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Pro
Wasser predigen, aber Wein im Denner ums Eck feilbieten: Alkoholverkauf in der Migros würde dieser Scheinheiligkeit ein Ende setzen.
Soll die Migros Bier und Wein verkaufen? Über diesen Kurswechsel können die rund 2,2 Millionen Genossenschafter*innen bis am Samstag abstimmen. Wobei man von «vermeintlichem Kurswechsel» reden sollte, denn seien wir ehrlich: Das Alkoholverbot hat die Migros schon längst verwässert.
Das begann mit der Denner-Übernahme 2007. Neben den orangen ploppen seither zuverlässig rote Lädeli auf, wo sich auch Migros-Kinder das Bier für den Grillabend besorgen können. Das Geld landet dann doch in einem der vielen Kässali des Duttweiler-Konzerns. Nur für die Kund*innen ist diese Extraschlaufe unnötig umständlich.
Die Migros mag Wasser predigen, verdient aber am Geschäft mit den Erwachsenengetränken gut mit. Diese Scheinheiligkeit lässt sich auch in anderen Geschäftsbereichen beobachten. Die schweizweit 345 Migrolino-Shops kennen kein Alkoholverbot, verkaufen auch Zigis. Jaja, die Töchter gehen mit «Duttis» Erbe locker um.
Aber auch im Onlineshop der Migros selbst kann ich mir problemlos Alkoholika ins Körbli legen und vor die Wohnungstür liefern lassen. Biersorten aus 19 Ländern umfasst das Angebot, mittels Filterfunktion kann ich gezielt nach bevorzugter Geschmacksrichtung (Mild, Gehopft, Säuerlich) suchen. Das ist ja mehr Service, als der grummelige Barkeeper meines Vertrauens bietet. Weintrinker*innen kommen natürlich auch zum Zug: 94 Flaschen (und Tetrapaks) sind gerade Aktion, sagt der Filter.
All das zeigt: «Dutti» mochte mit seinem Alkoholverbot hehre Absichten verfolgt haben, doch ist davon kaum noch die Hülle übrig. Würde die Migros Alkohol auch in ihren eigenen Regalen anbieten, würde sie sich nur zur mehr schlecht als recht verschleierten Geschäftsrealität bekennen. Was keine Schande ist. Ganz im Gegenteil: In einer Welt, in der ein Krieg als «militärische Spezialoperationen» bezeichnet wird, kann es nicht schaden, das (Migros-)Kind beim Namen zu nennen.
Contra
Um dir gleich reinen Wein einzuschenken: Ich bin ein Migros-Kind durch und durch.
Als solches ist es für mich schlicht nicht vorstellbar, dass der Grossverteiler – mein Grossverteiler – nun mit bewährten Prinzipien bricht und Alkohol verkaufen soll.
Die Migros ist längst ein Teil der Identität dieses Landes, sie prägt die Schweizer Gesellschaft seit bald hundert Jahren. Der Alkohol-Verzicht macht einen Gutteil der Migros-Identität aus. Der soziale Gedanke dahinter sollte nicht einfach dem Kommerz geopfert werden.
Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler war kein Kostverächter, aber er sah das grosse Elend, das der Alkoholismus in vielen Schweizer Familien anrichtet. Daran wollte er nicht mitverdienen. «Dutti» wusste: Gelegenheit macht Trinker. Darum schloss er eine weitere Gelegenheit von vornherein aus, indem er Alkoholika gar nicht erst ins Migros-Regal stellte.
Dass seine Migros eines Tages mit Denner eine strategische Partnerschaft eingeht und eines weiteren Tages den Discounter gar aufkaufen würde: Wer weiss, ob Dutti das für eine gute Idee gefunden hätte. Ich hingegen – ebenfalls kein Kostverächter – fand und finde es schön und gut, kann ich mich gleich um die Ecke mit Bier und Wein eindecken. Als Migros-Kind habe ich gelernt, dass es zwischen dem M und dem D eine strikte Arbeitsteilung gibt.
Schliesslich finde ich es angenehm, ist die Migros eine Art geschützter Ort, an dem es eben genau nicht alle Versuchungen und Verlockungen des Lebens zu kaufen gibt. Tatsächlich habe ich nach dem Einkauf der Lebens- oft gar keine Lust mehr auf Genussmittel. Oder ich vergesse sie schlicht und einfach. Das hat mir schon manchen Batzen ge- und Kater erspart.
Klar, die Migros macht auch heute schon Kasse mit Suchtmitteln – aber gerade beim Alkohol ist es ratsam, Mass zu halten. Es reicht doch vollkommen, dass der Discounter nebenan mein Lieblingsbier verkauft – und die paar Schritte zusätzlich haben jetzt wirklich noch nie jemandem geschadet.