Zeichen der Solidarität: Macron in Beirut
Die Katastrophe in Beirut trifft den Libanon ins Mark. Mit seinem Besuch vor Ort will der französische Präsident Emmanuel Macron ein Zeichen der Solidarität setzten.
07.08.2020
Die Explosion im Hafen von Beirut trifft den Libanon ins Mark. Die Bevölkerung versinkt in Armut, Geld für einen Wiederaufbau fehlt. Die Empörung bekommt auch Frankreichs Präsident zu spüren.
Der Mann mit den kurzen Haaren und dem Vollbart hat tiefe Ränder unter den Augen. Vielleicht waren die vergangenen zwei Tage die schlimmsten, die Dr. Assim al-Hadsch in seinem Leben durchmachen musste.
Seit der fürchterlichen Explosion im Hafen von Beirut vom Dienstag hat er nur zwei Stunden geschlafen. Stattdessen: Operationen am Fliessband im Clemenceau Medical Center unweit des Ortes der Detonation. Fast 400 Verletzte wurden eingeliefert, 80 befinden sich noch in kritischem Zustand: «Ich kann Ihnen sagen: Die Situation ist katastrophal», sagt der Mediziner mit brüchiger Stimme.
Die gewaltige Explosion hat grosse Teile der sonst so belebten Stadt am Mittelmeer in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Der Hafen liegt in Schutt und Asche. Die Wucht der Detonation hat auch die umliegenden Wohngebiete erfasst: Fensterscheiben sind zersplittert, Schilder und Fensterläden abgerissen, Fassaden zerstört, Autos umgekippt, Menschen weggefegt.
Noch immer sind die Strassen mit Glassplittern übersät. Auch die Suche nach Opfern geht weiter. Mehr als 130 Tote und rund 5'000 Verletzte wurden bislang gezählt. Die Zahlen dürften steigen.
Schon vorher drohte der Kollaps
Libanons Gesundheitssystem stand wegen einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise und der Coronapandemie schon vor der Explosion am Rande des Kollaps. Ein Grossteil der medizinischen Güter muss aus dem Ausland importiert werden.
Es gebe grosse Versorgungsengpässe und zu wenig Benzin für die Generatoren, sagt Dr. Al-Hadsch, medizinischer Direktor des Zentrums. Wegen der Dollar-Knappheit im Land könnten keine Vorräte mehr gekauft werden: «Trotz der Schwierigkeiten haben wir es aber geschafft, mit der Lage fertig zu werden», sagt er.
Schwer getroffen werden auch die mehr als eine Million syrischer Flüchtlinge im Land, von denen viele seit Jahren in Armut leben – ohne Aussicht auf Besserung. «Die Explosion hat mich an die schweren Bombardierungen in meiner Heimatstadt Aleppo erinnert», sagt die 40 Jahre alte Instar al-Salih aus Nordsyrien, die mit ihren fünf Kinder in einem Raum nahe dem Katastrophenort lebt. «Das ganze Fenster stürzte auf uns herab.»
Die UNO warnt zudem, dass auch die humanitäre Lage im benachbarten Bürgerkriegsland bedroht ist, weil sie nicht zuletzt über den jetzt zerstörten Beiruter Hafen lief.
Beirut, ein Jahr nach der Katastrophe: Die Aufräumarbeiten im Hafen kommen nur schleppend voran. Für die Opfer der verheerenden Explosion ist ein Mahnmal errichtet worden.
Eine immense Explosion erschüttert am 4. August 2020 die libanesische Hauptstadt. Mehr als 190 Menschen verlieren ihr Leben.
Grosse Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die im Hafen gelagert waren, hatten sich entzündet.
Augenzeugen berichten von einer orangefarbenen Wolke über dem Hafen, wie sie nach der Verpuffung von Nitraten häufig auftritt.
In den Wohnvierteln nahe des Hafens taumeln verletzte Menschen durch die Strassen. Umgeworfene Autos und Trümmer versperren den Weg.
«Beirut hat noch nie derartige Zerstörung gesehen, nicht einmal im Bürgerkrieg war es jemals so schlimm», sagt ein Einwohner im Gespräch mit «blue News». Er blieb zum Glück unverletzt.
