ETH-Forschende blicken tief in die Erde«Es gab eine riesige Anomalie – ich dachte: Das kann doch nicht sein»
Philipp Dahm
2.2.2025
Mit einer neuen Methode haben ETH-Forschende genauer ins Erdinnere geschaut als jemals zuvor. Dass sie im westlichen Pazifik eine Anomalie finden, die bisher nur mit Kontinentalplatten in Verbindung gebracht wurde, ist die grosse Überraschung.
Google Earth
Forschende der ETH Zürich haben ein neues Modell entwickelt, das einen schärferen Blick ins Innere der Erde ermöglicht, und Anomalien gefunden, mit denen niemand gerechnet hat. Thomas Schouten erklärt, was Sache ist.
«Sensationelle Entdeckung: Liegt unter den Ozeanen eine untergegangene Welt?», titelt «Bild». Der Grund: Forschenden der ETH Zürich ist ein noch nie dagewesener Blick ins Erdinnere gelungen. Es sei die «erste grosse Forschungsüberraschung des Jahres», jubeln die Deutschen.
Thomas Schouten gehört zu diesem Team von Forschenden, deren Arbeit in «Nature» publiziert worden ist: Der Doktorand erklärt im Gespräch, was sie herausgefunden haben.
Herr Schouten, warum wissen wir mehr über Weltraum und Tiefsee als über das Innere der Erde?
Das Problem ist, dass wir nicht direkt ins Erdinnere schauen können. Das tiefste Loch, das der Mensch gebohrt hat, liegt in Russland. Nach 12 Kilometer Bohrung sind die Maschinen kaputtgegangen, da Druck und Temperatur zu hoch waren. Schwierig ist, dass die Erde im Durchmesser über 12'700 Kilometer gross ist: Es gibt also ziemlich viel, was wir nicht sehen können.
Ein Bohrturm auf der Halbinsel Kola im Jahr 2007. Die Kola-Bohrung gilt als die einzige übertiefe Bohrung in einen Kontinentalschild.
Commons/Andre Belozeroff
Sie haben aber trotzdem einen tieferen Blick werfen können.
Man geht wie bei einem Arzt vor, der eine Ultraschallaufnahme macht: Wir nutzen Wellen, die eine gewisse Energie haben. Je nachdem, wie diese Wellen durch einen Körper gehen, kann man Aussagen über seine Struktur treffen. Das gilt für den Menschen wie für die Erde. Die Wellen werden von Strukturen in dem Körper beschleunigt, verlangsamt, abgelenkt oder reflektiert. Diese Änderungen der Wellengeschwindigkeit nennt man «seismische Anomalien».
Welche Probleme haben Geologen beim Messen dieser Anomalien?
Wenn man beim Arzt ist und ein Ultraschall vom Herz macht, bekommt man theoretisch ein uniformes Bild. Man hat überall die gleich hohe Auflösung des Inneren, weil es in dem Ultraschall-Gerät eine gleichmässige Verteilung von Quellen und Empfängern gibt. Das Problem bei der Erde ist, dass die Seismografen, die die Wellen registrieren, nicht so gut platziert sind wie beim Ultraschall. Es gibt sie meistens nur an Land: Es gibt auch welche am Meeresboden, aber nur wenige und nur temporär.
Wo sind denn Seismografen in der Regel platziert?
Sie sind meistens dort, wo es auch Erdbeben gibt. In Südamerika stehen die meisten an der westlichen Küste, wo sich die pazifische Platte unter die südamerikanische Platte schiebt. Für ein Land wie Chile ist es deshalb viel wichtiger, ein gutes Netzwerk von Seismografen zu haben, als für Brasilien, wo es viel weniger Erdbeben gibt.
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Ein Ultraschallgerät bildet überall die gleiche, hohe Qualität ab, und bei der Erde hängt es davon ab, wo wie viele Seismografen stehen?
Genau, es hängt davon ab, wo man ist und was registriert wird. Ein weiteres Problem war bisher, dass bei einem Erdbeben sehr viele Daten anfallen – eigentlich zu viele, um sie zu verarbeiten. Deshalb beschränkt man sich auf eine Auswahl von Wellen, die man misst. Man nimmt die, die am einfachsten zu erkennen sind: Es sind die ersten beiden Wellen, die man sieht. Das hat schon gut funktioniert: Wir konnten Bilder des Erdinneren machen.
Aber?
Die Auflösung ist dabei sehr unterschiedlich. In manchen Gebieten – zum Beispiel dem Pazifischen Ozean – sehen wir nur ein sehr verschwommenes Bild. Es ist ein Ozean, es gibt nur sehr wenige Seismografen.
