«Epochenwende» Politikwissenschaftler: Corona-Krise kann politische Ordnung verändern

tsha

23.3.2020

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping könnte die Corona-Krise für seine Zwecke nutzen, glaubt Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping könnte die Corona-Krise für seine Zwecke nutzen, glaubt Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
Bild: Keystone

Den Alltag der Menschen hat die Corona-Krise bereits auf den Kopf gestellt. Auch die politische Ordnung der Welt könnte sich verändern, glaubt ein Politikwissenschaftler.

Ausgangssperren gibt es hierzulande nicht, doch Ansammlungen von mehr als fünf Personen sind aufgrund der Corona-Krise untersagt. Das Leben in der Schweiz ist dennoch seit ein paar Wochen nicht mehr dasselbe. Auf globaler Ebene könnte die Krise noch einschneidendere Auswirkungen haben, glaubt der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler.

Die Pandemie könnte «zum Einfallstor für weitreichende Veränderungen der politischen Ordnung» werden, analysiert der 68-Jährige im Interview mit dem «Spiegel».

Das betreffe zuvorderst «Staaten, in denen sehr autoritäre Regierungschefs agieren – Trump, Bolsonaro, Putin, Erdogan», so Münkler. Vor allem für China hat er eine düstere Prognose. Dort sei die Pandemie ein guter Vorwand, um «das ohnehin schon herrschende Kontrollsystem mit Handyüberwachung und Bewegungsprofilen weiter auszubauen».

Seit Jahren überwacht China mithilfe modernster Technik seine Bürger, vor allen in der Provinz Xinjiang ist ein Überwachungsstaat von bislang nicht vorstellbarem Ausmasse entstanden.

Sollten diese Instrumente Wirkung zeigen, könnte dies Präsident Xi Jinping als Rechtfertigung für sein Vorgehen dienen. Ausserdem versuche Xi bereits, sich als «charismatischer Bezwinger der Krise» zu präsentieren – ein Vorgehen, das seine Macht zementieren soll und weltweit als Vorbild für andere Autokraten dienen könnte.

Mann mit Atemschutzmaske in Hongkong: «Ich halte es für möglich, dass man später von einer Epochenwende im Jahr 2020 sprechen wird», glaubt Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
Mann mit Atemschutzmaske in Hongkong: «Ich halte es für möglich, dass man später von einer Epochenwende im Jahr 2020 sprechen wird», glaubt Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
Bild: Keystone

«Epochenwende im Jahr 2020»

Auch auf die europäischen Demokratien könnte die Corona-Krise Auswirkungen haben, so Münkler. In Bezug auf die Einschränkungen der Versammlungs- und Reisefreiheit mahnt er zur Wahrung der Verhältnismässigkeit. «Entscheidend wird sein, wie lange diese Situation anhält: Ist der Ausnahmezustand zeitlich begrenzt? Oder wird er zur Einbruchsstelle für eine fundamentale Veränderung der sozio-politischen Ordnung?» Noch sei er aber unbesorgt, dass es in Westeuropa so weit komme.



Problematisch hingegen seien die Grenzschliessungen in Europa. Nach 1989 habe die Freiheit der Menschen zugenommen, nun gehe es in die entgegengesetzte Richtung, die Menschen würden wieder «verstärkt in kleinen Räumen, kurzfristig und emotional» denken.

Dabei seien die Grenzschliessungen «absurd» und «reine Symbolpolitik», die zuerst vor allem von Ländern betrieben worden sei, an deren Regierung Rechtspopulisten beteiligt seien.

Münkler ist sich dennoch sicher: «Unsere Demokratien werden die Krise wohl gut überstehen.» Was sich aber verändern werde, das seien unsere Erwartungen an die Zukunft – und die sieht der Politikwissenschaftler eher düster, vor allem in Fragen der Wirtschaft, wo ein massiver Einbruch zu erwarten sei: «Ich halte es für möglich, dass man später von einer Epochenwende im Jahr 2020 sprechen wird.»

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