Städtebau nach Corona«Plötzlich sollen die Wohnungen kleiner werden»
Von Alex Rudolf
9.7.2021
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Schweizer Städte und Agglomerationen aus? In einer losen Serie fragt «blue News» bei Spezialist*innen nach. Stadtwanderer und Architekt Benedikt Loderer will die Pandemie nicht überbewerten, sieht die Schweiz aber im Sinkflug.
Von Alex Rudolf
09.07.2021, 14:19
09.07.2021, 14:34
Alex Rudolf
Herr Loderer, Sie als Stadtwanderer haben sicher beobachtet, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Städte hat.
Benedikt Loderer Ob die Pandemie eine direkte Auswirkung auf die Art und Weise hat, wie wir bauen, bezweifle ich. Doch bildet die Pandemie einen Wendepunkt. Denn in den vergangenen 70 Jahren stieg der Wohlstand in der Schweiz und es scheint so, als ob mit der Corona-Pandemie die Passhöhe erreicht ist. Der kontinuierliche Sinkflug hat eingesetzt.
Woran sehen Sie das?
Plötzlich sollen die Wohnungen kleiner werden. Nachdem die Wohnfläche pro Person in den vergangenen 50 Jahren kontinuierlich gewachsen ist, sollen nun Wohnungen mit geringerer Fläche erstellt werden.
Das ist doch paradox, zumal viele von uns während der Pandemie von zu Hause gearbeitet haben. Müsste die durchschnittliche Wohnfläche nicht grösser werden?
Eigentlich schon. Aber diese zusätzliche Wohnfläche muss schliesslich auch bezahlt werden. Die Wohnungen sind so gross und entsprechend teuer, wie die Menschen sie sich leisten können.
Wer weniger Fläche in der Wohnung hat, will wohl näher bei der Natur wohnen. Folgt nun die Stadtflucht?
Benedikt Loderer
zvg
Der Bieler Architekt Benedikt Loderer (76) ist ehemaliger Chefredaktor der Architektur- und Design-Zeitschrift «Hochparterre». Davor machte er sich einen Namen als Architekturkritiker beim «Tages-Anzeiger», wo er als Stadtwanderer über Städtebau und Stadtplanung schrieb. Seit 2010 ist er pensioniert, schreibt aber weiterhin für zahlreiche Zeitungen Gastbeiträge. Darin schreibt er besonders gegen die Zersiedelung der Schweiz an.
An eine Stadtflucht glaube ich nicht, obwohl die Mietpreise in der Stadt höher sind. Hat man weniger Geld zur Verfügung, will man auch weniger für die Mobilität ausgeben, was unterm Strich ein Argument für einen Verbleib in der Stadt oder der Agglomeration ist.
Dennoch: Wird der öffentliche und individuelle Verkehr mit der Zeit nicht an Bedeutung verlieren, da zahlreiche Unternehmen ihre Mitarbeiter regelmässig aus dem Homeoffice arbeiten lassen?
Wie sich der Verkehr generell entwickelt, ist schwierig abzuschätzen. Allein wie sich die Technologie mit den selbstfahrenden Fahrzeugen ins bestehende Verkehrsnetz integrieren lassen wird, ist kaum vorhersehbar. Ich bin jedoch der Ansicht, dass es einen starken öffentlichen Verkehr immer brauchen wird.
Aktuell wird der Berner Bahnhof für eine Milliarde Franken ausgebaut. Ist dies noch zeitgemäss?
Unsere Städte sind gebaut. In den letzten 70 Jahren haben wir in der Schweiz so viel gebaut wie alle vorherigen Generationen seit den Römern. (Setzt zu einer rhetorischen Frage an) Denken Sie, dass wir dieses Tempo fortsetzen können? Das können wir nicht. Setzt der wirtschaftliche Sinkflug ein, braucht es viele Grossprojekte nicht mehr, denn wir bauen nur, was wir uns leisten können. Der Bahnhof Bern hingegen ist schon in der Realisierungsphase.
Wird der Stadt-Land-Graben künftig grösser?
Er wird sicher nicht geringer. In zehn Jahren werden wir mehr wissen.
Beschleunigt Corona den Prozess?
Den Einfluss von Corona sollte man nicht überschätzen. Geht die Pandemie vorbei, so wie es momentan aussieht, ist sie in zwei Jahren nichts weiter als eine Stammtisch-Geschichte. Die Leute sind nicht grundlegend verändert worden.
Wir sollten die Art und Weise, wie wir bauen und planen, also nicht auf die nächste Pandemie abstimmen?
Bei der Bekämpfung einer Pandemie geht es um Improvisation. Notfalls werden Zelte aufgestellt, in denen getestet und geimpft werden kann. Dies reicht völlig aus, muss aber auch vorbereitet werden.