Falsche TodesmeldungJetzt verteidigen Ärzte das BAG – und fordern mehr Aufklärung der Bevölkerung
Von Jennifer Furer und Julia Käser
17.8.2020
Eine Panne nach der nächsten: Das Bundesamt für Gesundheit BAG musste sich in letzter Zeit einige Kritik anhören. Einige Ärzte nehmen die Behörde jetzt in Schutz – andere fordern Massnahmen.
Stefan Kuster, Leiter der Abteilung Übertragbarer Krankheiten beim BAG, bestätigt am Freitag an einer Medienkonferenz überzeugt den Tod eines unter 30-jährigen Mannes aus dem Kanton Bern, der kurz zuvor am Coronavirus erkrankt war. Vor versammelter Journalistenschar gibt er an, der verstorbene junge Mann habe keinerlei Vorerkrankungen gehabt.
Alles falsch. Der Mann lebt. Er befindet sich zu Hause in Isolation – mit geringen Coronasymptomen. Ein Fehler, der so nicht hätte passieren dürfen. Ein Fehler, der sich in eine Reihe von Fauxpas gliedert.
Die Pannenserie des BAG
Das BAG liefert falsche Zahlen zu den Ansteckungsorten. So schrieb die Behörde, dass 41,6 Prozent der bekannten Ansteckungen auf Clubbesuche zurückgingen, 26,8 Prozent auf Bars oder Restaurants. Einen Tag später kam die Korrektur: Gemäss den korrekten Zahlen stecken sich die meisten Leute im familiären Umfeld an, nämlich in 27,2 Prozent aller Fälle.
Im Frühjahr vermeldet das BAG sowohl den Tod eines 9-jährigen Kindes als auch denjenigen einer 27-jährigen Person durch das Coronavirus. Fehlerhafte Todesmeldungen, wie sich später herausstellte: Beim Kind handelt es sich in Wahrheit um eine 109-jährige Person und auch der zweite Verstorbene war nicht 27, sondern 87 Jahre alt.
Im Mai vermeldete das BAG via Twitter 98 Neuinfektionen. Weil ein Labor falsche Zahlen durchgab, musste der Wert auf 58 korrigiert werden.
Das BAG sagte stets, dass Masken nichts bringen würden. Womöglich eine Ausrede, weil der Bund und zuständige Institutionen es versäumt hatten, genug Masken für die Bevölkerung zu sichern. Inzwischen empfiehlt das BAG den Kantonen eine Maskenpflicht in Läden.
Zu Beginn der Pandemie funktionierte die Corona-Info-Hotline stundenlang nicht.
Die Ursache des öffentlichkeitswirksamen Fehlers liegt bei der klinischen Meldung eines Isolationfalles. «Das Formular enthält ein Feld, das bei Todesfällen angekreuzt wird. Zwar wurde dort kein Kreuz gemacht – aber es befand sich eine Zahl in diesem Feld», sagte Gundekar Giebel, Kommunikationschef der Gesundheitsdirektion des Kantons Bern, dem «Tages-Anzeiger».
Brisant: Das BAG hatte es versäumt, auf das Todesfall-Formular zu warten, das bei jedem Covid-19-Toten zusätzlich verschickt wird. Giebel: «Leider wurde auch zu spät abgeklärt, weshalb sich eine Zahl und kein Kreuz in dem Feld befand.»
Der Aufschrei in den Medien war gross – und auch in den sozialen Medien wurde der Wut auf die Behörden freien Lauf gelassen. Kritik gab es weiter von Rudolf Hauri, Präsident der Schweizer Kantonsärzte und Zuger Kantonsarzt. Das Meldeformular gehöre auf den Prüfstand, sagte er gegenüber SRF. Zudem empfehle er den Gesundheitsverantwortlichen nachzufragen, wenn gemeldete Daten auffällig oder merkwürdig seien.
«Die Formulare sind nicht neu für die Ärzteschaft»
Beim Verband Haus- und Kinderärzte Schweiz (MFE) will man den einzelnen Vorfall nicht kommentieren. Dazu fehlten Detailinformationen, so Kommunikationsbeauftragte Sandra Hügli-Jost zu «Bluewin». Sie spricht sich jedoch für die Coronameldeformulare aus: «Sie sind ein wichtiges und gutes Mittel, um die Entwicklung und den Verlauf datenbasiert verfolgen und vor allem rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.»
Die Formulare seien für die Ärzteschaft im Übrigen auch nicht neu. Sämtliche übertragbare Krankheiten müssten auf diese Weise gemeldet werden. «Wichtig ist, dass die Meldeformulare möglichst einfach und klar sind», gibt Hügli-Jost weiter an.
