Indien Neue Erfindung: Ein Lippenstift gegen sexuelle Gewalt

SDA/tsha

30.1.2020

Ein Inder hat einen Lippenstift erfunden, der Frauen vor Vergewaltigern schützen soll (Symbolfoto).
Ein Inder hat einen Lippenstift erfunden, der Frauen vor Vergewaltigern schützen soll (Symbolfoto).
Bild: Keystone

Diese indischen Erfindungen könnten aus einem Actionfilm stammen. Sie sollen Frauen gegen Angreifer helfen. Deutsche Frauenberatungsstellen sehen Potenzial – haben aber auch Bedenken.

Wozu ist ein Lippenstift gut? Um Vergewaltiger mit einem Knall zu erschrecken und die Polizei zu alarmieren – zumindest, wenn es nach einem indischen Hobbytüftler geht. Um Frauen vor sexuellen Übergriffen zu bewahren, erfand der 28 Jahre alte Shyam Chaurasia einen speziellen Lippenstift. Bald will er ihn mit der Polizei testen. In einem Land, wo nach offiziellen Zahlen alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt wird, findet er: «Heutzutage braucht es solche Gegenstände, weil sonst nichts gegen diese abscheulichen Verbrechen zu wirken scheint.»

Gerade fiebern die Inder einer Hinrichtung von vier Tätern an diesem Samstag entgegen. Sie machten 2012 weltweit Schlagzeilen, weil sie eine Studentin in einem Bus so brutal vergewaltigten, dass sie zwei Wochen später starb.

Chaurasias knallende Prototypen gibt es auch als silberne Stöckelschuhe und goldene mit bunten Steinen besetzte Handtaschen. Sie seien jeweils über Bluetooth mit den Handys ihrer Trägerinnen verbunden, sagt er. Auf Knopfdruck krachen sie und rufen damit hoffentlich auch Passanten zur Hilfe. Ausserdem sollen sie der Polizei ein Notsignal sowie den Standort senden.

«Niemand schöpft Verdacht»

Die Studentin Shefali Rai probierte den Lippenstift aus. Sie findet ihn praktisch, wie die indische Nachrichtenagentur IANS schreibt: «Wenn man ihn rausholt, schöpft niemand Verdacht, weil er eben wie ein Lippenstift aussieht.» Auch dem Polizisten Raghvendra Singh aus dem Bundesstaat Uttar Pradesh, wo die Erfindungen getestet werden sollen, erscheinen die Geräte nützlich. Man müsse aber noch entsprechende Sicherheitstests machen.

Auch deutsche Frauenberatungsstellen sehen ein gewisses Potenzial. «Grundsätzlich ist es gut, in einer bedrohlichen Situation Öffentlichkeit herzustellen und sich bemerkbar zu machen», sagt die Geschäftsführerin des Dachverbands der autonomen Frauenberatungsstellen NRW, Martina Schmitz. «Auch ein Notruf bei der Polizei ist sinnvoll, wenn er denn in der Situation auch wirklich funktioniert und die Polizei umgehend zur Stelle ist.» Lärm habe Täter schon in die Flucht geschlagen, das kenne man etwa von Trillerpfeifen.

Ein Knall könne Frauen aber auch in noch grössere Gefahr bringen – etwa wenn Täter annehmen, dass ihr Opfer bewaffnet ist, und sie dann noch aggressiver würden, sagt Schmitz. Zudem sind Frauen unter Schock möglicherweise gar nicht in der Lage, den Lippenstift überhaupt einzusetzen, bedenkt die Geschäftsführerin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Katja Grieger. Die meisten Übergriffe passierten ausserdem im sozialen Umfeld. «Dafür taugen diese Dinge nun gar nicht, wer jagt schon den eigenen Partner mit einem lauten Knall davon?»

Die falsche Lösung?

Für die indische Frauenrechtsaktivistin Brinda Adige sind die Accessoires die falsche Lösung gegen sexuelle Übergriffe. Diese passierten, weil die indische Gesellschaft zutiefst patriarchalisch, frauenfeindlich und sexistisch sei. Daran habe sich auch nichts geändert, nachdem es in den vergangenen Jahren nach besonders brutalen Vergewaltigungen immer wieder grosse Proteste gegeben hat und die Gesetze inzwischen verschärft wurden. Auch Versuche einiger indischer Bundesstaaten, ihre Gurus und andere religiöse Anführer aufzurufen, die Einstellungen ihrer Leute mit Predigten zu ändern, haben wohl wenig gebracht.

Für Adige ist klar: «Ich fürchte, dass die Gegenstände Frauen nicht stärken, sondern lediglich dem Staat helfen, seine Verantwortung für Sicherheit von Frauen abzugeben, und Frauen zu sagen: Hier ist eine Waffe, passt auf euch selbst auf.»

Doch noch hat Indien ein Vergewaltigungsproblem und Erfinder Chaurasia, der als administrativer Mitarbeiter an einer Uni arbeitet, hofft, mit seinen gepimpten Alltagsgegenständen zumindest ein Teil der Lösung zu sein: «Ich möchte, dass jedes Mal, wenn eine Frau ihre Handtasche öffnet, um Lippenstift aufzutragen, im Herzen von potenziellen Kriminellen ein Schrecken einfährt.»

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