Zwischen Vietnam-Krieg und Bürgerrechtsbewegung treffen sich 1969 rund 400'000 Menschen auf einem Feld bei New York und feiern drei Tage lang friedlich zu Weltklasse-Musik. Das Woodstock-Festival prägt eine ganze Generation. Was ist 50 Jahre später davon geblieben?
Tibetanische Gebetsflaggen, bunte T-Shirts, Peace-Zeichen und über all dem ein Geruch nach Räucherstäbchen: Die Tinker Street, das Zentrum des Städtchens Woodstock etwa zwei Autostunden nördlich von New York, wirkt wie ein kommerzialisierter Gedenkschrein an das gleichnamige Festival, das am Donnerstag (15. August) vor genau 50 Jahren begann.
Dabei war Woodstock nicht in Woodstock. Der kleine Ort mit rund 6000 Einwohnern in den Catskills, einem New Yorker Naherholungsgebiet, war zwar Namensgeber und spiritueller Pate des legendären Festivals. Die Musikparty selbst aber fand rund eine Autostunde südwestlich im noch etwas kleineren Örtchen Bethel statt.
Weisse Tauben und Peace-Zeichen
Auch in Bethel finden sich hin und wieder Schilder mit Peace-Zeichen und weissen Tauben in den Vorgärten und vereinzelt Stände mit Batik-T-Shirts. Der Kommerz aber wird in Woodstock abgefeiert. Der Gedenkschrein in Bethel dagegen ist eine grosse abschüssige Wiese mit der natürlichen Topographie eines Auditoriums am Rande des Örtchens.
Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Woodstock-Mit-Organisator Michael Lang genau hier stand, gemeinsam mit Max Yasgur, Milchbauer und damaliger Besitzer der Wiese. Mehrere potenzielle Austragungsorte für das Festival in der weitläufigen Gegend um Woodstock herum hatten da gerade schlagzeilenträchtig und teils per Gericht abgesagt.
Hektische Vorbereitung
Vier Wochen waren es da noch bis zum geplanten Festivalauftakt. Bands und Bühne waren organisiert und bezahlt, mehr als 100'000 Tickets verkauft – und Lang verzweifelt. Etwa 70'000 Dollar zahlt Lang dem Bauern und fängt dann hektisch mit seinem Team an, die Wiese innerhalb von nur vier Wochen in ein Festivalgelände umzubauen.
Organisator Lang stammt aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn und hatte schon einige Konzerte und kleinere Festivals organisiert, als er 1968 nach Woodstock zog. Das Land um ihn herum wird damals immer wieder von Schockwellen durchzogen, positiven wie negativen: Der Krieg in Vietnam, die Bürgerrechtsbewegung und der Widerstand gegen die Rassentrennung, die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy 1963 und Bürgerrechtler Martin Luther King fünf Jahre später, die Frauenbewegung, die erste Mondlandung, die Flower-Power-Hippie-Bewegung.
«Woodstock wurde aus diesen Zeiten heraus geboren und dem Bedürfnis zu schauen, ob wir die Welt an unser Bild von einem mitfühlenderen und liebevolleren Ort anpassen können.»
Das Beste vom Besten
In allererster Linie aber geht es den Organisatoren um die Musik: Nicht irgendwelche Bands sollen spielen, sondern die Besten der Besten, hauptsächlich, aber nicht nur, aus der alternativen Kultur, abseits des Mainstream: Joan Baez, Canned Heat, Janis Joplin, Grateful Dead, Jefferson Airplane, Joe Cocker, Crosby, Stills & Nash (mit dem neuen Bandmitglied Neil Young) und Jimi Hendrix – sie kommen alle und prägen mit ihren Auftritten den Musikgeschmack einer ganzen Generation bis heute.
Monatelange Planung geht dem Festival voraus. Trotzdem wird es chaotisch: Der Sommer 1969 ist so regnerisch wie schon lange nicht mehr, immer wieder ziehen heftige Gewitter über das Gelände hinweg, die Wiese mit allem elektrischen Bühnen-Equipment wird zu einem matschigen Sumpf.
Die Tickets hatten ursprünglich sechs Dollar pro Tag gekostet. Aber als die ersten Besucher die wenigen halb fertigen Zäune in der matschigen Wiese einfach überrennen, entscheiden die Organisatoren spontan, keinen Eintritt mehr zu verlangen. So viele junge Menschen machen sich auf den Weg nach Bethel, dass die Zufahrtsstrasse 17 B und die Route bis hinunter nach New York zum Dauerstau werden.
Eine halbe Million Fans
Rund 60 Stunden lang feiern schliesslich knapp eine halbe Million Menschen zusammen auf der Wiese von Bauer Yasgur, rutschen durch den Matsch, baden nackt in umliegenden Flüssen und Seen, singen und schwelgen zur Musik, schlafen wenig und nehmen viele Drogen. Die Menschen liegen sich in den Armen, propagieren freie Liebe und unbeschwerten Sex.
Die Atmosphäre ist familiär. Langs Eltern beobachten das Geschehen vom Bühnengerüst aus. Von den Organisatoren sorgfältig geplante Film- und Fotoaufnahmen des Festivals gehen um die Welt. Alles läuft friedlich ab: Drei Tage lang wird keine einzige Schlägerei oder irgendein anderer Gewaltakt gemeldet.
Eigene Version der Nationalhymne
Schliesslich spielt am Montagmorgen Jimi Hendrix zum Schluss seine ganz eigene Version der amerikanischen Nationalhymne. Der Geist von Woodstock aber hält nur kurz. Ein Jahr danach sterben Hendrix und Joplin, 1974 auch Bauer Yasgur.
1994 und 1999 versuchen die Organisatoren mit neuen Woodstock-Festivals zu Jubiläen nachzulegen, aber es ist nicht mehr dasselbe. Auch zum 50. Jubiläum wollte Lang eine Neuauflage anbieten, hatte schon Stars wie Miley Cyrus und Jay-Z dafür gewinnen können, doch dann häuften sich die organisatorischen Probleme und das geplante «Woodstock 50»-Festival musste nur rund zwei Wochen vor dem geplanten Datum abgesagt werden.
Ungelöste Probleme
Dabei brauche es das Woodstock-Gefühl doch heute dringender als je zuvor, sagt Mit-Organisator Lang. «Viele der Probleme, über die wir uns damals Sorgen gemacht haben und die wir lösen wollten, sind zurück.
Damals gab es die Anfänge der Umweltbewegung und jetzt haben wir jemanden im Weissen Haus, der den existenzbedrohenden Klimawandel leugnet. Und alles ist so spaltend in Hinblick auf die Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Herkunft und Männern und Frauen. Wir dachten, wir hätten unsere Lektion gelernt – aber die Vergangenheit hat uns eingeholt und wir müssten dringend zurückschauen und darüber nachdenken.»
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