ChinaDramatische Gletscherschmelze am «Dritten Pol der Erde»
AP
27.10.2018
Chinas Gletscher schrumpfen rasant – die Eisschmelze bedroht inzwischen sogar die Wasserversorgung der Volksrepublik.
Aus dem Nebel über dem Gletscher Baishui Nummer 1 ertönt ein lautes Krachen. Ein Stück Gestein rast das Eis hinunter, vorbei an dem Geologen Chen Yanjun, der auf einem GPS-Gerät herumtippt. Weitere Brocken stürzen an dem eisernen Koloss hinab, der laut Wissenschaftlern einer der am schnellsten schmelzenden Gletscher weltweit ist. «Wir sollten gehen», sagt der 30-jährige Chen. «Sicherheit geht vor.»
Chen klettert durch eine karge Landschaft davon, die einst unter dem Gletscher begraben war. Heute ist das felsige Gelände von Sauerstoffflaschen übersät. Sie wurden von Touristen zurückgelassen, die die 4'750 Meter hoch gelegene Eismasse im Süden Chinas besucht haben.
Die frostige Schönheit des Baishui zieht jedes Jahr Millionen Menschen an. Der Eisriese liegt am südöstlichen Rand des sogenannten Dritten Pols der Erde. Die Region in Zentralasien verfügt nach der Antarktis und nach Grönland über die drittgrössten Eismassen der Erde. Die Fläche ist etwa 1'000 Quadratkilometer gross.
Weniger Schnee und schmelzende Gletscher in der Schweiz
Weniger Schnee und schmelzende Gletscher in der Schweiz
Irgendwann werden die Schneekanonen machtlos: Die sicheren Schneegebiete gehen in der Schweiz immer mehr zurück. (Archiv)
Bild: Keystone/Gian Ehrenzeller
Ein Töfffahrer auf dem Gotthardpass nach der Wintersperre im Mai 2018. Auch das Gebiet mit «ewigem Schnee», wo die Schneefallwahrscheinlichkeit bei 80 bis 100 Prozent liegt, schrumpfte von 27 Prozent zwischen 1995 und 2005 auf 23 Prozent im letzten Jahrzehnt.
Bild: Keystone/Urs Flüeler
Zwei Fotos vom Triftgletscher am 30. Juni 2004 (links) und ein Jahr später. Auch der Gletscherschwund hält in der Schweiz unvermindert an.
Wie hier im Skigebiet Flims/Laax wurde und wird versucht, mit grossflächigen Abdeckungen von Gletschern Energiekosten für die Bewirtschaftung der Pisten einzusparen.
Bild: Keystone/Arno Balzarini
Hier wird im Schilthorngebiet eine wasserdichte Thermofolie eingesetzt, die den Permafrost vor Wärme, Sonneneinstrahlung und Niederschlägen schützen oder wenigstens dessen Schwund verlangsamen soll.
Bild: Keystone/Schilthornbahn AG
Das Schwinden des Schnees in der Schweiz stellt nicht nur den Tourismus vor neue Herausforderungen.
Bild: Keystone/Urs Flüeler
Es wirft auch Fragen zu Hochwasserrisiken und Wasserversorgung auf, da Schnee als Wasserspeicher dient.
Bild: Keystone
Das Hotel Belvedere am Furkapass, im Hintergrund das Bett des Rhonegletschers bei Gletsch im Wallis. Der Rhonegletscher schmilzt seit Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich.
Bild: Keystone/Gaetan Bally
Auf dieser Aufnahme vom August 2007 führt (noch) ein Holzsteg in die Eishöhle des Rhonegletschers.
Bild: Keystone/Christof Schürpf
Wanderer pilgern im Juli 2003 zur Abkühlung in grossen Scharen zum Morteratschgletscher bei Pontresina im Oberengadin. Jahr für Jahr wird der Fussmarsch um einige Minuten länger. Wie bei praktisch allen Schweizer Gletschern schwinden auch die Eismassen des Morteratschgletschers in besorgniserregendem Tempo.
Bild: Keystone/Arno Balzarini
Zur Veranschaulichung der Gletscherschmelze wurde im August 2009 auf dem Triftgletscher im Haslital im Berner Oberland ein 730 Kilogramm schwerer Eisblock Sonne und Wind ausgesetzt. Das Abschmelzen konnte auf einer Webcam betrachtet werden.
Bild: Keystone/salis communication ag
Die Gletscher am Dritten Pol sind lebenswichtig für Milliarden Menschen, von Vietnam bis Afghanistan. Die zehn grössten Flüsse in Asien, darunter Jangtse, Gelber Fluss, Mekong und Ganges, werden von der saisonalen Schmelze gespeist.
Dramatische Auswirkungen schon heute
«Wir reden über eine der grössten Süsswasserquellen der Welt», sagt Ashley Johnson, Leiterin des Energieprogramms beim US-Thinktank Nationales Büro für Asien-Forschung. «Abhängig von der Schmelze verlässt eine grosser Teil des Süsswassers die Region in Richtung Meer, was schwere Folgen für die Wasser- und Nahrungsmittelsicherheit haben wird.»
Aufgrund des Klimawandels ist es auf der Erde heute ein Grad wärmer als noch vor der Industrialisierung. Laut einem neuen Bericht des Weltklimarats IPCC könnte das dazu führen, dass 28 bis 44 Prozent der Gletscher weltweit schmelzen. Und die Temperaturen dürften weiter ansteigen.
Schon heute sind die Auswirkungen für den Baishui dramatisch. Der Gletscher verlor nach Angaben von Wissenschaftlern seit 1982 knapp 60 Prozent seiner Masse und schrumpfte um 250 Meter.
Im Jahr 2015 erklärten Forscher, das 82 Prozent der in China beobachteten Gletscher abgeschmolzen waren. Sie warnten vor zunehmend ernsten Folgen für die Wasserressourcen der Volksrepublik.
«China hatte schon immer ein Problem mit der Trinkwasserversorgung, da hier 20 Prozent der Weltbevölkerung leben, aber nur sieben Prozent des weltweiten Süsswassers zur Verfügung stehen», erklärt Jonna Nyman, Dozentin für Energiesicherheit an der Universität von Sheffield. «Durch die Folgen des Klimawandels wird das weiter verschärft.» Am Jadedrachen-Schneeberg in der chinesischen Provinz Yunnan beobachten Wissenschaftler schon seit Jahren Veränderungen aufgrund der globalen Erwärmung.
Jährlich 27 Meter kürzer
Ein Forscherteam zeichnete in den vergangenen zehn Jahren den Rückzug des Baishui von jährlich etwa 27 Metern auf. In der freigelegten Erde wurzelten Blumen wie der Schnee-Lotus, wie Wang Shijin erklärt, Glaziologe und Direktor der Yulong-Forschungsstation, die zu einem Netzwerk der chinesischen Akademie der Wissenschaften gehört.
Die Station in einem Vorort der 1,2-Millionen-Einwohner-Stadt Lijian ist das Zuhause von Wang und seinen Mitarbeitern: dem Geologen und Drohnen-Betreiber Chen, der Glaziologie-Doktorandin Zhou Lanyue und dem Elektroingenieur Zhang Xing. Nach dem Frühstück bricht das Team mit einem Kleinbus zu seiner Mission des Tages auf. Eine Seilbahn bringt die Forscher hinauf zum Jadedrachen-Schneeberg mit seiner majestätischen Aussicht.
Schockierende NASA-Aufnahmen zeigen Folgen des Klimawandels
Schockierende NASA-Aufnahmen zeigen Folgen des Klimawandels
Regelmässig publiziert die US-Raumfahrtbehörde NASA im Bildarchiv «Images of Change» frappierende Vorher/Nachher-Aufnahmen aus dem All von zahlreichen Regionen der Welt. Diese Satellitenbilder zeigen den Süden Sri Lankas am 29. Januar 2017 (links) und am 28. Mai 2018 (rechts) nach 48-stündigem Extremregen. Die dadurch hervorgerufenen Überflutungen kosteten hunderte Menschen das Leben, Tausende verloren ihr Zuhause. Insgesamt wurden 630'000 Menschen von den Überschwemmungen betroffen.
Bild: NASA
Die Provinz Westkap in Südafrika leidet seit 2015 unter einer Dürre. Entsprechend stark nahm der grösste Wasserspeicher der Gegend, das Theewaterskloof-Reservoir, zwischen 18. Oktober 2014 (links) und dem 10. Oktober 2017 (rechts) ab.
Bild: NASA
Die höchsten Gipfel des Sudirman-Gebirges im indonesischen Teil der Insel Neuguinea waren trotz der äquatorialen Lage kalt genug, dass sich hier Gletscher (blau) bilden konnten. Zwischen dem 19. März 1988 (links) sind dem 30. Januar 2017 (rechts) sind die Eismassen jedoch dramatisch geschmolzen.
Bild: NASA
Die Gegend um die Hamrin-Berge im Nordirak am 18. Juni 2014 (links) und während des Brandes an einem Ölbohrloch (rechts) am 29. September 2017. Mit «Oil Spill» gekennzeichnet ist der Austritt von Öl im Ackerland auf einer Länge von rund 11 Kilometern.
