Polit-Patzer 1938Der «Appeasement-Fail» – Als die Briten Hitler Prag überliessen
dpa/phi
28.9.2018
Vor 80 Jahren wurde das Münchner Abkommen unterzeichnet, mit dem sich das Dritte Reich nicht nur das Sudetenland, sondern auch Böhmen und Mähren einverleibte.
Vor 100 Jahren wurde die Tschechoslowakei ausgerufen. 20 Jahre später musste die letzte Demokratie in Mitteleuropa die Sudetengebiete an Hitler-Deutschland abtreten. Das Trauma des Münchner Abkommens vom 29. September 1938 wirkt bis heute nach.
Es waren dramatische Stunden, die sich vor genau 80 Jahren im «Führerbau» am Königsplatz in München abspielten. Nazi-Deutschland wollte sich die überwiegend deutsch besiedelten Sudetengebiete der Tschechoslowakei einverleiben. Die Regierungschefs Grossbritanniens, Neville Chamberlain, und Frankreichs, Édouard Daladier, gaben nach.
Pakt mit dem Teufel
In der Nacht vom 29. zum 30. September 1938 unterzeichneten die Grossmächte das Münchner Abkommen. Der Friede schien noch einmal gerettet. Als deutsche Truppen in den folgenden Tagen das Sudetenland besetzten, trafen sie auf keinen Widerstand. Und das sorgt in Tschechien bis heute für kontroverse Diskussionen.
«Hätten wir uns verteidigen sollen?», titelte das Nachrichtenmagazin «Respekt» aus Prag vor wenigen Tagen, begleitet von der Illustration eines Soldaten mit Gasmaske und Fotos von Mobilmachungsübungen. Die Autoren malen sich aus, wie sich die tschechoslowakische Armee in den Bunkern ihres Grenzbefestigungswalls verschanzt hätte, nur um letztlich doch den Rückzug anzutreten.
Der Zweite Weltkrieg wäre gut ein Jahr früher ausgebrochen. «Wenn die Verluste zehn Prozent betragen hätten, also rund 100'000 Gefallene, wäre das aus militärischer Sicht ein Erfolg gewesen», schreibt «Respekt» und schliesst mit den Worten: «Lieber schnell zurück in die Realität.» Das Münchner Abkommen bedeutete das Ende für die erste Tschechoslowakische Republik, Präsident Edvard Benes ging ins Exil.
Letzte Demokratie Europas
Der noch junge Staat war erst 20 Jahre zuvor, am 28. Oktober 1918, ausgerufen worden. Das Hundertjahr-Jubiläum der Unabhängigkeit von Österreich-Ungarn wird in diesem Jahr in Prag und Bratislava gross gefeiert – mit Ausstellungen, Briefmarken, Militärparaden, Politikerreden und Fernsehsendungen.
«Die Tschechoslowakei war die letzte Demokratie in Mitteleuropa – das ist etwas, worauf wir stolz sein können», sagt der Schriftsteller Jaroslav Rudis, Autor von Romanen wie «Grandhotel» und «Nationalstrasse». Angesichts des Aufstiegs der Nationalsozialisten sei der Staat zu einem Zufluchtsort geworden – für Antifaschisten, Kommunisten, Sozialdemokraten und Liberale aus Deutschland, hebt der 46-Jährige hervor.
Ein prominentes Beispiel ist die Schriftsteller-Familie Mann, die sogar die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhielt. «Die Tschechoslowakei war ein Land, das Flüchtlinge aufgenommen hat», sagt Rudis, der gerade an einem Roman über die Zwischenkriegszeit in Liberec (Reichenberg) schreibt. Das sei ein Moment, der ihm in der derzeitigen Erinnerungskultur seines Landes zu kurz komme.
Gefährliche Vergleiche
In Tschechien ist es heute nicht populär, zu Flüchtlingsschutz und Europäischer Union zu stehen. Der ehemalige Präsident Vaclav Klaus verglich den EU-Mehrheitsbeschluss für Flüchtlingsquoten jüngst sogar mit dem Münchner Abkommen. Es sei eine Entscheidung «über uns ohne uns» gewesen – also über die Köpfe des kleinen Landes hinweg.
Der Weg zum «Anschluss» Österreichs an Hitler-Deutschland
14.03.1938, Österreich, Wien: in einem Auto stehend grüsst Adolf Hitler die ihm zujubelnde Menschenmenge in Wien, neben ihm sitzt der österreichische Kanzler Arthur Seyss-Inquart. Am 12. März 1938 überschreiten Soldaten der deutschen Wehrmnacht die Grenze zur Alpenrepublik. Der «Anschluss» wird unter dem Jubel hunderttausender Österreicher vollzogen; «Österreich» hört für sieben Jahre auf zu existieren.
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Vor 80 Jahren zwang der Diktator Adolf Hitler Österreich zum «Anschluss» an das Deutsche Reich. Die NS-Herrschaft dauerte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Im Bild: Ein Gedenkstein aus dem ehemaligen KZ-Mauthausen steht vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Österreich, Braunau.
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Ein Rückblick: 10.09.1919: Im Friedensvertrag von St. Germain wird das frühere Habsburger Kaiserreich aufgeteilt. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs verbieten der Republik Österreich einen «Anschluss» an Deutschland.
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1925/26: Der «Anschluss» ist ein wichtiger Programmpunkt in Adolf Hitlers Streitschrift «Mein Kampf».
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30. Januar 1933: Der gebürtige Österreicher Hitler wird deutscher Reichskanzler. Die Schwesterpartei in der Alpenrepublik sieht sich im Aufwind, wird aber im selben Jahr verboten.
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25. Juli 1934: Österreichische Nationalsozialisten unternehmen einen Putschversuch. Dabei wird der autoritäre Bundeskanzler Engelbert Dollfuss erschossen. Sein Nachfolger wird Kurt Schuschnigg (2 v. l.). Er stellt sich auch mit anfänglicher Hilfe Italiens gegen einen «Anschluss».
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11. Juli 1936: Im sogenannten Juliabkommen respektiert Deutschland die Souveränität des Nachbarlandes. Österreich muss aber Nationalsozialisten in seine Regierung aufnehmen.
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12. Februar 1938: Auf seiner Residenz Berghof erpresst Hitler von seinem Gast Schuschnigg die Ernennung seines Vertrauten Arthur Seyss-Inquart zum Innen- und Polizeiminister. Auch das Verbot der österreichischen Nationalsozialisten müsse aufgehoben werden.
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11. März 1938: Nach Hitlers Drohung einzumarschieren, tritt Schuschnigg zurück. Den Plan einer Volksbefragung über Österreichs Unabhängigkeit hatte er aufgeben müssen.
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12. März 1938: Ohne auf Widerstand zu stossen, marschieren Hitlers Truppen in Österreich ein. Drei Tage später bejubeln ihn bis zu 250'000 Menschen in Wien. In Volksabstimmungen in Deutschland und Österreich am 10. April votieren offiziell mehr als 99 Prozent für den «Anschluss».
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Ähnlich hatte sich bereits vor zwei Jahren der Vorsitzende der tschechischen Christdemokraten (KDU-CSL), Pavel Belobradek, geäussert. Der Schriftsteller Rudis hat dazu eine klare Meinung: «Ich finde es immer sehr gefährlich, wenn Politiker versuchen, damals mit heute zu vergleichen und das zu instrumentalisieren.»
Hätte die Sudetenkrise 1938 vermieden werden können, wenn die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei besser integriert worden wäre? Der Prager Historiker und Slowakei-Experte Michal Stehlik räumt ein, dass die tschechoslowakische Nation ein «künstliches Konstrukt» gewesen sei, das die drei Millionen Menschen starke deutsche Minderheit marginalisieren und den neuen Nationalstaat stabilisieren sollte.
«Weg für kommunistischen Umsturz freigemacht»
Tschechen und Slowaken gehen seit der Staatsteilung 1993 wieder getrennte Wege. Doch Stehlik betont auch: «Für eine radikal andere Nationalitätenpolitik war unter den damaligen Umständen nicht viel Raum – und selbst das hätte die deutsche Aggression nicht verhindern können.»
Tatsächlich bekräftigte Hitler nur zwei Tage nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens gegenüber seinem Propagandaminister Goebbels seinen «Entschluss, einmal die Tschechei zu vernichten». Ein halbes Jahr später rückte die Wehrmacht in Prag ein.
Das sogenannte «Diktat von München» wirkte noch lange nach. Das Vertrauen in die westlichen Verbündeten England und Frankreich war untergraben. Die Sowjetunion nutzte diese Stimmung nach dem Krieg geschickt, um sich als «treuer Bruder» zu präsentieren.
«Das hat den Weg für den kommunistischen Umsturz 1948 freigemacht», erzählt Rudis. 1918, 1938, 1948 und 1968, das Jahr des Sowjeteinmarschs - nicht von ungefähr wird die Acht dieser Tage in zahlreichen Zeitungsartikeln als «tschechische Schicksalszahl» beschworen.
Über den Führer lacht man nicht: Die Deutschen machten es trotzdem . Auch wenn sie dafür ihr Leben aufs Spiel setzten: «Was bekommt man für einen neuen Witz? - Zwei Monate Dachau.» Eine Auswahl an «Flüsterwitzen» aus dem Dritten Reich.
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«Wissen Sie, was der Hitler-Gruss bedeutet? Aufgehobene Rechte.»
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«Wann gibt es wieder Schlagsahne?» -«Wenn alle Hitler-Bilder entrahmt sind.»
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«Warum ist Österreich das heisseste Land der Welt? Weil es über Nacht braun wurde!»
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«Bist du blind und taub und stumm zugleich – dann bist du reif fürs Dritte Reich.»
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Nachdem Hitlers rechte Hand Rudolf Hess 1941 in Grossbritannien gefangen genommen wurde, fragte sich das Volk: «Was ist paradox?» - «Wenn im Dritten Reich der zweite Mann als erster türmt.»
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Rudolf Hess wird auch Churchill vorgestellt, der ihn fragt: «Also Sie sind der Verrückte!» - «Nein», erwiderte Hess, «ich bin nur sein Stellvertreter!»
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Über Herrman Görings Vorliebe für fesche Uniformen wurde gespottet: «Göring zieht nach neuesten Meldungen nach Leipzig. Warum? Weil es dort ein Gewandhaus gibt.»
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Propagandaminsiter Joseph Goebbels entsprach nicht den Kriterien eines Ariers - gross, stattlich, blond. Das wusste das Volk natürlich: «Lieber Gott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find.»
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«Wo gibt es die meisten Warenhäuser? In Berlin – überall, wo man hinschaut waren Häuser.»
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