Anschlag mit Nervengift Verdächtiger im Fall Skripal wird in Heimat als Held verehrt

Nataliya Vasilyeva, AP

13.10.2018

Alexander Mischkin soll einen Anschlag mit einem Nervengift verübt haben. In seinem Heimatdorf wird er Schülern dennoch als Vorbild präsentiert.
Alexander Mischkin soll einen Anschlag mit einem Nervengift verübt haben. In seinem Heimatdorf wird er Schülern dennoch als Vorbild präsentiert.
Uncredited/RT channel/dpa (Archiv)

Er soll einen Anschlag mit einem Nervengift verübt haben. In seinem Heimatdorf wird er Schülern dennoch als Vorbild präsentiert – als einer, der es weit gebracht hat. Putin hat den Militärarzt Mischkin offenbar sogar mit einer Medaille ausgezeichnet.

Weit abgelegen in den Wäldern der Region Archangelsk liegt das Dorf Lojga. Hier soll einer der beiden Männer aufgewachsen sein, die Grossbritannien für ein grausames Verbrechen verantwortlich macht. Viele Bewohner erinnern sich nach eigenen Angaben gut an Alexander Mischkin. Beim Anblick eines Fotos schwärmen sie geradezu von dem «warmherzigen» Jungen, der dank Tapferkeit und harter Arbeit Karriere gemacht habe.

«Er ist hier zur Schule gegangen», sagt Juri Poroschin. «Inzwischen hängt dort an der Wand sogar ein Bild von ihm. Schliesslich ist er ein Held Russlands.» Er habe gehört, dass Mischkin mit dem höchsten Orden des Landes geehrt worden sei, weil er einem Kommandanten beim Kampf gegen Islamisten in Tschetschenien das Leben gerettet habe, erzählt der in Lojga lebende Hobbymaler.

Nervengift Nowitschok: Tödliches Erbe des Kalten Krieges

London beschuldigt zwei Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU, im März unter den Decknamen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow in die südenglische Stadt Salisbury gereist zu sein. Mit dem noch aus der Sowjetzeit stammenden Kampfstoff Nowitschok sollen sie dort versucht haben, den früheren russischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia zu töten.

Das britische Recherche-Netzwerk Bellingcat hat die beiden auf Fahndungsfotos abgebildeten Personen identifiziert. Grundlage der Nachforschungen waren Daten unter anderem aus Pässen, Melderegistern, Fahrzeugzulassungen und Anrufprotokollen. Nach der mutmasslichen Enttarnung des GRU-Obersts Anatoli Tschepiga Ende September hiess es vor wenigen Tagen, dessen Partner sei der 39-jährige Mischkin gewesen, der an der Militärmedizinischen Kirow-Akademie in Sankt Petersburg studiert habe.

Bei einem Besuch der Nachrichtenagentur AP in Lojga bestätigten am Mittwoch mehrere Personen, dass der dort aufgewachsene Mischkin zum Militärarzt ausgebildet worden sei. Einige berichteten, er sei bis zuletzt noch öfters in seine alte Heimat zurückgekehrt, um seine 90-jährige Grossmutter zu besuchen, die noch immer in Lojga lebe.

«Ja, das ist er»

«Ja, das ist er», sagt Walentina Poroschina, die Frau des Malers, als sie das von der britischen Polizei veröffentlichte Foto gezeigt bekommt. «Er hat grosse Ähnlichkeit mit seinem Vater und mit seiner Grossmutter.» Zuletzt habe sie vor vier Jahren in einem Zug mit ihm gesprochen. «Er war ein guter Junge», betont sie. «Er war immer sehr höflich.» Ihre Enkelin Julia sagt, in der Dorfschule werde Mischkin als grosses Vorbild gepriesen.

Mehrere weitere Bewohner des knapp tausend Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Ortes erkennen den Mann auf dem Fahndungsfoto ebenfalls sofort, wollen sich gegenüber Reportern aber nicht näher äussern. Die Ortsvorsteherin Swetlana Lukina hingegen bestreitet jegliche Verwicklung Mischkins. Die Leute würden sich das nur ausdenken, sagt sie. «Seine Familie lebt hier schon lange nicht mehr. Das sind alles nur Gerüchte.»

Der Ort selbst wirkt während des Besuchs der AP recht einsam und verwahrlost. Die unbefestigten Strassen sind nur für Geländewagen befahrbar. Von den wenigen Menschen, die zu sehen sind, sind mehrere betrunken. «Nur die, die nirgendwo anders hingehen können, bleiben hier», sagt Poroschin. «Nur Rentner und Alkoholiker sind geblieben. Die guten jungen Leute sind alle weg.» Am Eingang der Schule steht auf einem Zettel, das Fotografieren und Filmen auf dem Gelände sei verboten.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte auf Anfrage nicht bestätigen, dass Präsident Wladimir Putin dem Militärarzt Mischkin einen Orden verliehen habe. Die russische Regierung äussere sich nicht zu Medienberichten über den Fall Skripal, sofern es kein offizielles Informationsersuchen der Briten gebe, sagte er.

Skripal und seine Tochter schwebten Wochen in Lebensgefahr

Nach dem Nervengift-Anschlag von Salisbury am 4. März schwebten Skripal und dessen Tochter mehrere Wochen in Lebensgefahr. Im Juni kam dann ein britisches Paar, vermutlich über ein gefundenes Fläschchen, mit dem Giftstoff in Kontakt. Der Mann überlebte, die Frau starb an den Folgen der Kontamination. Laut Darstellung der britischen Regierung wurde der Angriff «auf hoher Ebene des russischen Staates» gebilligt. Der Kreml streitet dies ab.

Das Verhältnis zwischen Russland und Grossbritannien sowie anderen westlichen Staaten hat sich infolge des Anschlags auf Skripal stark abgekühlt. Der in Moskau lebende Militärexperte Pawel Felgenhauer warnt sogar vor einer weiteren Eskalation. Wenn Russland Spezialeinheiten schicke, um vor Ort derartige Geheimoperationen durchzuführen, dann behandle es Westeuropa im Grunde in ähnlicher Weise, wie Westeuropa Syrien und Afghanistan behandle – «als ein Kampfgebiet».

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