Bild: NASA
Wo im Jahr 2011 im US-Bundesstaat Kalifornien noch Landwirtschaft betrieben wird (links), ist 2015 die «Topaz Solar Farm» aus dem Boden geschossen. Ihre Panele bedecken 24,6 Quadratkilometer Fläche und liefern genug Strom für 160'000 Haushalte.
Bild: NASA
Städtisches Wachstum: In den 1980er Jahren lebten im ägyptischen Städtchen Hurghada am Roten Meer rund 12’000 Menschen (links: Aufnahme vom 28. Januar 1985), heute (rechts: Am 28. November 2014) sind es 250’000 Personen, rund eine Millionen Touristen kommen jährlich.
Bild: NASA
Schmelzende Eismassen: Der Mýrdalsjökull, der viertgrösste Gletscher Islands, bedeckt den Vulkan Katla. Links sieht man ihn im Jahr 1986, rechts im September 2014 – vulkanische Aktivität und der Klimawandel haben ihm stark zugesetzt.
Bild: NASA
Der Columbia-Gletscher in Alaska im Jahr 1986 (links) wurde bis 2014 (rechts) stark dezimiert.
Bild: NASA
Vertrocknende Seen: Der Aral-See zwischen Kasachstan und Usbekistan war bis 1960 der viertgrösste See der Welt, seit damals zweigt man Wasser aus dem Zufluss für die Landwirtschaft ab. Wo 2000 (links) noch grünes Wasser zu erkennen ist, kann man nach einer Trockenperiode im Jahr 2014 trockenen Fusses spazieren gehen.
Bild: NASA
Der Lake Powell im US-Bundesstaat Utah im Jahr 1999 (links) hat nach Jahren der Dürre und stetiger Wasserentnahme im Jahr 2014 nur noch 42 Prozent seiner Kapazität.
Bild: NASA
Bevölkerungswachstum: Ägyptens Hauptstadt Kairo ist zwischen 1987 (links) und 2014 (rechts) von 6 Millionen Einwohnern auf 15 Millionen angewachsen.
Bild: NASA
Ausbau der Infrastruktur: Der Dallas-Fort Worth International Airport bei seiner Eröffnung im Jahr 1974 und mit neuen Runways im Jahr 2013 (rechts). Der Flughafen ist heute einer der grössten der USA und bedeckt eine Fläche von 78 Quadratkilometern.
Bild: NASA
Der See Urmia im Iran im Jahr 2000 (links) und im Jahr 2013 (rechts) schrumpft beständig. Seit der Steinzeit ein Ort für menschliche Ansiedlungen, dreht man ihm durch Dämme und Wasserentnahme aus den Zuflüssen zusehends das Wasser ab.
Bild: NASA
Schmelzende Eismassen: Der Mýrdalsjökull, der viertgrösste Gletscher Islands, bedeckt den Vulkan Katla. Links sieht man ihn im Jahr 1986, rechts im September 2014 – vulkanische Aktivität und der Klimawandel haben ihm stark zugesetzt.
Bild: NASA
Abholzung: Die Region Rondônia im Nordwesten von Brasilien ist von einer halben Million Einwohnern in den 1980ern auf 1,5 Millionen im Jahr 2009 angewachsen – der Amazonas-Regenwald (links im Jahr 1975) wurde hier dramatisch reduziert.
Bild: NASA
In den Rwenzori-Bergen zwischen Uganda und Kongo bedecken Gletscher die Berggipfel (links im Jahr 1987). Durch verschiedene Klimaeinflüsse sind die Gletscher bis 2003 um die Hälfte geschrumpft., durch verschiedene Klimaeinflüsse.
Bild: NASA
Der Northwestern-Gletscher in Alaska im Jahr 1940 (links) hat sich bis zum Jahr 2005 (rechts) sehr weit zurückgezogen.
Bild: NASA
Rohstoff-Ausbeute: Die La Escondida-Mine in Chile ist die grösste Kupfermine der Erde. Sie frisst sich auf einem riesigen Gebiet durch die Atacama-Wüste: Links im Jahr 1975, rechts 2008.
Bild: NASA
Das Team schiebt sich an einer Schlange von Touristen vorbei. Viele der Urlauber sind in rote Ponchos gehüllt, die meisten hängen an Sauerstoffflaschen, einige übergeben sich wegen Höhenkrankheit.
Wangs Mitarbeiter beginnen mit dem Austausch einer kaputten Wetterstation. Die Forscher sammeln hier Daten über die Temperatur, die Windgeschwindigkeit, den Regen und die Luftfeuchtigkeit. Andere Sensoren messen die Strömung in Flüssen, die von Schmelzwasser gespeist werden.