Was hat das geändert?
In meinem Department hat der Seismologie-Professor Andreas Fichtner mit seinen Doktoranden Sebastian Noe und Sölvi Thrastarson an einem Verfahren gearbeitet, das Full Waveform Inversion heisst. Dabei werden nicht nur die ersten beiden Wellen des Seismogramms benutzt, sondern noch viel mehr Informationen aus später ankommenden Wellen. Es sind eigentlich sogar zu viele. Andreas Fichtner und sein Team haben sich das angeschaut und überlegt, wie man diese Informationen so effizient wie möglich verarbeiten kann. Das Ergebnis ist ein neues, hochauflösendes Modell
Wellen auf einem Seismografen im Sea Lab in New Bedford, Massachusetts.
Archivbild:IMAGO/USA TODAY Network
Wofür wollten Sie dieses Modell nutzen?
Ich rekonstruiere Platten-Wege. Das ist schwierig, weil grosse Teile von Erdplatten durch Subduktion in das Erdinnere verschwinden – so wie bei der Westküste Südamerikas. Auf bisherigen Bilder des Erdinneren hat man immer eine gewisse Art von Anomalien unter diesen Subduktionszonen gesehen, und die gängige Theorie ist, dass solche Anomalien einfach die verschwundenen Platten sind.
Was hat die neue Methode gezeigt?
Als ich im neuen, hochauflösenden Modell auf den westlichen Pazifik geschaut habe, dachte ich: Das kann doch nicht sein. Es gab eine riesige Anomalie, die bisher kein Modell gesehen hat. Zuerst dachten wir, wir hätten eine neue Platte gefunden.
Warum ist dem nicht so?
Wir haben die Anomalien nicht nur unter dem westlichen Pazifik, sondern überall gefunden – insbesondere auch unter stabilen Kontinenten und Ozeanen. Wir dachten, wir finden die Anomalien nur dort, wo sich Platten unter andere Platten schieben. Jetzt sehen wir, dass diese Art von Anomalie viel verbreiteter ist, als wir gedacht haben. Der Grund dafür, dass diese Anomalien immer als Erdplatten interpretiert wurden, liegt zum Teil darin, dass sie meist dort zu sehen waren, wo sie schon erwartet wurden.
In den roten Zonen bewegen sich Erdbebenwellen langsamer und in den blauen schneller: Ein neues ETH-Model zeigt plötzlich im Westpazifik eine blaue Zone, mit der niemand gerechnet hat.
Grafik:Sebastian Noe / ETH Zürich
Können Sie das Bild nochmal erklären, dass Sie dazu veröffentlicht haben?
Das Bild zeigt Wellengeschwindigkeiten: Im blauen Bereich sind sie etwas schneller, als im Durchschnitt und im roten etwas langsamer. Das wird zum einen durch Temperatur beeinflusst: blau bedeutet etwas kälter, rot ist wärmer. Die Vorstellung ist, dass eine Platte, die kalt ist, in den Mantel sinkt. Es gibt neben der Temperatur aber noch andere Faktoren, die die Wellen beeinflussen.
Welche sind das?
Es geht um die chemische Zusammensetzung, die darauf hinweisen kann, dass es sich um ein anderes Gestein handelt. Seismische Wellen bewegen sich schneller durch Erdmaterial, wenn es mehr Eisen oder Silizium enthält. Silizium ist neben dem Hauptbestandteil von Sand eines der wichtigsten chemischen Elemente des Erdmantels.
Ist das überraschend?
Nein, es ist nicht so überraschend, dass es in verschiedenen Mantel-Regionen unterschiedliche Zusammensetzungen hat. Wir wissen das, weil Geochemiker das Material aus Vulkanen untersucht haben. Im Erdinneren gibt es zwar seit vier Milliarden Jahren Konvektionsbewegungen, aber die funktionieren nicht so, dass alles vollkommen durchmischt wird. In manchen Regionen gibt es wenig durchmischtes Material, in denen es mehr Eisen oder mehr Siliciumdioxid geben kann.
Gibt es noch andere Theorien über die Anomalien?
In den Platten steckt ein wenig mehr Eisen als im Mantel und bei der Subduktion wird das Eisen gelöst. Die Platte sinkt ab und löst sich auf, doch das Eisen kann sich durch die Konvektionsbewegungen in bestimmten Zonen im Mantel sammeln – das ist auch eine Möglichkeit. Auf jeden Fall gibt es für die Wissenschaft einiges zu tun!
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