Es hätte schlimm ausgehen können: Ein Kreuzfahrtschiff rammt in Venedig unkontrolliert eine Anlegestelle und kracht in ein Touristenboot. Der Unfall befeuert die Debatte über die ungeliebten Schiffskolosse in der Lagunenstadt.
Dutzende von Venedig-Touristen fühlten sich am Sonntag wie in einem Horrorfilm. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff geriet in der italienischen Lagunenstadt beim Anlegen plötzlich ausser Kontrolle und krachte in ein kleines Boot voller Reisegäste. Nach Behörden-Angaben wurden dabei mindestens vier Menschen leicht verletzt. Sie seien alle zur Behandlung in Krankenhäuser gebracht worden, hiess es.
Der Unfall ereignete sich vormittags im zentralen Kanal von Giudecca an der Haltestelle San Basilio – und löste viel Empörung aus. Er befeuerte in der Gondel-Stadt sofort die Debatte über die immer ungeliebteren Schiffskolosse.
Die «MSC Opera» rammte beim Einfahren in den Giudecca-Kanal die Hafenanlage und prallte auf das Touristenboot.
Die «MSC Opera» gehört einer in der Schweiz registrierten und in Genua ansässigen internationalen Kreuzfahrtlinie.
Kreuzfahrtschiff rammt Touristenboot
Die «MSC Opera» rammte beim Einfahren in den Giudecca-Kanal die Hafenanlage und prallte auf das Touristenboot.
Die «MSC Opera» gehört einer in der Schweiz registrierten und in Genua ansässigen internationalen Kreuzfahrtlinie.
Auf Videos ist zu sehen, wie der Kreuzfahrt-Gigant «MSC Opera» mit lautem Sirenengeheul Richtung Anlegestelle fährt. Menschen an Land laufen in Panik davon. Man sieht auch, wie ein kleines Ausflugsschiff, das an der Anlegestelle geparkt ist, gerammt wird. An Bord des kleineren Schiffs sollen rund 130 Menschen gewesen sein. Einige von ihnen seien aus Angst ins Wasser gesprungen, so die Zeitung «Nuova Venezia» unter Berufung auf Augenzeugen.
«Alle raus aus dem Boot. Lauft!»
Die US-Amerikanerin Lynn Balzer, die beim Unfall leicht verletzt wurde, wird den 2. Juni 2019 wohl niemals vergessen. Sie erzählte in einem Video der Zeitung «Corriere del Veneto», dass sie mit ihrem Mann beim Kaffee auf dem Oberdeck des kleinen Boots sass und auf das Taxi zum Flughafen wartete, als plötzlich das riesige Schiff auftauchte. «Es kam näher und näher. Wir dachten: Klar, es wird noch an uns vorbeifahren. Das tat es aber nicht.»
Ein Besatzungsmitglied habe plötzlich gerufen: «Alle raus aus dem Boot. Lauft!» Aber plötzlich seien «der Landungssteg und alles kaputt gegangen», so die Frau. Ihre Tasche sei ins Wasser gefallen, sie habe Reisepass, Juwelen und Bargeld verloren.
Es habe im Boot und an der Anlegestelle Panik gegeben, berichteten die Zeitung «Il Tempo» und andere Medien. Besonders häufig habe man verzweifelte «Oh my god, oh my god!»-Schreie gehört, hiess es. «Alle haben geschrien, alle sind gelaufen (...) Ich wusste nicht, was ich tun sollte», sagte in einem Video ein junger Mann, der auf dem Touristenboot arbeitete und am linken Arm verletzt wurde.
Der Motor des Kreuzfahrtschiffes war offenbar blockiert
Ursache des Unglücks sei ein Motorschaden bei dem Kreuzfahrtschiff gewesen, sagte Davide Calderan, der Präsident der Schlepperfirma «Rimorchiatori Uniti Panfido». Der Motor der «MSC Opera», auf der mehr als 3500 Menschen Platz haben, sei blockiert gewesen, sagte Calderan. Er habe deshalb beim Anlegen selbstständig beschleunigt anstatt abzubremsen. Die Kreuzfahrtgesellschaft MSC Cruises sprach von einem «technischen Problem».
Der Unfall hätte in einer Tragödie enden können, klagte der Gouverneur der Region Venetien, Luca Zaia. Der Zwischenfall gebe den Forderungen nach einem Verbot des Einlaufs grosser Schiffe in das San-Marco-Becken neue Nahrung. Man könne «nicht länger warten».
Die Vereinigung von Kreuzfahrtschiff-Gegnern Comitato Nograndinavi organisierte nach dem «gravierenden Vorfall» einen spontanen, kleineren Protest und rief für nächsten Samstag zu einer grösseren Kundgebung auf. «Man kann nicht darauf warten, dass diese Monster erst von Toten gestoppt werden», hiess es auf Facebook.
Schiffskolosse sollen verbannt werden
Seit Jahren wird über die Schiffskolosse in der Unesco-Welterbestadt gestritten, die von Millionen Touristen besucht wird. Kritiker wollen die grossen Kreuzfahrtschiffe komplett aus der Lagunenstadt verbannen. Bisher fahren sie im Kanal von Giudecca in Sichtweite von Sehenswürdigkeiten wie dem Markusplatz.
Der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, berief für Sonntagnachmittag eine ausserordentliche Sitzung des Ausschusses für Ordnung und Sicherheit ein. Das Unglück sei «der x-te» Beweis, dass in dem Kanal keine Kreuzfahrtriesen mehr fahren könnten, erklärte er. Auch Italiens Verkehrsminister Danilo Toninelli erklärte, die Stadt müsse besser geschützt werden.
Geplant ist, dass die besonders grossen Kreuzfahrtschiffe eine weniger spektakuläre Route um die Stadt fahren und in der Industriegegend Marghera anlegen. Über dieses Projekt wird allerdings auch seit Jahren debattiert. Die Unesco hat Venedig bereits gewarnt, dass die Riesenschiffe das Welterbe gefährdeten. Umweltschützer mahnen wegen Risiken für das besondere Ökosystem der Lagune. Unternehmer sehen dagegen ihr Geschäft in Gefahr.
Venedig: Chaos auf den Wasserstrassen
Venedig - Chaos auf den Wasserstrassen
Dichtestress auf den Wasserstrassen in Venedig: Nach zwei tödlichen Unfällen fordern nun auch Politiker rasche Massnahmen. (Symbolbild)
Kurz vor Mitternacht am Freitag prallte ein Boot mit vier Menschen an Bord auf der Rückkehr von einer Abendveranstaltung gegen ein Fischerboot. Zwei 69-jährige Angler starben.
Am Samstag kennterte ein Boot mit ein Boot mit fünf Menschen an Bord wegen einer ungewöhnlich hohen Welle. Ein 76-Jähriger starb.
"Der Canal Grande ist ärger als eine Autobahn geworden", kommentierten lokale Medien.
Die Zahl der Boote in Venedig ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Die Lagunenstadt profitiert einerseits vom Tourismus, andererseits leidet sie auch stark darunter.
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