Das sagen Schweizer Hunde-Experten dazu Trotz tödlicher Attacke soll «Chico» leben: Richtig oder falsch?

von Fabienne Rüetschi

9.4.2018

Kampfhund «Chico», der in Hannover zwei Menschen tot gebissen hat, darf möglicherweise weiterleben. Eine kontroverse Diskussion ist entbrannt. Richtig oder falsch? «Bluewin» hat bei Schweizer Hunde-Experten nachgefragt.

Es ist kaum vorzustellen, was letzten Dienstag in der Wohnung im deutschen Hannover passiert ist. Staffordshire Terrier «Chico» greift seine 52-jährige Besitzerin und ihren 27-jährigen Sohn an. Der Hund beisst immer wieder zu, so lange bis die Frau im Rollstuhl und der kleinwüchsige Mann an den zugefügten Verletzungen sterben.

«Chico» hat den Tod zweier Menschen verursacht und soll jetzt doch weiterleben dürfen. Das gab der Tierschutzverein in Hannover am Sonntag via Facebook bekannt.

Zuvor war die Diskussion, was mit dem Tier passieren soll, heftig und emotional geführt worden. Denn die Stadtverwaltung von Hannover hatte noch am Freitag entschieden, der Kampfhund muss eingeschläfert werden.

Rund 230'000 Menschen hatten sich daraufhin für den Vierbeiner stark gemacht und eine Petition gegen dessen Einschläferung unterzeichnet. Jetzt die Wende. Ein Sprecher der Stadt bestätigt gegenüber «Bild», man prüfe, ob der Hund in einer besonderen Einrichtung für auffällig gewordene Tiere untergebracht wird. Falls man zum Schluss komme, dass von ihm keine Gefahr für die Allgemeinheit besteht, wird «Chico» nicht getötet. Bis zur Entscheidung bleibt der Hund am Leben.

Schwerwiegende Bissvorfälle werden eingehend geprüft

Keine einfache Entscheidung, findet Barbara Fehlbaum, diplomierte tierpsychologische Beraterin vom Berufsverband für Tierpsychologie VIETA. «Wenn bei einem Hund die Chance auf eine Resozialisierung in die Gesellschaft als sehr gering eingeschätzt wird, tut man weder dem Hund noch den Mitarbeitern einer solchen Einrichtung einen Gefallen, ihn einzusperren», so ihre persönliche Überzeugung.

Geht ein Hund auf einen Mensch los, gilt für Fehlbaum generell: «Um zu verstehen, warum er zugebissen hat, muss jede Attacke sehr genau angeschaut werden.» Denn jeder Vorfall sei anders und die Vorgeschichte des Hundes spiele immer eine wichtige Rolle. Hat das Tier aus heiterem Himmel zugebissen oder gab es eine Vorwarnung? Ist es schon häufiger auffällig geworden und wie wurde es gehalten?

Um solche Fragen zu klären wird ein Hund in der Schweiz nach einem schwerwiegenden Bissvorfall in der Regel vom zuständigen Kantonstierarzt zu einer Wesensprüfung aufgeboten. «Experten schauen sich das Verhalten von Hunden in diversen Testsituationen sehr genau an», so Fehlbaum. «Diese sollen zeigen, wie das Tier zum Beispiel auf Kinderwagen und andere Hunde reagiert oder ob es mehrere unbekannte Menschen erträgt.» Diese Wesensprüfungen seien sehr aufwändig und fallen von Kanton zu Kanton unterschiedlich aus.

Ausweg: Einschläfern

Hunde können auch aus gesundheitlichen Gründen plötzlich aggressiv werden. «Ein Hirntumor oder auch sehr starke Schmerzen können dazu führen, dass bei einem Hund die Sicherung durchbrennt und er zubeisst». Dann müsse die medizinische Versorgung an erster Stelle stehen. Auch in anderen Fällen ist eine Verhaltenstherapie laut der Expertin oft nicht wirksam. «Hunde, die ein Leben lang auf Gewalt und Aggression abgerichtet wurden, lassen sich praktisch nicht mehr therapieren. Sie beissen zu und öffnen ihre Kiefer nicht mehr. In diesen Fällen gibt es nur noch einen Ausweg: Einschläfern.»

Dass es bei tödlichen Bissattacken in der Schweiz keine allgemeine Handhabung gibt, bestätigt auch Regula Vogel, Kantonsärztin in Zürich: «Wir prüfen jede Bissmeldung im Einzelfall. Aufgrund der Risikoanalyse wird nicht nur über Sofortmassnahmen, wie die vorsorgliche Beschlagnahmung und Unterbringung an einem für eine gesicherte Haltung geeigneten Ort, sondern auch über das das entgültige Vorgehend beim betroffenen Hund entschieden».

Fall Süleyman schockierte die Schweiz

Vor zwölf Jahren schockierte ein ähnlich dramatischer Fall, wie jetzt in Deutschland, die Schweiz: Auf dem Weg zum Kindergarten wurde der 6-jähriger Süleyman von drei Pitbull Terrier tot gebissen.

Teile der Bevölkerung und die Politik forderten ein nationales Gesetz. 2010 stimmte das Parlament darüber ab – und entschied sich dagegen. Deshalb führt auch heute noch jeder Kanton unterschiedliche Listen, welche Hunderassen als gefährlich gelten und welche Auflagen es dafür gibt.

Hier gilt der Kanton Zürich als schärfster Kanton. Komplett verboten ist die Haltung von: American Pit Bull Terrier, American Staffordshire Terrier, Bull Terrier, Staffordshire Bull Terrier, American Bull Terrier, Pitbull Terrier, Bandog und Basicdog. Das Verbot gilt auch für Mischlinge mit mehr als 10 Prozent Blutanteil der verbotenen Rassen. Ähnlich strenge Gesetze kennen neben Zürich auch die Kantone Freiburg, Genf und Wallis.

Keine Kampfhundelisten dagegen gibt es etwa in Bern, Luzern oder dem Kanton Graubünden.

Der Kanton Zürich hat am meisten Kampfhunde gelistet.
Der Kanton Zürich hat am meisten Kampfhunde gelistet.
www.petfinder.ch
Bilder aus der Schweiz

Zurück zur Startseite