Rishi Sunak gilt als FavoritJohnson schliesst Comeback als Premier aus
dpa
24.10.2022 - 04:28
Regierungskrise: Wie geht es weiter in Grossbritannien?
STORY: Nach der Rücktrittsankündigung der britischen Premierministerin Liz Truss am Donnerstag hat in Grossbritannien die Suche nach einem Amtsnachfolger begonnen. Die Parteispitze der konservativen Tories hatte am Donnerstag bereits das innerparteiliche Auswahlverfahren vorgestellt. Ian Brady, Vorsitzender des einflussreichen «1922 Committee»: «Wir haben eine hohe Schwelle festgelegt, aber eine Schwelle, die jeder ernsthafte Kandidat, der eine realistische Wahlchance hat, nehmen kann. Der Grenzwert von 100 Abgeordneten, deren Unterstützung ein Kandidat mindestens braucht, bedeutet, dass wir maximal drei Kandidaten haben werden.» Sollte mehr als ein Kandidat vorgeschlagen werden, sollen alle Parteimitglieder dann online über die vorgeschlagenen Kandidaten abstimmen, sagte Tory-Parteichef Jake Berry. Der Prozess soll bis zum 28. Oktober abgeschlossen sein. Erste Kandidatennamen werden inzwischen gehandelt, darunter auch Truss Amtsvorgänger Boris Johnson. In der Bevölkerung werden hingegen andere Stimmen laut, wie hier am Freitagmorgen in London: «Es ist ein völliges Durcheinander. Die Konservativen hatten 12 Jahre und haben eine Katastrophe nach der anderen produziert. Die Annahme, dass die Leute einfach einen dritten Premierminister in zwei Monaten akzeptieren, geht gar nicht.» «Es reicht erstmal, wir brauchen mehr Stabilität. Eine Parlamentswahl würde nur zur Unruhe beitragen, glaube ich. Natürlich gibt es die Hoffnung, dass die Labour Partei in dieser Lage wieder an die Macht kommen könnte. Aber ich würde mir einen geordneteren Übergang wünschen, anstatt einer Wahl in chaotischen Zeiten. Vielleicht eine Parlamentswahl in einem Jahr, wenn es dann noch nötig ist.» «Es ist schwierig. Ich glaube, es gibt keine Lösung. Eine Parlamentswahl würde mehr Unsicherheit bringen – keine Wahl wäre durch und durch undemokratisch. Es ist eine schwierige Entscheidung.» Die nächsten planmässigen Parlamentswahlen in Grossbritannien müssen bis spätestens Januar 2025 stattfinden. Ob sich die Tories bis dahin mit einem parteiintern gewählten Premierminister an der Macht halten können, ist unklar.
24.10.2022
Die Aussicht auf Boris Johnsons mögliche Rückkehr in die Downing Street sorgte bei Anhängern für freudige Erregung, bei Kritikern wiederum für blankes Entsetzen. Nun aber verzichtet der in der Tory-Basis noch immer populäre Ex-Premier – und macht damit wohl den Weg für seinen früheren Finanzminister Rishi Sunak frei.
24.10.2022, 04:28
24.10.2022, 07:09
dpa
Der britische Ex-Premierminister Boris Johnson hat eine erneute Bewerbung um die Führung der regierenden konservativen Partei nun doch ausgeschlossen. Er habe zwar den nötigen Rückhalt von mehr als 100 Abgeordneten für eine Kandidatur, werde aber nicht an der parteiinternen Abstimmung um die Nachfolge von Liz Truss teilnehmen, erklärte Johnson am Sonntagabend. Nach seinem Rückzug gilt nun der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak als Favorit für die Partei- und Regierungsspitze, schon am heutigen Montag könnte er als Sieger feststehen.
Erst im Juli war Johnson inmitten einer Reihe von Skandalen als Premier zurückgetreten. In einem langwierigen parteiinternen Rennen um seine Nachfolge setzte sich Truss durch, die aber am vergangenen Donnerstag nach sechs Wochen im Amt angesichts ihrer gescheiterten Finanz- und Wirtschaftspolitik und ihres massiven Autoritätsverlusts bei den regierenden Tories hinwarf.
