Sanktionen gegen Russland Darf ein neutrales Land Position beziehen, Herr Schweizer?

Von Philipp Dahm

1.3.2022

Aus Tradition neutral: Die beiden Bundeshäuser Ost und West in Bern noch ohne das verbindende Parlamentsgebäude auf einem Foto von 1893.
Aus Tradition neutral: Die beiden Bundeshäuser Ost und West in Bern noch ohne das verbindende Parlamentsgebäude auf einem Foto von 1893.
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Die Schweiz ist heute – nach der Ukraine – das Thema in der Welt-Presse. Warum reagiert das Ausland auf die Sanktionen des Bundesrates so interessiert? Ein früherer Diplomat gibt Auskunft.

Von Philipp Dahm

Max Schweizer gibt Textsammlungen heraus, die sich insbesondere mit der Politik in Osteuropa beschäftigen. blue News hat den emeritierten Diplomaten um seine Expertise gebeten, was die Sanktionen des Bundesrats gegen Russland und deren Perception angeht.

Zur Person
Bild: ZHAW/Kilian J. Kessler

Max Schweizer ist gestandener Diplomat : Der gebürtige Zürcher stand von 1980 bis 2012 in den Diensten des EDA und hat unter anderem den Bund stellvertretend bei der WTO vertreten. Seit seiner Demission lehrte der 71-Jährige an verschiedenen Instituten und hat den Verein SwissDiplomats – ZurichNetwork gegründet.

Herr Schweizer, werden die gestrigen Sanktionsbeschlüsse des Bundesrats in der internationalen Presse überdurchschnittlich oft thematisiert?

Dieser Eindruck trügt nicht: Sogar CNN berichtet über die Entscheide des Bundesrates.

Warum steht die Schweiz so im Fokus?

Als neutrales Land steht die Schweiz bei sowas immer unter einer bestimmten Beobachtung.

Wieso, ist das bei Schweden oder Finnland anders?

Unsere Neutralität wurde im Rahmen des Wiener Kongresses 1815 anerkannt: Die Tradition ist viel älter und völkerrechtlich verbürgt, was beim Bespiel Schweden oder Finnland nicht der Fall ist.

Deutschland hat innerhalb der EU nach internationalem Druck seinen Kurs geändert. Konzentriert sich dieser Druck jetzt auf die Schweiz?

Hinter den Kulissen gab es sicher Kontakte, die den Bundesrat in eine Richtung bewegen wollten. Aber das ist normal und in einem gewissen Masse auch legitim: Man versucht, sich abzusprechen. Im vorliegenden Fall war es wegen der eklatanten Verletzung des Völkerrechts wichtig, dass der Westen – und dazu gehört auch die Schweiz – eine kohärente und flächendeckende Position einnimmt.

Bundespräsident Ignazio Cassis hat sich gestern klar geäussert: Darf ein neutrales Land Position beziehen?

Ja, das darf man: Die Schweiz hat es ja beispielsweise auch im Zweiten Weltkrieg gemacht. Allerdings auch mit einer gewissen Vorsicht, weil man keine Streitpartei zu sehr bevorzugen darf.

Die Bundesräte Ueli Maurer (von links), Viola Amherd, Bundespräsident Ignazio Cassis und Karin Keller Sutter verkünden am 28. Februar in Bern Sanktionen gegen Russland.
Die Bundesräte Ueli Maurer (von links), Viola Amherd, Bundespräsident Ignazio Cassis und Karin Keller Sutter verkünden am 28. Februar in Bern Sanktionen gegen Russland.
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Aber hat der Bundesrat überhaupt einen Handlungsspielraum angesichts des Drucks?

Es gibt einen Handlungsspielraum, die Frage, die sich stellt: Ist man bereit, die Kosten zu tragen, wenn man diesen Handlungsspielraum nutzt? In diesem Sinne muss man sich überlegen, wie man sich positioniert und kalibriert  – und positioniert. Ich würde den Druck nicht überbetonen.

Was für Kosten können das sein?

Solche Kosten haben sich auch nach dem jüngsten Bundesratsbeschluss schon ergeben. Heute hat Gazprom in Zug 140 Leute entlassen. Der russische Luftraum ist für die Swiss gesperrt worden. Mal sind es symbolische Folgen, andere wiegen schwerer. Es ist eine Güterabwägung zwischen unangenehmen Positionen: Was gewichtet man stärker? Ich kann jedoch angesichts dieses vorliegenden  Völkerrechtsbruchs verstehen, dass sich der Bundesrat neu positioniert hat.

Kann die Schweiz nach diesen jüngsten Beschlüssen noch gute Dienste anbieten?

Das eine schliesst das andere nicht aus: Wenn diese gewünscht werden, stehen sie zur Verfügung.