Trump im Tief «Jetzt wissen wir, wer er ist» – US-Wähler wenden sich ab

AP

9.6.2020

Der Aufschwung kommt, ganz bestimmt. Mit diesem Mantra versucht der US-Präsident, seine Wähler bei der Stange zu halten. Die haben allerdings vermehrt Vorbehalte.

Am Ende einer weiteren turbulenten Woche seiner Amtszeit konnte US-Präsident Donald Trump es kaum abwarten, die guten Nachrichten zu verkünden. Die Arbeitslosenzahlen waren niedriger als erwartet, Anzeichen eines bevorstehenden Wirtschaftsbooms, wie Trump kundtat. Allerdings schenken weniger Wähler als in der Vergangenheit seinen Worten Glauben. 

Einer von ihnen ist Benjamin Lund, ein langjähriger Anhänger der Republikaner aus Wisconsin, der noch Anfang 2020 die Wiederwahl des Präsidenten unterstützte. Dann kam die Corona-Pandemie. Der 45-jährige Lund verlor seinen Job in einem Restaurant.

Wegen des grossen Ansturms musste er zwei Monate auf seine Arbeitslosenunterstützung warten. Und wenig später sah er mit Entsetzen, wie Trump nach dem Tod des Schwarzen George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz und den folgenden Massendemonstrationen mit einem harten Durchgreifen drohte.

Donald Trump am 1. Juni 2020 vor dem Weissen Haus in Washington.
Donald Trump am 1. Juni 2020 vor dem Weissen Haus in Washington.
Bild: Keystone

Lund, der weiss ist, will nun bei der kommenden US-Präsidentschaftswahl auf jeden Fall für den demokratischen Kandidaten stimmen. Einen Silberstreif am Horizont, wie ihn Trump heraufbeschwört, kann er nicht erkennen. «Die Menschen leben in der wirtschaftlichen Realität dessen, was bald eine Rezession sein wird», sagt Lund. «Es ist schon fast respektlos zu versuchen, dem Ganzen einen positiven Dreh zu geben.»

«Selbst die treuesten Trump-Anhänger sind erschöpft»

Solche Aussagen sollten Trump eine Warnung sein, besonders in einem Staat wie Wisconsin, der bei seiner Wiederwahl eine wichtige Rolle spielen könnte. Fünf Monate vor der Wahl muss der Präsident sein Ansehen bei seiner Kernwählerschaft verbessern. Manche Republikaner befürchten jedoch, die Wähler könnten seiner inzwischen überdrüssig sein. «Die Menschen sind angewidert von der aktuellen Lage», erklärt der republikanische Wahlkampfstratege Terry Sullivan. «Selbst die treuesten Trump-Anhänger sind erschöpft.»

Trump mit Angestellten der Parkverwaltung, die gegen Demonstranten eingesetzt werden, am 1. Juni in Washington.
Trump mit Angestellten der Parkverwaltung, die gegen Demonstranten eingesetzt werden, am 1. Juni in Washington.
Bild: Keystone

Für Trump reissen die schlechten Nachrichten in den vergangenen Wochen nicht ab. Mehr als 1'000 Amerikaner sterben noch immer pro Tag in Verbindung mit Covid-19, die Arbeitslosenquote ist so hoch wie seit der Weltwirtschaftskrise nicht mehr, Millionen protestieren gegen Rassismus und Polizeigewalt. Die Nationalgarde wurde eingesetzt, um Unruhen und Plünderungen einzudämmen. Nur noch 21 Prozent der Amerikaner glauben laut einer Umfrage der Monmouth University, dass ihr Land auf dem richtigen Weg in die Zukunft ist. Das war der niedrigste Wert seit sieben Jahren.

