Schweiz folgt EUDas bringen die Sanktionen wirklich
Von Alex Rudolf
1.3.2022
Der Bundesrat trägt die Sanktionen der EU mit und lässt Russland die Konsequenzen des Ukraine-Kriegs spüren. Doch welchen Einfluss haben die Massnahmen auf die russische und Schweizer Mittelschicht?
Von Alex Rudolf
01.03.2022, 18:05
01.03.2022, 21:02
Alex Rudolf
Für die Schweiz sei Russland kein wichtiger Handelspartner. Bundesrat Ueli Maurer (SVP) unterstrich dies an der Medienkonferenz am Montag mit der Aussage, dass der Handel mit Russland als «unter ferner liefen» zu verbuchen sei. Nachdem die Landesregierung nun die EU-Sanktionen gegen Russland (siehe Box) übernommen hat: Muss sich die Schweiz also keine Sorgen machen?
Vielleicht doch: Gestern wurde bekannt, dass bei der in Zug beheimateten Nord Stream 2 AG alle 140 Personen die Stelle verloren. Als Grund werden die von den USA und Deutschland verhängten Sanktionen angegeben. Das Unternehmen war mit dem Bau einer Pipeline von Russland nach Deutschland, der aber aufgrund des Kriegs die Bewilligung entzogen wurde, betraut.
Wie werden sich die Massnahmen auf die Schweiz auswirken?
Diese Massnahmen werden gegen Russland ergriffen
Die Schweiz übernimmt sämtliche Sanktionen der EU gegen Russland. So werden Vermögen von gelisteten russischen Personen und Organisationen auf Schweizer Banken seit Montag gesperrt. Das betrifft auch Präsident Wladimir Putin, Aussenminister Sergej Lawrow und den Ministerpräsidenten Mikhail Mishustin. Die Schweiz erlässt auch Einreisesperren gegen fünf russische Oligarchen. Wer genau betroffen ist, wird aus Datenschutzgründen nicht bekannt gegeben. Ausserdem sperrte die Schweiz ihren Luftraum für alle Flüge aus Russland und für alle russischen Maschinen. Das seit 2014 bestehende Handelsverbot für Güter aus der Krim und Sewastopol wird auf die Regionen Donezk und Luhansk erweitert. Die EU plant derzeit weitere Massnahmen: unter anderem den Ausschluss russischer Institute aus dem Bankensystem Swift.
Russland ist für die Schweiz in der Tat kein wichtiger Handelspartner und schafft es weder beim Import noch beim Export in die Liste der 20 wichtigsten Volkswirtschaften. Aus Sicht der Experten muss man hier aber genauer hinsehen. Denn in der Schweiz habe es durchaus Unternehmen, die eng mit Russland verknüpft sind – weil sie dorthin exportieren oder gar eine Niederlassung betreiben.
Besonders zwei Branchen sind davon betroffen: der Rohstoffhandel und das Bankenwesen, sagt Peter V. Kunz. Der Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern sagt zwar, dass der Rohstoffhandel an der Schweizer Gesamtwirtschaftsleistung einen geringen Anteil habe: «Der Handel wird aber empfindlich gehemmt.» Die Banken ihrerseits müssten einen enormen Mehraufwand in die Geschäfte mit Russland stecken, um Abklärungen zu treffen. Das gehe ebenfalls ins Geld.
Reto Föllmi, Professor für internationale Ökonomie an der Hochschule St. Gallen, teilt die Einschätzung von Bundesrat Maurer. «Denn die Wirtschaftsstärke Russlands ist im Vergleich zu seiner militärischen Stärke sehr gering – Italien hat die grössere Volkswirtschaft als Russland», sagt er. Vorwiegend die steigenden Öl- und Gaspreise werde man hier in der Schweiz zu spüren bekommen.
Wie wirft sich der gesamte Krieg aus?
Der Überfall Russlands auf die Ukraine könnte die Schweiz 2022 und 2023 je rund einen halben Prozentpunkt Wirtschaftswachstum kosten. Zu dieser Einschätzung kommen die Ökonomen von BAK Economics in einer Ersteinschätzung. Die Schweiz falle damit nicht in eine Rezession, stellte das BAK am Dienstag in einem Communiqué fest. Doch die Erholung nach der Corona-Krise werde empfindlich geschwächt.
Anstatt gut 3 Prozent dürfte das Wachstum 2022 nur um die 2,5 Prozent erreichen, so die Einschätzung von BAK Economics. Und 2023 werde das Wachstum mit 1,5 Prozent unter das Potenzialwachstum zurückfallen.
Die wichtigsten Ursachen für das erwartete tiefere Wachstum seien indirekter Natur. So werde vor allem die Inflation hoch bleiben und das Konsumentenvertrauen trüben. Ebenfalls erwähnt werden rückläufige Kurse an den Finanzmärkten sowie die allgemeine Unsicherheit über die weitere Entwicklung.