Einfach und klar seien die bestehenden Formulare nicht, kritisiert hingegen Doris Schmutz, Sprecherin bei der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). Obwohl das BAG ein elektronisches Meldesystem bereits für 2014 angekündigt gehabt hätte, hätten Ärztinnen und Ärzte ihre Meldungen bis im März 2020 ausschliesslich per Post oder Fax übermitteln können.
«Die FMH ist sehr erfreut darüber, dass das BAG nun seit April 2020 ein elektronisches Meldesystem anbietet», sagt Schmutz. Dieses stelle zwar eine lang erhoffte Verbesserung dar, sei aber als vierstufiger Prozess noch immer kompliziert und zeitaufwändig.
FMH fordert einfaches Online-Meldeformular
Schmutz führt aus: «So muss erstens die korrekte BAG-Seite aufgerufen werden. Zweitens muss von dort aus eine E-Mail an eine Dritt-Adresse gesendet werden, worauf der anfragende Arzt drittens wiederum eine E-Mail mit einem Link erhält. Mit diesem Link kann er viertens auf das Online-Formular zugreifen und dieses ausfüllen.»
Dass der Meldeprozess aufwendig und wenig benutzerfreundlich sei, habe man dem BAG wiederholt mitgeteilt und die Behörde auch bei der Vereinfachung des aktuellen Meldeprozesses unterstützt. «Die FMH hofft, dass das BAG noch im Monat August den optimierten Meldeprozess umsetzen wird», so Schmutz.
Ihr Fazit: «Ein direkt online ausfüllbares Formular, das rasch und einfach von den Ärztinnen und Ärzten bearbeitet werden kann, ist aus unserer Sicht klar der bessere Weg.»
Nicht das Coronameldeformular gehöre in erster Linie auf den Prüfstand, sondern der gesellschaftliche Umgang mit solchen Fehlern, findet allerdings Monique Lehky Hagen, Co-Präsidentin der Konferenz der Kantonalen Ärztegesellschaften KKA zu «Bluewin»: «Wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Situation – und damit in einem Lernprozess.»
Sie sagt: «Vor nicht allzu langer Zeit wurden die Behörden kritisiert, weil sie Informationen zu langsam verarbeitet und kommuniziert haben.» Jetzt hagelte es Kritik, wenn Fehler passierten. «Viele vergessen dabei, dass Schnelligkeit auch mit einem Abstrich in der Präzision und Genauigkeit einhergehen kann.».
Kritik an der Veröffentlichung der täglichen Fallzahlen
Dennoch glaubt auch Lehky Hagen, dass es eine Anpassung der Prozesse braucht – dabei stünden aber nicht nur die Behörden und das Corona-Meldeformular im Fokus, sondern die tägliche Veröffentlichung der Fallzahlen. «Das bringt nicht viel.»
Sie begrüsse es, wenn solche Zahlen in einem grösseren Zusammenhang kommuniziert würden. «Ein täglicher Live-Ticker aber bringt wenig, weil er nicht diejenigen Informationen liefert, die wichtig sind», sagt die Walliser Ärztin. Die täglichen Zahlen würden die Bevölkerung in die Irre führen.
Die Spannung würde von Tag zu Tag aufrechterhalten. «Das ermüdet», stellt Lehky Hagen fest. Ein Teil der Bevölkerung klinke sich aus, ein anderer reagiere mit Abwehr oder Widerstand, weil die Zahlen in dieser Form keine sinnvoll brauchbare Information lieferten.
Zudem würde jeder Fehler zu einem Aufruhr führen. «Das hilft niemandem und verschwendet Energie.» Diese gelte es aber jetzt zu sparen –, «weil die Krise noch lange andauern wird», so Lehky Hagen.
Energieverschwendung sei es auch, wenn die Behörden bei jedem Fehler ihren Kopf hinhalten müssten. Viel eher müsse jeder und jede seine eigene Verantwortung in der Krise wahrnehmen und zu einer positiven Fehlerkultur beitragen.
Hierbei würde eine erhöhte Datenkompetenz in der Bevölkerung Abhilfe schaffen, ist sich Lehky Hagen sicher. Im Moment fehle eine solche. «Doch diese ist unerlässlich, damit sich Bürgerinnen und Bürger nicht nur im gesundheitspolitischen Bereich, sondern mittlerweile auch in allen Lebensbereichen informiert und mündig einbringen können.»
Die KKA hat deshalb einen dringenden Appell an die Politik gerichtet, der verlangt, dass die Basis zur Einleitung und Förderung einer nachhaltigen nationalen Datenkultur rasch gelegt werde. Dieser müsse zwingend die Medien, den Bildungssektor, renommierte Statistikexperten sowie Experten aller betroffenen Fachbereiche einbinden. «Diesbezüglich sind diverse Projekte national und international in Vorbereitung.»