Behörden schauen weg Gefangen im Spital: Kliniken sperren Patienten ein, bis sie bezahlen

AP

8.11.2018

In rund 30 Ländern weltweit werden Patienten in Krankenhäusern festgehalten, bis ihre Behandlungskosten beglichen sind. Vor allem Kliniken in Asien und Afrika sperren säumige Zahler ein, während Behörden und internationale Geldgeber wegschauen.

Robert Wanyonyi ist seit einem Raubüberfall auf seinen Laden gelähmt. Vor über einem Jahr wurde er mit Schusswunden ins Kenyatta National Hospital in Nairobi eingeliefert. Die Ärzte können ihm nicht mehr weiterhelfen, doch Wanyonyi liegt noch immer in einem Bett im vierten Stock der Klinik. Grund: Er kann seine Behandlungskosten von umgerechnet rund 35'000 Euro nicht bezahlen. Wie in vielen Krankenhäusern weltweit gilt hier die Devise: Wer nicht zahlt, darf nicht nach Hause.

Die Nachrichtenagentur AP fand in Krankenhausakten, Patientenlisten und Interviews mit Dutzenden Ärzten, Krankenschwestern, Gesundheitswissenschaftlern, Patienten und Verwaltern Belege für solche Inhaftierungen in mehr als 30 Ländern weltweit. Darunter waren die Philippinen, Indien, China, Thailand, Litauen, Bulgarien, Bolivien und der Iran. Die Kliniken greifen dafür zu Waffengewalt, schliessen Türen ab und legen manchmal sogar Ketten an. Selbst der Tod garantiert keine Entlassung: Nach Behördenangaben behalten kenianische Kranken- und Leichenhäuser Hunderte Leichen, bis ihre Familien die Rechnungen bezahlen.

Wahrscheinlich Millionen Betroffene

Im Kongo gab es nur eine Klinik unter den mehr als 20 besuchten Häusern, die keine Patienten gefangen hielt. «Auffällig ist, dass wir immer mehr finden, je mehr wir suchen», klagt Ashish Jha, Direktor des Harvard Global Health Institute. «Es sind wahrscheinlich Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Menschen, die weltweit davon betroffen sind.»

Bei mehreren Besuchen im August im Kenyatta National Hospital - einer grossen Klinik, von der US-Seuchenschutzbehörde CDC als Center of Excellence ausgezeichnet – wurden säumige Ex-Patienten von bewaffneten Wachleuten in Militäruniform festgehalten. Sie schliefen auf Laken auf dem Boden in abgesperrten Räumen. Ein Vater wurde daran gehindert, sein eingesperrtes Kleinkind zu besuchen. Der kenianische Gesundheitsminister und die Klinikleitung wollten dies nicht kommentieren.

Gesundheitsexperten verurteilen solche Inhaftierungen als Menschenrechtsverletzungen. Doch die Vereinten Nationen, die Gesundheitsbehörden in den USA und weltweit sowie Geldgeber und Hilfsorganisationen bleiben stumm, während sie zur Unterstützung der Gesundheitssysteme oder zur Bekämpfung von Aids und Malaria Milliarden Dollar in diese Länder pumpen. «Die Leute wissen, dass Patienten gefangen gehalten werden, doch sie denken wahrscheinlich, sie haben grössere Probleme im öffentlichen Gesundheitswesen, also vernachlässigen sie dieses», erklärt Sophie Harman, globale Gesundheitsexpertin an der Queen Mary University in London.

Die Opioid-Krise in den USA

Zwar räumen die Krankenhäuser oft ein, dass das Festhalten von Patienten nicht sehr profitabel sei. Doch viele betonen, es diene zur Abschreckung und führe manchmal zu Teilzahlungen. Festus Njuguna ist Onkologe an Lehrkrankenhaus Moi in Eldoret etwa 300 Kilometer nordwestlich von Nairobi.

Die Klinik sperre regelmässig Kinder nach Krebsbehandlungen ein, deren Eltern nicht bezahlen könnten, so Njuguna: «Es ist kein sehr gutes Gefühl für die Ärzte und Krankenschwestern, die diese Patienten behandelt haben.» Doch manche verteidigen die Praxis. «Wir können die Leute nicht einfach gehen lassen, wenn sie nicht bezahlen», betont Leedy Nyembo-Mugalu, Verwalter des Krankenhauses Katuba im Kongo. Die Inhaftierung von Patienten sei nicht eine Frage der Menschenrechte, sondern des unternehmerischen Handelns: «Keiner kommt Monate später zurück, um seine Rechnung zu bezahlen.»

Keine Reaktion von Kliniken und Behörden

Von internationalen Gesundheitsbehörden und Klinikbetreibern gibt es kaum Stellungnahmen. Die US-Behörde CDC, die jährlich etwa 1,5 Millionen Dollar für das Kenyatta National Hospital und die Pumwani-Entbindungsklinik zur Verfügung stellt und unter anderem zu den Behandlungskosten für Patienten mit HIV und Tuberkulose beiträgt, wollte keine Auskunft geben, inwieweit sie von den Inhaftierungen weiss.

Agnes Soucat von der Weltgesundheitsorganisation WHO sagt, man unterstütze zwar solche Inhaftierungen nicht, könne jedoch keine nachweisen. Die Organisation gab Hunderte Gesundheitswarnungen von Aids bis zum Zika-Virus heraus, jedoch keine Handlungsanweisung zu Inhaftierungen in Krankenhäusern.

Ehemaliges Tuberkulose-Spital in England wird verkauft

Kenianische Menschenrechtsaktivisten verweisen auf ein wegweisendes Urteil 2015. Damals entschied das Oberste Gericht, dass die Inhaftierung von Maimuna Omuya und Margaret Oliele in der Pumwani-Entbindungsklinik «grausam, unmenschlich und erniedrigend» war: Die beiden Frauen waren wegen Zahlungsunfähigkeit nach der Entbindung festgehalten worden – Omuya und ihr Neugeborenes fast einen Monat lang neben einer überfluteten Toilette, Oliele nach einem Fluchtversuch an ihr Bett gefesselt. Anfang Oktober urteilte das Oberste Gericht erneut, die Inhaftierung von Patienten sei «kein akzeptabler Weg für Krankenhäuser, Schulden einzutreiben».

Omuya ist nach eigenen Angaben noch immer traumatisiert nach ihrer Klinik-Haft. Vor einigen Monaten wurde auch ihr jüngster Bruder in einer Klinik festgehalten, nachdem er wegen einer möglichen Vergiftung behandelt worden war. Erst auf Intervention eines Arztes konnte er das Krankenhaus verlassen. «Die Leute werden weiterhin eingesperrt, weil es hier keine Rechte gibt», sagt Omuya. «Was ich durchgemacht habe, wünsche ich niemandem.»

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite