»
Die Organisatoren liessen sich nicht beeindrucken, stampfen seither einhergehend mit Protesten im Ausland klimatisierte Stadien aus dem Wüstenboden, verstossen gegen Menschenrechte und sorgten dafür, dass der Spielbetrieb der wichtigsten Fussball-Ligen in der Saison 2021/2022 komplett auf den Kopf gestellt werden musste, um die Winter-WM überhaupt erst realisieren zu können. Alle Versuche, die irrwitzige Vergabe umzustossen, scheiterten – bisweilen grandios.
Doch jetzt kommt Hoffnung auf. Gerade in England, dem Mutterland des Fussballs, das seit 1966 keine Weltmeisterschaft mehr veranstalten durfte und bei der Vergabe um die WM 2018 an Russland scheiterte. «Lions in Wait» – die Löwen warten – titelt die englische Zeitung «The Sun» am Mittwoch. England besässe demnach eine hervorragende Infrastruktur, um die WM sportartengerecht auszutragen. «The Sun» schreibt:
Doch was muss passieren, damit es überhaupt zu einer Neuvergabe kommen könnte?
Zunächst braucht es wasserdichte Beweise, dass die WM von Katar gekauft wurde und Funktionäre beeinflusst wurden. Ermittler aus den USA und eben Frankreich arbeiten daran, aber können den Stimmenkauf bisher nicht belegen. Schon vor Jahren scheiterte Sonderermittler Michael Garcia an der Mission, die mutmassliche Korruption aufzudecken. Es gab Indizien, aber eben keine handfesten Beweise. Sollten diese Vorliegen, müsste der Weltverband das Turnier neu ausschreiben und die Mitgliedsverbände würden über einen neuen Gastgeber abstimmen.
Und was wären die Folgen einer Neuvergabe?
Katar würde Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe für den Bau der Stadien, der gesamten Infrastruktur und der WM-Bewerbung stellen. Eine erfolgreiche Klage wäre gleichbedeutend mit dem Niedergang der FIFA. Was für Fussball-Romantiker nach einer einmaligen Chance klingt, wäre in Wahrheit wohl auch das vorübergehende Ende der Fussball-WM, wie wir sie heute kennen.
Was ist zu erwarten?
Auch dieser Versuch, Katar die WM wegzunehmen, ist zum Scheitern verurteilt. Zu gross sind die Gefahren für die FIFA, ihre Existenz zu gefährden.