Masern auf dem VormarschImpfpapst Beda Stadler: «Es braucht den Zwang und saftige Bussen»
Silvana Guanziroli
18.4.2019
Immunologe Beda Stadler setzt sich seit Jahren für eine bessere Impfrate ein. Auf seiner Mission scheut er auch nicht davor zurück, Bundesräte anzugreifen. In der Bluewin-Rubrik «Jetzt mal ehrlich» spricht Stadler Klartext.
Der Schweizer Immunologe Beda Stadler hat eine Berufung. Er will Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps und Co. den Garaus machen. Diesen Kampf hat der ehemalige Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern auch nach seiner Pensionierung nicht aufgegeben.
«Bluewin» trifft den mittlerweile 69-jährigen Impfpapst in seiner Heimatstadt Visp im Kanton Wallis. Hier ist Stadler bekannt wie sonst nur Joseph Blatter. Während des Interviews in einer Gartenwirtschaft wird er immer wieder gegrüsst und angesprochen. Er reagiert stets mit einem Lachen. Doch geht es um seine Mission, wird der Immunologe ernst, richtig ernst.
Herr Stadler, nicht immer halten sich Ärzte an das, was sie selber predigen. Wie ist das bei Ihnen? Wogegen sind Sie geimpft?
Ich bin so gegen ziemlich alles geimpft, was bei uns eine Bedrohung ist. Tatsächlich schlüpfte ich für meine Studenten immer in die Rolle des Versuchskaninchens und liess mir bei Experimenten die Impfstoffe spritzen. Mit gutem Gewissen kann ich sagen, ich verfüge über einen umfassenden Schutz. Langsam komme ich aber in das Alter, in dem ich gegen gewisse Kinderkrankheiten nachimpfen lassen sollte.
Ganz wichtig ist für mich der Grippeschutz. Hier bin ich total konsequent und lasse mir jedes Jahr eine Spritze verpassen. Es ist ein kleiner Klacks mit grosser Wirkung. Das gilt übrigens auch für die Symptome, die durch die Impfung verursacht werden. Bekommt man danach Fieber, ist das ein gutes Zeichen. Jede Immunaktion wird von einer Entzündung begleitet. Dann erst ist sie richtig wirkungsvoll.
Sie haben noch nie eine Impfung vergessen?
Doch, das ist tatsächlich schon passiert. Bei meiner Tochter. Wir sind damals nach Amerika ausgewandert, und sie war knapp zu jung, um gegen Mumps geimpft zu werden. Dort wurde sie dann plötzlich krank. Wir sind zum Kinderarzt – und der ist fast ausgeflippt. Er sagte, er hätte schon seit Jahren keine Mumpserkrankung mehr gesehen. Während er richtig Freude hatte, machte ich mir schwere Vorwürfe. Denn in Amerika hätte ich mein Kind trotz des Alters längst gegen Mumps impfen lassen können. Zum Glück ist man mittlerweile auch in der Schweiz schlauer, die Impfungen werden heute viel früher gemacht.
Welche Viren und Bakterien bezeichnen sie als die gefährlichsten?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Absolut tödlich ist das Ebola-Virus. Aber es ist sofort sichtbar und damit zu bekämpfen. Das wirkt jetzt fast etwas zynisch, aber dadurch kann man es für noch nicht Infizierte eindämmen. Ich persönlich finde ein Virus wie HIV viel gefährlicher. Die Betroffenen merken wochenlang nicht, dass sie die Krankheit in sich tragen und können in dieser Zeit weitere Menschen anstecken.
Von welchem Virus haben Sie persönlich die grösste Angst?
Als erwachsener Mann finde ich es sehr bedrohlich, an Masern zu erkranken. Hier besteht bei einer Infektion die Gefahr, dass man eine Gehirnentzündung bekommt. Bei Mumps kann man impotent werden. Das würde in meinem Alter mein Leben natürlich nicht mehr massiv einschränken.
Auch Tetanus, also Starrkrampf, fand ich immer recht bedrohlich. Beim tödlichen Verlauf wird der ganze Körper steif wie ein Brett, und man durchlebt wahnsinnige Schmerzen. Auffallend ist: Gerade bei Tetanus verfügen die meisten Impfgegner über einen Schutz. In der Schweiz finden sie praktisch niemanden, der das nicht hat. Dann kommt immer die Ausrede, das habe man früher halt so gemacht. Aber warum lassen Impfgegner dann auch ihre Kinder gegen Tetanus impfen?
Die schlimmste Vorstellung ist für mich aber, jemanden mit einer Krankheit anzustecken, der danach stirbt. Deshalb setze ich mich so stark für eine höhere Impfrate ein. Denn für mich gilt: Ich impfe mich nicht nur, um mich selber zu schützen, ich tue es aus Solidarität, damit ich niemanden anderen anstecke.
Bei Masern gibt es aktuell eine negative Rekordmeldung. Die WHO und das BAG wollen die Krankheit eigentlich ausrotten. Doch in diesem Jahr wurden in der Schweiz bereits 100 Fälle gemeldet. So viele, wie schon lange nicht mehr.
Das hat nur mit den Impfgegnern zu tun. Und leider hat diese Gruppe in den letzten Jahren Zulauf bekommen. Es gibt heute einfach zu viele Möglichkeiten, Dummheiten über das Internet zu verbreiten. In den USA gibt es deshalb Bestrebungen, Impfgegnerseiten auf Facebook zu verbieten und einzudämmen.
