Frankreich: Gefängnisse in Not Radikalisierung im Gefängnis: Druck auf französische Regierung wächst

von Elaine Ganley, AP

23.2.2018

Aus keinem europäischen Land sind mehr Menschen für die IS-Terrormiliz nach Syrien und Irak gezogen als aus Frankreich. Ihre Rückkehr stellt auch den Strafvollzug vor völlig neue Herausforderungen.

Überfüllt, unterfinanziert und viel zu wenig Personal - die Lage in den französischen Gefängnissen ist brisant. Nach Übergriffen auf Wachpersonal in staatlichen Haftanstalten durch mutmassliche Islamisten soll nun verstärkt gegen radikalisierte Insassen vorgegangen werden. Denn diese Extremisten gefährden nicht nur das Wachpersonal, sondern können auch andere Gefangene beeinflussen und mit der IS-Ideologie indoktrinieren.

Viele der französischen Gefängnisse stammen noch aus dem 19. Jahrhundert. Im Dezember waren einige laut Justizministerium mit bis zu 220 Prozent überbelegt. Es ist nicht unüblich, dass sich mehrere Insassen eine Zelle teilen, die nur für eine Person ausgelegt ist.

Rund 500 Personen in den Haftanstalten sind wegen Terrorismus verurteilt oder angeklagt. Etwa 1150 stehen unter Beobachtung, weil sie sich radikalisiert haben oder potenziell radikalisiert sind. Rund 130 Häftlinge haben für den IS gekämpft. Angesichts dieser Zahlen wächst das Unbehagen beim Wachpersonal in den Gefängnissen. Man fühlt sich ungenügend ausgestattet und mangelhaft ausgebildet.

Die Gefängnisse gelten als Brutstätten für  Radikalisierung

Nachdem ein radikalisierter Häftling einen Wärter angegriffen hatte, trat das Gefängnispersonal im vergangenen Monat in einen noch nie da gewesenen zehntägigen Streik. Präsident Emmanuel Macron forderte eine Gefängnisstrategie, um das antiquierte System grundlegend zu modifizieren. Dabei ging es ihm vor allem darum, weniger Haftstrafen zu verhängen, um die Überbelegung der Gefängnisse zu senken.

Doch geht Macrons Vorschlag nicht das Problem an, wie man Radikale erkennt und wie man sie am besten ohne Gefahr für Personal und Mithäftlinge verwahrt. Erst vor drei Jahren hat man in Frankreich überhaupt ernsthaft damit begonnen, das Problem der Radikalisierung in den 188 Gefängnisse in Angriff zu nehmen - obwohl das Land seit den 90er Jahren immer wieder Schauplatz islamistisch motivierter Terroranschläge geworden ist.

Gefängnisse gelten als Brutstätte für Radikalisierung, mehrere der Täter wurden dort entsprechend indoktriniert. So war mindestens einer der Attentäter auf die Satire-Zeitschrift «Charlie Hebdo» und auf einen jüdischen Supermarkt 2015 in Paris während der Haft radikalisiert worden.

Bisherige Deradikalisierungs-Strategien sind gescheitert

«Es ist eine paradoxe Situation: die höchste Zahl von Dschihadisten und die wenigsten Versuche, das Problem ernst zu nehmen», sagt Farhad Khosrokhavar, einer der führenden Experten beim Thema Radikalisierung in Gefängnissen. «Und danach geht es weiter damit, dass es keine ernstzunehmenden Deradikalisierungs-Programme gibt.»

Das bislang einzige staatliche Deradikalisierungs-Programm ausserhalb von Gefängnissen in Frankreich, das 2014 startete, ist mittlerweile gescheitert. Es basierte auf freiwilliger Teilnahme und wurde im vergangenen Jahr eingestellt. Die Nachfrage war zu gering. Jetzt nimmt man einen neuen Anlauf. Ministerpräsident Edouard Philippe soll am (heutigen) Freitag einen neuen Plan vorstellen. Dabei soll es auch um die Situation in den Gefängnissen gehen.

Was den Umgang mit Radikalisierung innerhalb von Gefängnissen betrifft, so gilt die bisherige Strategie als gescheitert, seit sich die Angriffe auf das Wachpersonal durch Islamisten häufen. Bislang wurden mutmasslich Radikalisierte über einen Zeitraum von vier Monaten beobachtet. Nachdem die Wärter auf die Strasse gegangen waren, verdoppelte das Justizministerium die Zahl der jährlichen Evaluationen auf 250 und erhöhte die Zahl der Quarantäneplätze für mutmassliche Gefährder auf 1500.

Radikale häufig an der Spitze der Gefängnis-Hierarchie

Doch Experten halten das Evaluationsprogramm für nicht ausreichend. Die Häftlinge lernten, das System auszutricksen. «Sie wissen, dass sie überwacht werden, über vier Monate haben sie Zeit, sich auf die Fragen einzustellen», sagt die Soziologin Ouisa Kies, die seit zehn Jahren über Gefängnisse forscht.

Unter den Insassen eines normalen staatlichen Gefängnisses setzen sich Radikale oft an die Spitze der Hierarchie. Sie könnten so grossen Einfluss auf ihre Mithäftlinge erlangen, indem sie ihnen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe böten, Schutz für die Schwachen oder ein Taschengeld für diejenigen, die keine Mittel hätten, sagt Kies.

Der Deutsche Daniel Köhler ist Spezialist für Gefängnisse, berät Strafvollzugsbehörden und betreut ein Risiko-Bewertungsprogramm in den USA. Ein Gefängnisprogramm «steht und fällt mit der Ausbildung des Personals», sagt er. Das reiche von den Schliessern über die Psychologen bis hin zu den Bewährungshelfern.

Und die Situation könnte sich noch zuspitzen. Aus Köhlers Sicht ist kein europäisches Land richtig auf die Rückkehrer aus Syrien und dem Irak vorbereitet. Dafür brauche man Spezialprogramme. «Bei denjenigen, die grässliche Gewalttaten begangen oder gesehen haben, gehen die Erfahrungen weit über die Programme in Deutschland oder irgendeinem anderen westeuropäischen Land hinaus», sagt er.

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