Stella Goldschlag «Das blonde Gespenst» – die Jüdin, die in Berlin Juden jagte

tsha

10.1.2019

Takis Würgers Roman «Stella» erzählt die verstörende Geschichte der jüdischen Nazi-Kollaborateurin Stella Goldschlag.
Takis Würgers Roman «Stella» erzählt die verstörende Geschichte der jüdischen Nazi-Kollaborateurin Stella Goldschlag.
Hanser Verlag

Ein neuer Roman erzählt vom Leben der jüdischen Nazi-Kollaborateurin Stella Goldschlag. Wer war die Blondine, die in Berlin Juden jagte?

Berlin im Jahr 1943: Ein Grossteil der jüdischen Bevölkerung ist bereits in Konzentrationslager veschleppt worden, hat die Stadt freiwillig verlassen oder ist untergetaucht. Stella Goldschlag, 21 Jahre alt, Jüdin, lebt ebenfalls im Untergrund. Dann, im Frühjahr, wird die blonde Frau mit den strahlend blauen Augen verhaftet und zusammen mit ihren Eltern, einem Komponisten und einer Sängerin, in ein Sammellager gebracht. Um ihre Eltern vor der Deportation in eines der Vernichtungslager der Nazis zu bewahren, lässt sich Goldschlag auf einen Deal mit dem Teufel ein: Nachdem sie von der SS gefoltert wurde, stimmt die junge Frau zu, fortan für die Nationalsozialisten in Berlin auf Judenjagd zu gehen – als sogenannte «Greiferin».

Das Buch «Stella» von Takis Würger (erscheint im Hanser Verlag) erzählt nun die ungewöhnliche Biografie der jüdischen Judenjägerin – laut «Bild» hat Würger «den historischen Stoff als freie Vorlage» für seinen Roman verwendet.

Die echte Stella Goldschlag war nur eine von vielen Juden, die von den Nazis zur Kollaboration gezwungen wurden. Ihre Methoden aber waren besonders perfide. Goldschlag suchte in der ganzen Stadt nach versteckten Juden und war dabei so effektiv, dass sie von der Gestapo sogar eine eigene Waffe bekam. So konnte Goldschlag ihre Opfer selbst verhaften, ohne auf die Gestapo warten zu müssen. Goldschlag ging sogar auf Beerdiungen, um jüdische Frauen zu verhaften, nachdem deren nicht-jüdischer Partner gestorben war – und die nun vogelfrei waren. In den Handtaschen ihrer Opfer suchte sie nach Adressbüchern, um andere, untergetauchte Juden zu identifizieren.

«Quelle des ständigen Terrors»

«Für jene von uns, die im Untergrund von Berlin lebten, war Stella eine Quelle des ständigen Terrors. Alle unsere Aktivitäten wurden von der Notwendigkeit bestimmt, ihr zu entkommen», schrieb der Überlebende Ernst Günter Fontheim 1993 in einem Leserbrief an die «New York Times». Wie viele Juden Stella Goldschlag zum Opfer fielen, ist nicht genau bekannt – die Zahlen schwanken zwischen 600 und 3'000 Menschen. Selbst als Goldschlags Eltern und ihr Mann von den Nazis deportiert und ermordet wurden, ging «das blonde Gespenst von Berlin» weiter auf die Suche nach Untergetauchten.

Nach dem Krieg versuchte Golschlag, sich als NS-Opfer auszugeben, wurde aber wegen ihrer Tätigkeit für die Gestapo in der sowjetischen Besatzungszone Berlins verhaftet und zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Auch in West-Berlin, wo sich Goldschlag nach ihrer Haftenlassung niederlassen wollte, verurteilte ein Gericht die «Greiferin» zu zehn Jahren Gefängnis – eine Strafe, die sie allerdings nicht mehr absitzen musste, da ihre sowjetische Haftzeit angerechnet wurde. Ein vom Gericht bestellter psychiatrischer Gutachter beschrieb Goldschlag als emotional «stark verarmt», ihre Gefühle als «kalt» und ihr Denken als «stark egozentrisch».

Stella Goldschlag als Musical-Star

Im Nachkriegsdeutschland machte Goldschlag zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester und wanderte 1967 nach Israel aus. Später kehrte sie in die Bundesrepublik zurück, lebte erst in Berlin, dann in Süddeuschland, wo sie im Jahr 1994 starb: Im Alter von 72 Jahren stürzte sich Stella Goldschlag vom Balkon ihrer Wohnung in Freiburg in den Tod. 

Würgers jetzt veröffentlichter Roman ist nicht die erste künstlerische Auseinandersetzung mit der düsteren, verstörenden Lebensgeschichte der Stella Goldschlag: Im Sommer 2016 feierte in Berlin «Stella» Premiere – ein Musical über die berüchtigte Nazi-Kollaborateurin.

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