Einen weiteren Grund sehe ich leider im Erfolg der Impfungen selber. Jugendliche kennen heute kaum mehr Menschen, die an einer durch Impfung vermeidbaren Krankheit gelitten haben. In meiner Generation war man noch mit Fällen von Kinderlähmung konfrontiert. Heute gibt es Jugendliche, die gar nicht mehr wissen, was das ist.
Was würde passieren, wenn sich von heute auf morgen niemand mehr impfen liesse?
Gewisse Impfungen bieten ja einen lebenslangen Schutz. Hier droht keine unmittelbare Gefahr. Es würde also einige Jahre dauern, bis Epidemien ausbrechen würden.
Aber sie würden kommen.
Ich rechnete nach spätestens einer halben Generation damit. Nach einer Generation wären wir wieder soweit, so wie im Mittelalter. Und damals wurde die Bevölkerung in Europa von der Pest und den Pocken dahingerafft. Hinter Interlaken zum Beispiel hatte man ganze Täler abgesperrt. Die Bevölkerung wurde nicht mehr versorgt, und auch die Gesunden verhungerten elendiglich. Das wünschen wir uns garantiert nicht mehr zurück.
Italien kämpft seit einigen Monaten gegen eine Masern-Epidemie und kriegt sie nicht in den Griff. Jetzt hat die Regierung reagiert und büsst Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen. Was halten Sie davon?
Ich bin ein liberaler Mensch und war jahrelang gegen den Impfzwang. Doch ich musste meine Meinung komplett ändern. Italien handelt aus meiner Sicht richtig. Es braucht auch in der Schweiz diesen Impfzwang und saftige Bussen, damit wir endlich eine höhere Impfrate erreichen. Gutes Zureden oder Vernunft wirken leider nicht. Die Anfälligsten – Kinder, kranke Menschen – haben ein Recht darauf, dass wir sie vor einer Infektion schützen.
Genau in diesem Punkt, wenn es um ältere und kranke Menschen geht, sind Sie mit dem Bundesamt für Gesundheit uneinig. Hier werfen sie dem Bund sogar gravierendes Fehlverhalten vor.
Das stimmt. Das BAG kommuniziert komplett falsch. Es wird der Selbstschutz statt der Schutz der Allgemeinheit proklamiert. Es gibt einen Grund, warum das so ist. Es geht wieder einmal nur ums Geld. Der Bund muss bei den Herstellern des Grippeimpfstoffs eine Abnahmegarantie unterschreiben. Konkret bestellt er jedes Jahr Impfrationen für rund 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Er will nicht mehr bestellen, weil er befürchtet, dass er auf Impfdosen und damit auch auf den Kosten sitzen bleibt.
Tatsächlich finde ich es auch nicht gut, dass es in der Schweiz keine Hersteller von Impfstoffen mehr gibt. Weltweit beherrschen nur wenige Hersteller die gesamte Impfstoff-Produktion und kontrollieren damit natürlich den Markt. Das ist nicht gut. Die Schweiz – oder Staaten generell – sollten sich wieder mehr an der Herstellung von Impfstoffen beteiligen. Es ist doch ihre Pflicht, die Bevölkerung zu schützen.
Müssten Sie für Ihr Anliegen nicht in die Politik?
Das müsste man sich wirklich einmal überlegen. Erst recht, weil mit Simonetta Sommaruga eine Frau im Bundesrat sitzt, die sich mehrfach dahingehend geäussert hat, dass es beim Impfen Pro und Contra gibt – damit spielt sie den Impfgegnern in die Hände. Meiner Meinung sollte sie sich für diese Aussagen entschuldigen.
Das erwarten die Impfgegner auch von Ihnen. Sie fordern, Sie sollen sie nicht in ihrem freien Willen einschränken und doch einfach der Natur freien Lauf lassen. Was sagen Sie dazu?
Darauf kann ich leider nur einen radikalen Spruch erwidern. Und der heisst: Man muss nicht alle Kinder impfen, sondern nur die, die man behalten will.
Schauen Sie, ein Blick zurück in die Erdgeschichte zeigt, wenn man der Natur freien Lauf lässt, dann sterben Arten aus. Und auch der Mensch ist nicht perfekt geraten. Aber wir haben gelernt, biologische Fehler zu korrigieren. Der medizinische Durchbruch ist so gross, dass eine humanistische Gesellschaft entstehen konnte, die nur mit natürlichen Mitteln so nicht gewachsen wäre. Nutzen wir unsere Errungenschaften, schützen wir damit unser Leben, und sorgen wir dafür, dass wir alle, solange wir hier sind, Spass haben. Das versuche ich nämlich jetzt, wo ich in Rente bin, noch viel mehr als zuvor. Gerade wenn ich Zeit mit meinen Enkelkindern verbringe. Für mich gibt es nichts Schöneres.
Mehr als 21'000 Fälle von Masern hat es 2017 in Europa gegeben. Das sind vier Mal so viel wie im Jahr davor.
Bild: Keystone
In der Schweiz gibt es jährlich etwa 50 Masernfälle, im vergangenen Jahr waren es 105. Bei Epidemien kann die Zahl auf rund 2000 Erkrankte steigen, wie das Bundesamt für Gesundheit BAG auf der Homepage schreibt.
Bild: Keystone
Die Krankheit kann durch einen Impfstoff verhindert werden, der seit den 1960ern verwendet wird. Experten sagen, dass Impfraten von mindesten 95 Prozent nötig sind, um Epidemien zu verhindern.
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