Altes Verfahren Kann Blut von Genesenen vor dem Coronavirus schützen?

Von Lauran Neergaard, AP/uri

26.3.2020

Im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie erwägen US-Mediziner auch eine Behandlung mit Plasma von geheilten Patienten. Die Methode wäre zwar nicht mit einer Impfung zu vergleichen – sie könnte dafür aber viel schneller zur Verfügung stehen.

Viele Krankenhäuser könnten bald auf ein Verfahren setzen, das schon vor hundert Jahren erfolgreich war: Wer mit dem Coronavirus infiziert ist oder zu den Risikogruppen zählt, könnte sogenanntes Rekonvaleszenten-Serum verabreicht bekommen. Dieses liesse sich aus dem Blut von Patienten gewinnen, die eine Infektion überstanden haben. Die Art der Behandlung half einst bei der Spanischen Grippe und in jüngerer Zeit etwa bei den Ausbrüchen von Sars und Ebola. Laut Experten gibt sie auch in der aktuellen Krise Grund zur Hoffnung.

Ärzte in China haben die Methode in den vergangenen Wochen bereits bei Covid-19-Patienten zum Einsatz gebracht. Nun wartet auch ein Kliniknetzwerk in den USA auf eine Genehmigung. Sobald die für Arzneimittel zuständige Behörde FDA (Food and Drug Administration) grünes Licht gibt, sollen umfassende Tests beginnen. Die Infusionen sind nicht nur als mögliche Behandlung gedacht. Solange es keinen Impfstoff gibt, könnten sie zumindest vorübergehend auch als Schutz wirken.

«Wir werden es nicht wissen, bis wir es tun»

Dass es tatsächlich funktioniert, ist alles andere als sicher. «Wir werden es nicht wissen, bis wir es tun», betont Dr. Arturo Casadevall von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore gegenüber der Nachrichtenagentur AP. «Die Belege aus der Geschichte sind aber ermutigend», fügt er hinzu. Die historischen Beispiele hat Casadevall auch in seinem FDA-Antrag erwähnt. Ein Sprecher der in einem Vorort von Washington ansässigen Behörde erklärte auf Anfrage der AP, es werde rasch daran gearbeitet, «die Entwicklung und Einsatzfähigkeit von Rekonvaleszenten-Plasma zu erleichtern».

Ein Patient in China bekommt Rekonvaleszenten-Serum verabreicht.
Ein Patient in China bekommt Rekonvaleszenten-Serum verabreicht.
Bild:  Keystone

Der geplante Rückgriff auf eine hundert Jahre alte Therapieform mag wie eine Verzweiflungstat erscheinen. Doch viele Experten gehen davon aus, dass sie auch heute noch Leben retten könnte. Es gebe gute wissenschaftliche Gründe dafür, den Einsatz von Blut von genesenen Patienten zu testen, sagt Dr. Jeffrey Henderson von der Washington-Universität in St. Louis im US-Staat Missouri, der Casadevall bei dem FDA-Antrag unterstützt hat.

Wenn ein Mensch mit einem bestimmten Erreger infiziert wird, reagiert der Organismus mit der Bildung von Antikörpern. Diese Antikörper bekämpfen dann die Infektion. Nach überstandener Erkrankung verbleiben die Antikörper im flüssigen Teil des Blutes, dem sogenannten Plasma – oft für Monate oder gar für mehrere Jahre.

Schutz wäre nur temporär wirksam

Im Rahmen einer der nun geplanten Studien sollen Infusionen mit dem antikörperreichen Plasma von Überlebenden die Organismen von neu erkrankten Covid-19-Patienten bei ihrem Kampf gegen das Virus unterstützen. Um die Wirksamkeit der Methode zu prüfen, würden die Wissenschaftler messen, inwieweit sich die Aussichten der behandelten Patienten auf Genesung erhöhen oder der Bedarf an Beatmungsgeräten sinkt.

Im Idealfall würde die Behandlung ähnlich wie eine Impfung wirken – bloss dass der Schutz eben immer nur temporär wäre. Bei einem «echten» Impfstoff wird das Immunsystem gezielt aktiviert, um Antikörper selbst herzustellen. Die Plasma-Infusionen, mit denen der Patient nur die Antikörper einer anderen Person erhält, müssten nach einer gewissen Zeit wiederholt werden. Zu beachten ist ausserdem, dass regelmässige Plasmatransfusionen zwar eine Grundlage der modernen Medizin sind, es in seltenen Fällen aber zu einer lungenschädigenden Nebenwirkung kommen kann.

Trotzdem sei im Rahmen einer zweiten Studie geplant, antikörperreiches Plasma auch etwa Krankenhausmitarbeitern und Ersthelfern zu geben, die dem Coronavirus regelmässig ausgesetzt seien, sagt Dr. Liise-anne Pirofski vom Albert Einstein College of Medicine in New York. Auch in Altenheimen, in denen einzelne Personen infiziert seien, könnten die übrigen Bewohner auf diese Art geschützt werden. «Wir brauchen beide Dinge dringend», sagt Pirofski. «Wir müssen in der Lage sein, den Übertragungszyklus zu unterbrechen. Und wir müssen in der Lage sein, kranken Menschen zu helfen.»

Umfassend bei Spanischer Grippe eingesetzt 

Der erste umfassende Einsatz von Plasma-Infusionen erfolgte während der sogenannten Spanischen Grippe, die ab 1918 grassierte. Vor der Entwicklung von entsprechenden Impfstoffen wurden sie auch im Kampf gegen andere Infektionskrankheiten wie Masern und bakterielle Lungenentzündung genutzt. Die wissenschaftlichen Daten aus dieser Zeit sind zwar lückenhaft. In einem Artikel in der Fachzeitschrift «Journal of Clinical Investigation» verweisen Casadevall und Pirofski nun aber auf Belege dafür, dass Plasma-Infusionen schon 1918 die Überlebenschancen von Grippepatienten erhöht hätten. Und ein medizinisches Gutachten aus dem Jahr 1935 zeige auf, wie Ärzte auf diese Art einen Masernausbruch in einem Internat eingedämmt hätten, schreiben die Experten.

Bei unerwartet auftretenden Epidemien wurde auch in jüngerer Vergangenheit gelegentlich auf die etwas «altmodische» Methode zurückgegriffen – unter anderem während der globalen Sars-Krise 2002 und im Kampf gegen das Ebolafieber in Westafrika ab 2014. Auch in diesen Fällen gab es laut Casadevall zwar keine streng wissenschaftlichen Studien zu der Behandlungsform, aber durchaus Hinweise auf deren Wirksamkeit.

Ein etwas modernerer Ansatz ist der, die benötigten Antikörper im Labor zu erzeugen. Daran arbeitet aktuell unter anderem das Unternehmen Regeneron Pharmaceuticals. Die Entnahme von Blut von genesenen Patienten wäre im Vergleich dazu deutlich aufwendiger – dafür aber könnten erste Vorräte angelegt werden, sobald die Behörden das OK geben. Anders als bei herkömmlichen Plasma-Spenden käme natürlich nur ein recht begrenzter Personenkreis infrage. Trotzdem haben die Forscher keine Sorge, nicht genügend Freiwillige zu finden. «Ich bekomme jeden Tag zahlreiche E-Mails von Leuten, die fragen: »Kann ich helfen, kann ich mein Plasma spenden?», sagt Pirofski.

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