Skandal-Video Wo Strache strauchelte: Die verschwiegenen Ecken auf Ibiza

Von Patrick Schirmer Sastre und Carola Frentzen, dpa

2.6.2019

Ibiza ist wegen der Strache-Affäre und Hashtags wie #ibizagate derzeit in aller Munde. Die Insel – früher ein Hippie-Hotspot – ist heute gerade bei Promis beliebt. Wo liegt eigentlich die Skandal-Finca? Und was sagen die Einwohner zum neuen Ruhm?

Affären und Politskandale entstehen selten vor den Augen der Öffentlichkeit. Im Fall von Heinz-Christian Strache spielte sich das Treffen, das ihn aus dem Amt katapultieren sollte, fern von Österreich, ja sogar fern vom Festland ab – in einer abgelegenen Ecke der Baleareninsel Ibiza. Von der Landstrasse geht es auf einem unscheinbaren Strässchen rechts ab, an Baustellen und Einfamilienhäusern vorbei. Ein Kaninchen überquert die Strasse, ein Wiedehopf fliegt über ein angrenzendes Feld. Nach rund 600 Metern Fahrt auf dem hügeligen, nicht asphaltierten Weg steht sie da, eher unscheinbar, im typischen Weiss der Insel: Die Finca, in der die Affäre um den österreichischen Vizekanzler ihren Anfang nahm.

Ein eisernes braunes Tor versperrt die Einfahrt. Durch den mit Schilf verhangenen Zaun kann man teilweise in den Hof schauen, aus dem Haus dringen Stimmen – offenbar haben sich Touristen eingemietet, denn die Finca wird von einem Italiener auf der Plattform Airbnb unter dem Namen «Architect Country Villa» für einen Inselurlaub angeboten. «10 Gäste, 4 Schlafzimmer, 5 Betten, 4,5 Bäder», heisst es auf der Webseite – das Ganze, etwa im Juli, für 1200 Franken pro Nacht.

Hier wurden im Juli 2017 heimliche Videoaufnahmen gemacht, auf denen zu sehen ist, wie Strache einer vermeintlichen russischen Oligarchin öffentliche Aufträge in Aussicht stellte, wenn sie seiner FPÖ zum Wahlerfolg verhelfe. Am Montag gipfelte der Skandal in einem Misstrauensvotum gegen Kanzler Sebastian Kurz und dem Sturz der Regierung in Wien.



Sant Rafael nimmt den politischen Skandal gelassen

Direkt hinter dem Anwesen liegt ein Kiefernwald, der als privates Jagdgebiet gekennzeichnet ist. Ein Hund bellt, Bäume wiegen sich in sanfter Brise. Würde der Lärm von der Landstrasse zwischen Ibiza-Stadt und Sant Antoni de Portmany nicht hochdringen, es wäre ein Idyll.

Im Nachbardorf Sant Rafael, keine fünf Autominuten von der Villa entfernt, nimmt man das politsche Drama, das hier entfesselt wurde, gelassen. In der hintersten Ecke der Dorfkneipe «Es Cruce» sitzen sieben ältere Herren beim Kaffee zusammen. Beim wöchentlichen Stammtisch gibt es viel zu besprechen: Die Europawahl und die Regionalwahlen in Spanien etwa, oder das spanische Pokalfinale, bei dem Valencia am Wochenende den FC Barcelona geschlagen hat. Die «Ibiza-Affäre» hingegen, wegen der die Insel in Österreich und Deutschland in aller Munde ist, gehört nicht dazu.

«Ich habe das in den Nachrichten gesehen mit dem Politiker», sagt einer der Männer im Valencia-Fussballtrikot. «Aber hier im Dorf war das kein Thema.» Ein anderer Mann im grauen Flanellhemd mischt sich ein. «Dieser junge Mann aus Österreich musste zurücktreten?», fragt er überrascht und meint Kanzler Kurz. «Nee», sagt ein Dritter. «Sein Koalitionspartner, so ein älterer.» Dass auch der Regierungschef in den Sog der Affäre geraten und gestürzt werden würde, war da noch nicht klar.

Viele versteckte Häuser in den Bergen

Diese unaufgeregte Haltung gegenüber Promis findet man häufig bei den Ibizenkern, wie die Bewohner der ehemaligen Hippie-Hochburg genannt werden. Heute tummeln sich hier im Sommer die Reichen und Schönen. «Wer alles da ist, bekommt man aber kaum mit», sagt ein Lehrer aus der Gemeinde Santa Eulària. Auf der Insel gebe es viele versteckte, nur über schmale Wege erreichbare Häuser in den Bergen. «Wer nicht gesehen werden will, wird hier nicht gesehen: der steigt aus dem Privatflugzeug an einem eigenen Terminal in eine Limousine mit verdunkelten Scheiben und fährt direkt zur Villa.» Oder zu einer der Luxusjachten, die unterhalb der festungsartigen Altstadt von Ibiza-Stadt im Hafen ankern.