Am Tag darauf tragen die Teammitglieder Harscheisen an den Schuhen, während sie weitere Sensoren reparieren. Immer wieder wird ihre Ausrüstung durch Kälte, Regen, Stürme, abstürzende Steine und Bewegungen des Gletschers beschädigt.
Begrenzung auf 10'000 Besucher am Tag
«Genau wo wir jetzt stehen, war 2008 noch alles mit Eis bedeckt», erklärt Wang. «Von hier bis dort an die Seite ist der Gletscher um etwa 20 bis 30 Meter geschrumpft. Das ist sehr bemerkenswert.» In dem gesamten Gebiet verschwand ein Viertel des Eises sowie vier der insgesamt 19 Gletscher.
Die Veränderungen am Baishui bieten die Möglichkeit, Besucher über den Klimawandel aufzuklären, wie Wang sagt. Im vergangenen Jahr kamen nach offiziellen Angaben 2,6 Millionen Touristen auf den Eisberg. Zum Schutz des Gletschers haben die Behörden die Zahl der Besucher pro Tag auf 10'000 begrenzt und das Klettern auf dem Eis verboten. Sie wollen ausserdem mit Kunstschnee und Staudämmen die Luftfeuchtigkeit erhöhen, um die Schmelze zu bremsen.
Der Wachmann Yang Shaofeng hat das Schrumpfen des Bergs, den sein Volk der Naxi-Minderheit als heilig ansieht, mit eigenen Augen beobachtet. Er erinnert sich noch daran, dass er von seinem Heimatdorf aus die unterste Kante des Gletschers sehen konnte. Diese Zeiten sind vorbei.
«Wir können ihn nur noch sehen, wenn wir hochsteigen», sagt Yeng traurig. Neben ihm reihen sich Touristen in eine Schlange, um sich ihren Namen in ein Medaillon mit dem Bild des Gletschers gravieren zu lassen. Die Darstellung ist schon überholt.
Ein Alarmsignal: Pflanzen erobern durch Klimawandel jetzt Berggipfel
Ein Alarmsignal: Pflanzen erobern durch Klimawandel jetzt Berggipfel
Gletscherhahnenfuss (Ranunculus glacialis) eine typische Hochgebirgsart, die vor allem auf saurem Gestein wie Granit und Gneiss wächst. Die Pflanze war im historischen Datensatz auf 113 Gipfeln präsent. Nun wurde sie bis auf kleine Abweichungen auf der Mehrzahl der Gipfel wieder gefunden.
Bild: dpa
Sonja Wipf vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) bestimmt eine kleine Felsenblümchen-Art auf dem 2836 Meter hohen Piz Murter in der Schweiz.
Bild: dpa
Gegenblättriger Steinbrech (Saxifraga oppositifolia) in Saas-Fee. Die Pflanze wurde früher auf 118 Gipfeln gefunden, inzwischen auf 145 Gipfeln. Sie kommt im Datensatz bis auf über 3500 Meter vor - etwa unter dem Gipfel des Doms in den Walliser Alpen. Es ist die Art, die es den Alpen - wahrscheinlich auch in ganz Europa - am höchsten schafft.
Bild: dpa
Alpenrispengras (Poa alpina, bei Davos) ist die «erfolgreichste Art». Die Pflanze war war früher auf 84 Gipfeln zu finden, heute sogar auf 162 Gipfeln . Der höchster Standort lag ehemals auf 3293 Meter, heute auf 3538 Meter (Rocciamelone in den Westalpen).
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Arnika (Arnica montana), eine subalpine Art, die auf Bergwiesen und -Weiden hauptsächlich über der Waldgrenze vorkommt, wurde früher auf keinem einzigen Gipfel gefunden, heute dagegen auf 14 Gipfeln. Höchster Fundort war in 3052 Metern auf dem Gipfel des Monte Vago, nah der Schweizer Grenze, Livigno.
Bild: dpa
Bayrischer Enzian (Gentiana bavarica) haben Forscher nur auf Gipfeln in den Alpen gefunden. Seine Verbreitung hat im Gegensatz zu den meisten anderen Arten sogar etwas abgenommen.
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Manuel Steinbauer, Professor für System-Paläobiologie, vom Geozentrum Nordbayern der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) erklärt, obwohl die Gipfel fernab der menschlichen Zivilisation seien, sehe man hier «einen direkten, messbaren Effekt des durch den Menschen verursachten Klimawandels auf die Vegetation». Und der Effekt sei enorm. «Das trifft alle anderen Systeme auch - nur wir können es auf den Gipfeln besonders gut nachweisen.»
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