Versuchslabor Afrika Wie sich Putins Online-Krieger auf die US-Wahlen 2020 vorbereiten

Von Philipp Dahm

1.11.2019

Offline: Die Facebook-Seite von Radio Africa lebt von russischer Propaganda.
Offline: Die Facebook-Seite von Radio Africa lebt von russischer Propaganda.
Screenshot: Stanford Internet Observatory

Ob in den USA oder Grossbritannien: Russische Internet-Trolle haben schon bei einigen wichtigen Wahlen mitgemischt. Und der Kreml hat noch nicht genug: In Chile und Afrika laufen Testläufe für die nächsten US-Wahlen.

Inwiefern hat Russland die britische Brexit-Abstimmung beeinflusst? Diese Frage musste das Parlamentarische Geheimdienst- und Sicherheitskomitee in Grossbritannien klären – und schickte das Ergebnis am 17. Oktober an Premierminister Boris Johnson. Das Problem: Der Tory-Politiker, der ein exponierter Befürworter des EU-Austritts ist, will offenbar nicht öffentlich machen, was die Abgeordneten herausgefunden haben.

«Das Parlamentarische Geheimdienst- und Sicherheitskomitee, dem ich vorsitze, hat die Bedrohung untersucht, die Russland für dieses Land darstellt», sagte Dominic Grieve gestern im Unterhaus in London. «Das Parlament sollte und es muss mit Blick auf die kommenden Wahlen Zugang zu diesem Bericht haben, und es ist nicht akzeptabel, dass der Premier es zurückhält und [dem Parlament] diese Information vorenthält.»

Kreml-Unterstützung für den Brexit

Johnson hätte eigentlich nur bestätigen sollen, dass der Bericht keine geheimen Inhalte preisgibt, doch Downing Street halte das Dokument nun unter Verschluss. Dass darin schwere Anschuldigungen gegen Moskau erhoben werden, steht ausser Frage, nachdem Grieve von einer «Bedrohung der demokratischen Strukturen» sprach, über die die Öffentlichkeit unterrichtet werden müsse.

Ein Sprecher des Premiers erklärte laut «Guardian», die Prüfung des Berichts sei innerhalb der vergangenen zwei Wochen noch nicht möglich gewesen.

Russlands Umtriebe stehen aber nicht nur im Zusammenhang mit dem Brexit-Votum in Europa, sondern auch bei aktuellen politischen Diskussionen auf anderen Kontinenten im Fokus: Das US-Aussenministerium warnt vor russischem «Einfluss» auf die Unruhen in Chile. Moskau wies eine Beteiligung heute vehement zurück. 

Moskaus langer Arm greift angeblich bis Chile

«Es gibt Anzeichen dafür, dass russische Handlungen den negativen Kurs der Debatte anheizen», zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen hohen Beamten. Der öffentliche Diskurs, der seit zwei Wochen auch auf den Strassen ausgetragen wird, werde «durch den Ge- und Missbrauch von Social Media durch Trolle verdreht».

In der Schweiz gab es bislang offenbar noch keine vergleichbaren Beobachtungen: «Bisher haben wir keine Hinweise auf nennenswerte Desinformations-Kampagnen in der Schweiz respektive mit Fokus auf die Schweiz ausgemacht», teilt die Bundeskanzlei auf Anfrage von «Bluewin» mit. Diese Aussage gilt ganz generell, nicht nur für Russland. 

Putins Propaganda-Attacken auf Europa

Die neusten Vorwürfe an die Adresse des Kreml rufen natürlich auch Erinnerungen an die Präsidentschaftswahlen von 2016 in den USA wach. Aufgrund dieses Verdachts untersuchte Sonderermittler Robert Mueller, ob Moskau den Urnengang manipuliert hatte. Im Vergleich zu damals ist Russland heute jedoch sehr viel aktiver.

Während die mit dem Kreml verbundene Internet Research Agency vor drei Jahren monatlich 2'442 Posts auf Facebook veröffentlichte, kommt ein russisches Propaganda-Netzwerk in Afrika nun allein im Oktober auf 8'900 Einträge.

Einheimische als «Wirte» für Trolle

Der schwarze Kontinent fungiert dieser Tage als Versuchslabor russischer Internet-Trolle, warnt das Stanford Internet Observatory: Demnach testet Moskau dort neue Desinformationskampagnen, um sich auf die US-Wahlen 2020 vorzubereiten. Facebook hatte in diesem Zusammenhang vor zwei Tagen verkündet, drei Seiten gesperrt zu haben, durch die Einfluss auf Länder wie Mosambik, Kamerun, Libyen und den Sudan genommen werden sollte.

Putin – seit 20 Jahren an der Macht

Hinter den Facebook-Seiten soll Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin stehen, dessen «Trollfabrik» auch für die Wahl-Manipulation in den USA 2016 verantwortlich gemacht wird. Der Unternehmer und seine Internet-Hetzer hätten dazugelernt, attestieren ihnen Experten: Die Trolle suchen sich demzufolge inzwischen Einheimische, deren Accounts sie übernehmen können, um ihre Propaganda lokal zu verbreiten.

Die Facebook-Seite von «Sudan Daily» wurde gesperrt. Die englischsprachige Website repostet Artikel von «Sputnik». Ähnliche afrikanische Seiten loben Moskau über den Klee, während die Politik von Frankreich und den USA kristisiert werden.
Die Facebook-Seite von «Sudan Daily» wurde gesperrt. Die englischsprachige Website repostet Artikel von «Sputnik». Ähnliche afrikanische Seiten loben Moskau über den Klee, während die Politik von Frankreich und den USA kristisiert werden.
Screenshot: Stanford Internet Observatory

Das Zielpublikum werde ausserdem nicht mehr nur auf Englisch, sondern auch in Sprachen wie Arabisch angesprochen. «[Die Trolle] versuchen, es für uns und die Zivilgesellschaft schwerer zu machen, ihre Machenschaften zu durchschauen», erläutert Nathaniel Gleicher in der «New York Times». Woher der Sicherheitschef von Facebook weiss, dass Prigoschin hinter den Propaganda-Seiten steckt, verrät er dabei nicht.

«Das neue KGB-Drehbuch»

Insgesamt habe Facebook in Zusammenarbeit mit dem Stanford Internet Observatory 66 Accounts mit 83 Seiten, elf Gruppen und zwölf Instagram-Accounts deaktiviert. Social-Media-Experte Ben Nimmo nennt Moskaus neue Marschroute in der «New York Times» schnörkellos «das neue KGB-Drehbuch für die Beeinflussung des Auslands». Das Vorgehen enthülle «die schmutzigen Tricks und verdeckten Operationen, die den russischen Griff nach Afrika untermauern».

Putin präsentiert neue Atomwaffen

Afrika sei auch deshalb ein geeignetes Testgelände, weil der Kontinent nicht so stark überwacht wird, glaubt Alex Stamos. Der Direktor des Stanford Internet Observatory warnt, dass dort erprobtes Vorgehen im kommenden Jahr in den USA zur Anwdnung kommen werde. «Wir werden ein Modell sehen, bei dem amerikanische Gruppen als Stellvertreter benutzt werden, unter deren Accounts und auf deren Seiten dann alle Inhalte veröffentlicht werden.»

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