Ab und zu werde bekannt, dass wieder irgendein Promi ein Haus gekauft habe, «aber das war's dann auch schon», so der Lehrer. «Die Menschen haben hier andere Probleme. Und ganz ehrlich – selbst wenn Jennifer Lopez am Strand entlang spaziert, würde ich sie wohl kaum erkennen, wenn sie eine Sonnenbrille trägt.»



Ob VIP oder nicht – Ibiza boomt, wie Statistiken belegen. Landeten 2005 noch 4,1 Millionen Passagiere auf Mallorcas kleinerer Nachbarinsel, stieg die Zahl laut des Flughafenbetreibers AENA im Jahr 2018 auf 8,1 Millionen – und das bei einer Bevölkerung von nur 145 000 Menschen, die fest auf der Insel leben. Eine Studie der Balearenregierung zum Urlaubsverhalten aus dem Jahr 2016 verrät zudem, welches Publikum besonders gerne kommt: Demnach waren fast 75 Prozent der Urlauber auf Ibiza jünger als 44 Jahre.

Internationale Stars sorgen für Unterhaltung

Und die wollen tagsüber Strand und abends Party – aber mit Stil. Clubs wie das «Pacha» oder das «Amnesia» sind seit Jahrzehnten berühmt. Die Eintrittspreise können schon mal bei 80 Franken für das einfache Ticket liegen, Getränke exklusive. Celebrity-Tische gibt es für ein Vielfaches. Dafür bekommt man aber auch etwas geboten: Die Einfahrtsstrassen zu den Touristenhotspots wie Sant Antoni de Portmany oder Platja d'en Bossa sind gesäumt mit grossen Werbeplakaten, die internationale Stars ankündigen. Während die Touristen am Ballermann auf Mallorca zur Musik teils drittklassiger Schlagersänger tanzen, hat man auf Ibiza in diesem Sommer gleich mehrmals die Möglichkeit, Stars wie Maluma, J. Balvin oder David Guetta live zu erleben.

Vicent Tur ist Maître in einem teuren Restaurant im Mini-Dorf Sant Agustí. Der Endvierziger arbeitet schon seit seiner Jugend in touristischen Lokalen. «Früher war der Tourismus sehr familiär, die Leute kamen jedes Jahr wieder. Man kannte sich.» Mitte der Nullerjahre sei die Insel dann massiv aufgewertet worden. «Ab da wurde alles teurer, alles schicker. Wer drei Sterne hatte, wollte vier. Wer vier hatte, fünf. Ibiza wurde zur weltweit bekannten Marke.» Damit sei aber auch der persönliche Bezug zu den Urlaubern verloren gegangen. «Ich glaube, wir sind mit unserem Erfolg nicht klargekommen», sagt Tur nachdenklich.

Ana Gordillo, die gerade mal 28-jährige Chefin des Hoteliersverbands der Insel, sieht das natürlich anders. «Vor Jahren gab es Beschwerden, dass es keine Fünf-Sterne- oder Luxus-Hotels auf der Insel gab und nun, wo die Firmen auf diese Nachfrage reagieren, sollen es auf einmal zu viele sein», sagte sie im vergangenen Jahr der Zeitung «Diario de Ibiza». «Das Schöne an Ibiza ist, dass es für jeden ein Angebot gibt.»



Keine Schaulustigen bei der Strache-Villa

Etwa im Partyviertel West-End in Sant Antoni, das wohl noch am ehesten mit dem Ballermann vergleichbar ist. Der Partytourismus konzentriert sich auf ein paar verkehrsberuhigte Strassen und ist hier komplett auf britische Gäste ausgerichtet. Und wer die Küstenstrasse vor dort aus Richtung Süden läuft, findet zwischen heruntergekommenen Appartement-Blocks auch sie: die Bars mit Longdrinks für 4,40 Franken.

Die Mieter der teuren «Strache-Villa» sind hier wohl kaum anzutreffen. Der Vermieter will kein Interview geben. Aber immerhin lässt er auf Anfrage durchblicken, dass ihm die Insel-Affäre keine Flut an neuen Buchungen eingebracht hat. Auch Schaulustige sind nirgends zu sehen.

Die Österreicher kommen hingegen weiter nach Ibiza – aber nicht wegen des Politskandals. «Wir hatten den Urlaub schon vorher gebucht», sagen drei junge Frauen aus Tirol am Flughafen gut gelaunt – und schieben ihre Koffer aus dem Terminal in die spanische Maisonne.

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