Trotz allem ist eine Niederlage Trumps bei der Präsidentschaftswahl noch keine ausgemachte Sache. Der Präsident hat wiederholt gezeigt, dass die konventionellen Regeln der Politik für ihn keine Gültigkeit haben. So reihte sich während seiner ersten Amtszeit praktisch Skandal an Skandal, aber seine Zustimmungsraten blieben stabil – wenn auch auf niedrigem Niveau. Er zieht weiterhin die Aufmerksamkeit der Medien auf sich und bestimmt so den nationalen Diskurs. Mit diesen Fähigkeiten gewann er vor vier Jahren überraschend die Präsidentschaftswahl.

«Jetzt wissen wir, wer er ist»

Und doch gibt es entscheidende Unterschiede zwischen 2016 und 2020, wie der Jurist George Conway erläutert. Er ist der Ehemann der Trump-Beraterin Kellyanne Conway und hat Trump in der Vergangenheit scharf kritisiert. «Dieses Mal ist er der Amtsinhaber», sagt Conway. «Er ist derjenige, über den geurteilt wird.» Vor vier Jahren hätten die Wähler ihm Charaktereigenschaften zuschreiben können, die er gar nicht habe, weil er keine Vorgeschichte in der Politik gehabt habe. Das sei jetzt anders. «Jetzt wissen wir, wer er ist. Dem kann er nicht entkommen.»

Menschen protestieren, als der Konvoi von Donald Trump am 2. Juni an Washington an ihnen vorbeifährt. 
Menschen protestieren, als der Konvoi von Donald Trump am 2. Juni an Washington an ihnen vorbeifährt. 
Bild:  Keystone

Unter den gewählten republikanischen Politikern und bei vielen Wählern der weissen Arbeiterschicht geniesst der US-Präsident weiterhin uneingeschränkte Loyalität. Kritik kam in der vergangenen Wochen allerdings von Verteidigungsminister Mark Esper, der Trumps Vorhaben, US-Truppen im Inland einzusetzen, zurückwies. Sein Vorgänger im Pentagon, Jim Mattis, warf Trump vor, die verfassungsmässigen Rechte der Demonstranten zu verletzen.

Die republikanische Partei fand nicht zu einer gemeinsamen Antwort auf die Vorwürfe. Viele Mandatsträger aus den Reihen der Partei wollten Trumps Vorgehen nicht verteidigen, sondern zogen es vor zu schweigen. Zu seiner Verteidigung mussten die antreten, die auf seiner Gehaltsliste stehen. So verwies Trumps Wahlkampfsprecher Tim Murtaugh darauf, dass der Präsident angesichts des Todes von George Floyd entsetzt gewesen sei.

Konzentration auf Plünderungen und Straftaten

Dann leitete er zu den Demonstrationen und Plünderungen über. «Der Präsident ist klar und deutlich für Recht und Ordnung eingetreten, weil die Amerikaner sich in ihren Gemeinden sicher fühlen müssen, um zu leben und zur Arbeit zurückzukehren», sagte Murtaugh.

Die Republikaner hoffen darauf, dass das Law-and-Order-Thema beim Wähler verfängt. Davon überzeugt ist der Abgeordnete Tom Emmer aus Minnesota. Jede Nacht würden Wohngegenden zerstört, erklärt er. Die Menschen sähen das im Fernsehen oder live vor Ort. «Die Menschen wollen Recht und Ordnung», sagt Emmer.

Der Restaurant-Mitarbeiter Lund in Wisconsin ist nicht überzeugt. Er verfolge die Demonstrationen genau und diskutiere jeden Abend mit seiner Ehefrau, deren Mutter schwarz sei. «Auf ihre typische Art konzentrieren die Republikaner sich auf die Plünderungen und Straftaten, die nichts mit der legitimen politischen Bewegung in diesem Land zu tun haben», erklärt Lund. Er habe sowieso geplant, im November zu wählen. «Aber jetzt würde ich einen Tag frei nehmen, wenn ich müsste, um das zu tun. Es steht ausser Frage, dass gegen die Republikaner gestimmt werden muss.»

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