Wie bekommen die Russen die Sanktionen zu spüren?
«Besonders die russische Mittelschicht wird hart getroffen», sagt Kunz. Die Sperrung der Devisenreserven der russischen Nationalbank im Ausland habe wohl die weitreichendste Auswirkung. «Da Russland nicht auf diese Reserven zugreifen kann, hat sie nicht die Mittel, der Abwertung des Rubels entgegenzuwirken.» Dieser verliert jedoch konstant an Wert – derzeit rund 30 Prozent. «Das Sparguthaben hat nun innert weniger Tage 30 Prozent an Wert verloren. Das ist einschneidend.»
Föllmi sieht einen der grössten Effekte ebenfalls beim tiefen Rubel. «Die russische Zentralbank musste den Leitzins von 9 auf 20 Prozent anheben. Das hat einen gewaltigen Effekt: Stellen Sie sich vor, Sie müssten auf Ihre Hypothek anstelle von 9 plötzlich 20 Prozent Zins entrichten.»
«Früher oder später werden auch in Russland produzierte Güter teurer, da sie mit verteuerten ausländischen Maschinen erstellt wurden.»
Fabio Canetg
Ökonom
«Die Preise für Importprodukte in Russland explodieren derzeit», sagt Fabio Canetg, der im Bereich Geldpolitik promoviert hat und heute an der Uni Bern lehrt sowie für das Onlinemagazin «Republik» sowie für den Podcast «Geldcast» journalistisch tätig ist. Er sagt, dass Russland die meisten Importe im Bereich Maschinen und Equipment verzeichnet. «Interessant daran: Es braucht Maschinen, um andere Produkte herzustellen. Früher oder später werden auch in Russland produzierte Güter teurer, da sie mit verteuerten ausländischen Maschinen erstellt wurden.»
Wie schwerwiegend ist der Ausschluss von Swift?
Hier sind sich alle drei Experten einig. Der Ausschluss aus dem Bankensystem Swift wird Russland empfindlich treffen. «Bei einem Ausschluss werden grosse Teile des russischen Aussenhandels gehemmt, das zu einer Wirtschaftskrise führen kann», sagt Kunz. «Angestellte in Russland, die für ein westliches Unternehmen arbeiten, werden wohl ihre Stelle verlieren.»
«Stellen Sie sich vor, Sie müssten auf Ihre Hypothek anstelle von 9 plötzlich 20 Prozent Zins entrichten.»
Reto Föllmi
Professor für internationale Ökonomie an der Hochschule St. Gallen
Föllmi relativiert, dass der Geldtransfer von und nach Russland noch immer möglich ist. «Dennoch wird es für die Beteiligten aufwendiger und teurer, da man auf andere Abwicklungsmechanismen als Swift zurückgreifen muss.»
Kann sich Russland aus der Schlinge ziehen – und wenn ja, wie?
Kurzfristig nicht. China und Indien sind die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt und eine Umorientierung Russlands auf diese Märkte sei denkbar, sagt Kunz. «Dies geschieht aber nicht von heute auf morgen – die Sanktionen greifen aber innert Tagen und Wochen.»
«Angestellte in Russland, die für ein westliches Unternehmen arbeiten, werden wohl ihre Stelle verlieren.»
Peter V. Kunz
Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern
Völlmi betont, dass die russische Wirtschaft noch immer sehr stark vom Rohstoffhandel abhänge und wenig Industriegüter selbst produziere. «Langfristig muss sich Russland breiter aufstellen, um unabhängiger vom Rohstoffhandel zu werden.»
Wie stark werden Putin und seine Entourage leiden?
Dass die russische Elite Konten in der Schweiz führt, ist unwahrscheinlich. Denn seit der Invasion der Krim ist sich die Polit- und Wirtschaftselite Russlands bewusst, dass sie ihre Gelder in Ländern parkieren, die bei Sanktionen nicht mitmachen werden, wie Graf sagt.
Wird sich das Volk aufgrund dieser Sanktionen auflehnen?
Wie viele wirtschaftliche Sanktionen ein Volk bereit ist, zu akzeptieren, bevor es sich gegen seine Führung auflehnt, sei eine Frage, mit der sich die Wissenschaft beschäftige. Es sei aber schwierig, die verschiedenen Fälle zu vergleichen, sagt Föllmi.
Zu beobachten seien stets zwei Mechanismen. «Einerseits Menschen, die sich gegen das Regime auflehnen, aber auch jene, die eine Bunker-Mentalität einnehmen. Bei diesen wird das Feindbild verhasster, was den nationalen Zusammenhalt und somit letztlich das Regime stärkt.»