AfrikaChinas massive Nachfrage nach Gelatine bedroht Eselbestand in Afrika
Sam McNeil und Tom Odula, AP
18.6.2018
Tierschützer in Afrika warnen vor einem Trend in China. Dort gilt Eselhaut als Heilmittel. Weil die Nachfrage so gross ist, bestehlen Schwarzmarkthändler afrikanische Eselbesitzer. Doch die können ohne die Tiere ihren Lebensunterhalt nicht verdienen.
Bei Sonnenaufgang waren die Esel verschwunden. Joseph Kamonjo Kariuki durchkämmte fieberhaft den Busch nach den Tieren, mit denen er Wasser liefert, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber die Esel waren fort. Kinder aus dem Dorf führten Kariuki schliesslich zu den grausigen Überresten: abgetrennte Eselköpfe verteilt auf dem Boden.
«Ich war geschockt», sagt der 37-Jährige, der in seinem kenianischen Heimatort Naivasha als «Jose wa Mapunda» bekannt ist, was auf Suaheli soviel heisst wie «Joseph mit den Eseln». Kariuki ist überzeugt, dass seine Esel für den Schwarzmarkt geschlachtet wurden. Die Haut der Tiere ist der wichtigste Bestandteil eines neuen Gesundheitstrends in China. Aus der Eselhaut wird Gelatine gekocht, die in China Ejiao genannt wird und angeblich gut für die Gesundheit ist.
Tierschützer in Kenia und Burkina Faso bis hin nach Ägypten und Nigeria sagen, dass Geschäftsleute die unstillbare Nachfrage in der Volksrepublik bedienen wollen. Diese bedroht die Tiere, von denen viele Afrikaner in der Landwirtschaft und für den Transport schwerer Lasten abhängig sind.
Weil die Zahl der Esel in China gesunken ist, gehen Ejiao-Hersteller in Afrika, Australien und Südamerika auf die Suche. Nach Meinung der Tierschützer bedrohen sie damit den weltweiten Bestand und sorgen für gewaltsame Verbrechen und Proteste in Afrika.
Auch Kariuki hat eine Protestgruppe namens «Tunza Punda Wako» («Pass auf deinen Esel auf») gegründet. Die Aktivisten werfen dem Schlachthof in Naivasha vor, die Esel-Diebstähle zu befördern. «Wenn das so weitergeht, werden wir unseren Kindern erzählen, dass es früher einmal Esel gab», sagt Kariuki.
Tausende Kilometer vom kenianischen Naivasha entfernt wird in Dong'e im Osten Chinas das meiste Ejiao weltweit produziert. Wer in die Stadt fährt, passiert Schilder um Schilder, auf denen die angeblich heilenden Kräfte der Gelatine beworben werden. «Iss Ejiao — für ein langes Leben, weniger Gewicht und mehr Energie», steht als Slogan an einem Hotel, das sich auf Ejiao-Tourismus spezialisiert hat.
Auf den metallüberdachten Koppeln am Stadtrand züchten Bauern Hunderte Esel. Die meisten Tiere der drei Farmen, die AP besuchte, waren mit den Initialen von «Dong'e Ejiao Corporation Limited» (DEEJ) markiert, Chinas grösstem Hersteller von Eselgelatine. DEEJ verarbeitet rund eine Million Häute jedes Jahr. Nach Zahlen der Marktforscher im chinesischen Forward Industry Research Institute macht dies 63 Prozent des Ejiao-Marktes aus. Im jüngsten Jahresbericht der Gelatine-Firma heisst es, die Gewinne seien im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf 313 Millionen Dollar (269 Millionen Euro) gestiegen.
DEEJ-Chef Qin Yufeng lehnt ein Interview ab, teilt aber schriftlich mit, Ejiao sei mehr als 20 000 Haushalten in 1000 Städten zugute gekommen. Qin erklärt weiter, dass die gestiegene Nachfrage nach Ejiao nicht der Grund für die sinkende Zahl der Esel sei. Tatsächlich würden weniger Esel aufgezogen, da sie auf den Farmen zunehmend von Maschinen ersetzt worden seien.
Guo Fanli, Wirtschaftsexperte aus dem südchinesischen Shenzen, sagt Qin und seine Firma hätten den Wert des Ejiao aufgebläht. Wurde die Gelatine ursprünglich wegen ihrer angeblichen blutverbessernden Eigenschaften eingenommen, wird sie nun mit einer viel umfassenderen Wirkung auf Gesundheit und Schönheit vermarktet. «Indem sie Ejiao eine stärkere kulturelle Bedeutung zugeschrieben und seine tatsächliche Wirkkraft übertrieben dargestellt haben, konnten sie es erfolgreich zu einem vielfach anwendbaren Gesundheitsprodukt machen, das auch als Geschenk gekauft werden kann», sagt Guo, doch: «Je mehr es gehypt wird, desto schlimmer könnte es auch scheitern.»
Auch anderswo wird der Nutzen von Ejiao kritisch gesehen. Die chinesische Gesundheitsbehörde teilte im Februar mit, die Vermarktung von Ejiao gründe sich auf «abergläubische Vorstellungen». Das Mittel sei lediglich «gekochte Eselhaut», hiess es weiter in der Mitteilung auf der Microblogging-Plattform Sina Weibo.
Die Behörde entfernte das Posting später wieder, nachdem Anhänger traditioneller Medizin sich darüber entrüstet hatten. Einer von ihnen ist Fu Yanlin, Professor an der Universität für Chinesische Medizin in Peking. Er sagt, er verschreibe Ejiao seinen 100 Patienten gegen Harnwegs-, Herz-Kreislauf-, gynäkologische und andere Erkrankungen.
Die gestiegene Nachfrage nach Ejiao hat den Preis für Eselhaut fast verfünffacht. Nach Angaben der Ejiao-Gesellschaft in Shandong stieg er von 78 Dollar pro Stück im Jahr 2010 auf 405 Dollar im Jahr 2015. Derweil hat sich der Eselbestand in China zwischen 1996 und 2015 fast halbiert. Laut staatlichen Medien sank er von 9,4 Millionen auf 5,5 Millionen.
Infolge der grossen Nachfrage haben die afrikanischen Staaten Namibia, Tansania, Kenia, Äthiopien und Botsuana verstärkt Eselschlachtereien gebaut. Der Export von Eselhaut aus dem Niger habe sich verdreifacht, und Botsuana habe in nur sechs Monaten drei Prozent seines Eselbestandes geschlachtet, teilt die britische Tierschutzorganisation Donkey Sanctuary mit. Demnach werden jährlich mehr als zwei der insgesamt 44 Millionen Esel weltweit für ihre Haut getötet.
Donkey Sanctuary zufolge haben 14 afrikanische Regierungen den Export von Eselhäuten verboten. Calvin Onyango, Manager der Tierschutzorganisation in Kenia, sagt, dass die drei lizenzierten Schlachthöfe im Land jeden Tag 1000 Esel töteten, um den chinesischen Markt zu bedienen. In den vergangenen neun Jahren sank der Bestand von 1,8 Millionen auf 1,2 Millionen.
«Wir haben nicht viele Esel und die meisten Leute wollen ihre auch nicht verkaufen», sagt Onyango. «Um also diese Schlachthöfe weiter mit Tieren zu versorgen, kommen jetzt Geschäftsleute und Zwischenhändler und stehlen die Esel.» Wenn weiterhin so viele Tiere geschlachtet würden, sagt Onyango, könne es sein, dass es in fünf Jahren keine Esel in Kenia mehr gebe.
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