Hightech aus der Natur Popcorn – und vier weitere Baustoffe der Zukunft

dpa/tsha

1.3.2020

Schilf kann mehr als nur ein Sichtschutz für Balkongitter sein: Das Produkt kommt etwa auch in Innenwänden zum Einsatz.
Schilf kann mehr als nur ein Sichtschutz für Balkongitter sein: Das Produkt kommt etwa auch in Innenwänden zum Einsatz.
Bild: Hiss Reet Schilfrohrhandel GmbH/dpa

Klassische Baustoffe wie Mineralwolle, Stahl und Beton dominieren beim Hausbau. Doch die Suche nach besseren und nachhaltigeren Lösungen läuft – so findet etwa der klassische Kino-Snack eine neue Bestimmung.

Die Klimadebatte macht auch vor dem Baugewerbe nicht halt. Nachhaltigere Baustoffe wie Lehm, Holz und Stroh rücken wieder in den Fokus, auch wenn sie genau genommen ein alter Hut sind. Schliesslich werden sie bereits seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden genutzt.

Zudem findet die Forschung heute zum Teil ungewöhnliche Ansätze für das nachhaltige Bauen der Zukunft. Ausgereift sind die allerdings noch nicht immer. Eine Auswahl:

Memory Steel soll alte Gebäude erhalten

Stahl, der sich erinnert – so könnte man den Namen des Baustoffs Memory Steel übersetzen. Er kommt etwa zum Einsatz, um Bauwerke zu verstärken – und soll sich vor allem bei der Erhaltung alter Gebäude bewähren. Das Prinzip: Wenn Memory Steel verbaut ist, wird er zum Beispiel mit Strom erhitzt. Die Legierung auf Eisenbasis zieht sich daraufhin zusammen und spannt die Tragstruktur damit vor.

Memory Steel ist eine Legierung, die sich unter Strom zusammenzieht – und damit die Tragstruktur, in der es verbaut wurde, vorspannt.
Memory Steel ist eine Legierung, die sich unter Strom zusammenzieht – und damit die Tragstruktur, in der es verbaut wurde, vorspannt.
Bild: Empa/dpa

Das gehe viel einfacher als die weit verbreitete hydraulische Vorspannung, sagt Christoph Czaderski, der den Baustoff mit einem Team an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf jahrelang erforscht und zur Serienreife gebracht hat. Czaderski sieht den Einsatzzweck vor allem bei Umbauten kleinerer und grösserer Häuser. Diese müssten dann nicht abgerissen werden. «Es ist nachhaltiger, zu erhalten, was man hat», sagt er.

In der Schweiz ist Memory Steel, das vom Unternehmen Re-fer vertrieben wird, seit 2017 auf den Markt. Auch in Frankreich wurde es bereits genutzt. 

Flachs als Bewehrung im Beton

Klassischerweise wird Beton durch Stahlstreben verstärkt. Modernere Bewehrungen bestehen aus Carbon oder Kunststoff. Künftig aber könnten sie aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, zum Beispiel Flachs. Das hoffen die Forscher am Fraunhofer-Institut für Holzforschung in Braunschweig, die daran arbeiten.

Die Deckschicht dieses Sandwichelements besteht aus einer dünnen Schicht Textilbeton – ausgereift ist dieser Baustoff mit Flachsanteil aber noch nicht.
Die Deckschicht dieses Sandwichelements besteht aus einer dünnen Schicht Textilbeton – ausgereift ist dieser Baustoff mit Flachsanteil aber noch nicht.
Bild: Manuela Lingnau/Fraunhofer WKI/dpa

Der Stoff sei korrosionsfrei, lange haltbar und habe die gleichen statischen Eigenschaften wie Stahlbeton, heisst es. Er soll günstiger in der Produktion sein und habe eine bessere CO2-Bilanz. Ausserdem sei Flachs vielseitig einsetzbar: Da sich die Bewehrung aus Textil fast allen Formen anpasse, seien auch filigrane Bauten möglich.

Allerdings ist der Textilbeton noch nicht am Bau verfügbar. «Leider ist der Stoff noch nicht ausgereift», sagt Baustoffexperte René Görnhardt von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Deutschland, die auf Initiative der Regierung die Forschung und Entwicklung zu nachwachsenden Rohstoffen fördern soll.

Aus dem Meer in die Hauswand

Stroh, Kork, Jute, Holzspäne, Schafwolle: Die Zahl nachwachsender Wärmedämmstoffe ist gross. Auch Seegras gehört dazu – und der Stoff bietet nach Einschätzung von Görnhardt viele Vorteile. «Man muss es nicht anbauen, denn es wächst auf dem Meeresgrund», sagt der Baustoffexperte.

Seegras ist eine gute Basis für Dämmstoff – die Firma Neptu zum Beispiel stellt ihre Seegrasdämmung aus Neptungras her.
Seegras ist eine gute Basis für Dämmstoff – die Firma Neptu zum Beispiel stellt ihre Seegrasdämmung aus Neptungras her.
Bild: Neptu GmbH/dpa

Seegras habe einen hohen Salzgehalt und brenne dadurch nicht so leicht, sagt Görnhardt. Es lasse sich einfach verarbeiten. Der Dämmwert sei mit einer konventionellen Dämmmatte vergleichbar. Dazu kommt: Die Faser kann relativ viel Feuchte aufnehmen, ohne dass sie an Dämmwirkung und Massenvolumen verliert, während sich viele der herkömmlichen Stoffe vollsaugen und zusammensacken – die Folge sind Hohlstellen, die schlimmstenfalls zu Schimmel führen.

Doch für Seegras gilt laut Görnhardt wie für viele andere natürliche Dämmstoffe auch: «Sie stecken noch in der Nische.»

Eine Wand aus Rohrkolben

Schilf und Rohrkolben (Typha) wirken nicht gerade stabil. Doch verarbeitet als Platten halten sie durch ihre Kammerform – sie sind innen hohl – grosse Lasten aus. «Sie können in tragenden Innenwänden verbaut oder als Matte für die Dämmung genutzt werden», erklärt Görnhardt. Durch die Wiedervernässung der Moore, so hofft er, könnten die Pflanzen wieder in grösseren Massen regional angebaut werden.

Die Pflanzen an sich gebe es am Bau schon länger, nur durchgesetzt haben sie sich bislang nicht. «Das grosse Problem ist, dass sich viele Firmen sträuben, innovativen Entwicklungen im Baubereich eine Chance zu geben», bemängelt Görnhardt.



Trennwände aus Popcorn

Popcorn zum Beispiel. Da geht es nicht um Kinofeeling auf der Baustelle, sondern um Spanplatten, die zu rund zwei Dritteln aus Holzspänen und zu rund einem Drittel aus Popcorngranulat bestehen, also aus verarbeitetem Mais. Sie sind seit 2011 unter dem Namen «BalanceBoard» auf dem Markt und wesentlich leichter als übliche Spanplatten. Entwickelt wurde der Werkstoff an der Uni Göttingen.

Und das Forscherteam um Prof. Alireza Kharazipour will noch weiter gehen. Es arbeitet daran, Produkte aus 100 Prozent Popcorngranulat herzustellen. Das wird beleimt und kann anschliessend in Form gepresst werden, zum Beispiel zu Stühlen, Platten oder Verpackungsboxen, also zu natürlichem Styropor-Ersatz. «Es funktioniert auch als Dämmstoff oder für Trennwände in Büros», ergänzt Kharazipour.

Die Produkte könnten bald auf den Markt kommen. Es liefen Gespräche zwischen der Universität und mehreren Firmen über Lizenzierungen, so der Wissenschaftler. «Wir sind schon sehr weit, diese Produkte haben Hand und Fuss.» Er hofft darauf, dass sie dieses oder nächstes Jahr kommerziell produziert werden.

In dem Forschungsinstitut jedenfalls haben sie viel Bedarf an Popcorn. Deshalb steht dort eine grosse Popcornmaschine. Kharazipour: «Sie stellt bis zu eine Tonne in der Stunde her.» Natürlich kann man das Granulat auch essen – allerdings nur, bis der Leim draufkommt.

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