Schon bald kamen Gerüchte auf, Johnson könnte als Nachfolger seiner Nachfolgerin antreten. Tatsächlich flog der Ex-Premier aus einem Karibik-Urlaub zurück, warb um Unterstützung von Tory-Kollegen im Unterhaus und suchte das Gespräch mit zwei anderen Konkurrenten um Partei- und Regierungsspitze – neben Sunak die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt.
Er könne auf den Rückhalt von 102 Kollegen zählen, womit er über der Schwelle von mindestens 100 Unterschriften von Tory-Abgeordneten für eine Zulassung zur parteiinternen Wahl liege, teilte Johnson mit. Doch weiss Sunak weit mehr Unterstützer hinter sich. Er sei daher zum Schluss gekommen, dass «man nicht regieren kann, wenn man nicht eine geeinte Partei im Parlament hat», erklärte Johnson.
Der frühere Premier ergänzte, er sehe sich dennoch «gut aufgestellt», für die Konservativen bei der nächsten Unterhauswahl 2024 einen Sieg einzufahren. Auch im parteiinternen Rennen hätte er sich vermutlich gegen seine Rivalen durchgesetzt, behauptete Johnson. Doch sei er in den vergangenen Tagen traurigerweise zur Erkenntnis gelangt, dass das «schlicht nicht das Richtige wäre». Daher sei es das Beste, sich nicht nominieren zu lassen, sondern jene Person zu unterstützen, die letztlich reüssieren werde. Ein späteres Comeback schloss Johnson gleichwohl nicht aus. «Ich glaube, dass ich viel zu bieten habe, aber ich fürchte, dass dies schlicht nicht die richtige Zeit ist.»
Die Aussicht auf eine mögliche Kandidatur Johnsons hatte die ohnehin tief gespaltene konservative Partei in weitere Unruhe versetzt. Seine Anhänger erinnern an den Tory-Erdrutschsieg bei der Unterhauswahl 2019 und sehen ihn noch immer als Stimmengarant. Doch viele Kritiker warnten, eine weitere Regierung unter Johnson wäre eine Katastrophe für Partei und Land. Steve Baker, Staatssekretär für Nordirland und früherer Johnson-Unterstützer, argumentierte, dass auf Johnson noch immer eine Untersuchung zur Frage zukomme, ob er in der Affäre um Lockdown-Partys, die trotz Corona-Auflagen während seiner Amtszeit in der Downing Street gefeiert wurden, das Parlament belogen habe. Sollte Johnson für schuldig befunden werden, könnte ihm das sein Abgeordnetenmandat kosten.
Haushoher Favorit für den Tory-Vorsitz und das Amt des Premiers ist nun Sunak. Er hat den Rückhalt von mehr als 140 Abgeordneten, wie aus einer inoffiziellen Zählung hervorgeht. Mordaunt unterstützen weniger als 30. Am Montag wollen die 357 Unterhausabgeordneten der Tories eine Vorabstimmung über die Kandidaten abhalten. Sollte Mordaunt in der Fraktion nicht auf mindestens 100 Stimmen kommen, wird Sunak der nächste Partei- und Regierungschef. Erreichen beide die Schwelle, entscheiden die 172'000 Parteimitglieder in einer Online-Wahl, der Sieger oder die Siegerin wird dann am kommenden Freitag verkündet.
Unter Johnson hatte Sunak das Amt des Schatzkanzlers bekleidet und die angeschlagene britische Wirtschaft durch die Corona-Pandemie gesteuert. Im Juli war er aus Protest gegen den skandalumwitterten Johnson zurückgetreten. Bald darauf gab Johnson unter dem Druck weiterer Abgänge aus seinem Kabinett selbst auf.
Im Nachfolgerennen um Partei- und Regierungsspitze kamen Sunak und Truss in die Endrunde. In Debatten kritisierte er Truss' Versprechen sofortiger Steuerkürzungen als fahrlässige «Märchen» und erklärte, dass zunächst die galoppierende Inflation unter Kontrolle gebracht werden müsse. Die Tory-Wähler entschieden sich am Ende für Truss, doch sollte Sunak Recht behalten. Die ungedeckten Steuerpläne von Truss und deren später geschassten Schatzkanzler Kwasi Kwarteng stifteten im September Chaos an den Finanzmärkten. Nun könnte Sunak bald die Aufgabe zufallen, Grossbritanniens taumelnde Wirtschaft zu stabilisieren.