Auch die Schweizer Botschaft in Beirut wird durch die Wucht der Detonation schwer beschädigt. Die Schweizer Botschafterin erleidet dabei leichte Verletzungen.
Fenster und Türen sind auch in mehreren Kilometern Entfernung herausgerissen.
Stunden nach der Explosion rasen Krankenwagen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt und transportierten Verletzte ab.
Rund 6000 Personen werden verletzt, die Spitäler stossen an ihre Kapazitätsgrenzen.
Ärzte bitten die Bevölkerung um Blutspenden und Generatoren für Strom.
Die Detonation ist sogar im 200 Kilometer entfernten Zypern zu hören und zu spüren.
Der Gouverneur von Beirut, Marwan Abbud, bricht am Ort des Geschehens in Tränen aus. «Beirut ist eine verwüstete Stadt», sagt er.
Die politische Aufarbeitung der Tragödie kommt kaum voran. Auch ein Jahr später warten Angehörige der Opfer auf Antworten, etwa zur Frage, wer verantwortlich ist. Im Juli 2021 demonstrieren Hinterbliebene in Beirut gegen die Regierung.
Der frühere Ministerpräsdient Najib Mikati (Mitte) wird am 26. Juli 2021 mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Zwei Vorgänger sind an dieser Aufgabe gescheitert.
Die Zerstörung des wichtigsten Hafens trifft den Libanon zu einem Zeitpunkt, als das Land ohnehin schon in einer schweren Wirtschaftskreise steckt.
Tote und Verletzte nach schwerer Explosion in Beirut
Beirut, ein Jahr nach der Katastrophe: Die Aufräumarbeiten im Hafen kommen nur schleppend voran. Für die Opfer der verheerenden Explosion ist ein Mahnmal errichtet worden.
Eine immense Explosion erschüttert am 4. August 2020 die libanesische Hauptstadt. Mehr als 190 Menschen verlieren ihr Leben.
Grosse Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die im Hafen gelagert waren, hatten sich entzündet.
Augenzeugen berichten von einer orangefarbenen Wolke über dem Hafen, wie sie nach der Verpuffung von Nitraten häufig auftritt.
In den Wohnvierteln nahe des Hafens taumeln verletzte Menschen durch die Strassen. Umgeworfene Autos und Trümmer versperren den Weg.
«Beirut hat noch nie derartige Zerstörung gesehen, nicht einmal im Bürgerkrieg war es jemals so schlimm», sagt ein Einwohner im Gespräch mit «blue News». Er blieb zum Glück unverletzt.
Auch die Schweizer Botschaft in Beirut wird durch die Wucht der Detonation schwer beschädigt. Die Schweizer Botschafterin erleidet dabei leichte Verletzungen.
Fenster und Türen sind auch in mehreren Kilometern Entfernung herausgerissen.
Stunden nach der Explosion rasen Krankenwagen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt und transportierten Verletzte ab.
Rund 6000 Personen werden verletzt, die Spitäler stossen an ihre Kapazitätsgrenzen.
Ärzte bitten die Bevölkerung um Blutspenden und Generatoren für Strom.
Die Detonation ist sogar im 200 Kilometer entfernten Zypern zu hören und zu spüren.
Der Gouverneur von Beirut, Marwan Abbud, bricht am Ort des Geschehens in Tränen aus. «Beirut ist eine verwüstete Stadt», sagt er.
Die politische Aufarbeitung der Tragödie kommt kaum voran. Auch ein Jahr später warten Angehörige der Opfer auf Antworten, etwa zur Frage, wer verantwortlich ist. Im Juli 2021 demonstrieren Hinterbliebene in Beirut gegen die Regierung.
Der frühere Ministerpräsdient Najib Mikati (Mitte) wird am 26. Juli 2021 mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Zwei Vorgänger sind an dieser Aufgabe gescheitert.
Die Zerstörung des wichtigsten Hafens trifft den Libanon zu einem Zeitpunkt, als das Land ohnehin schon in einer schweren Wirtschaftskreise steckt.
Aus fast jedem Satz der Menschen im Libanon sind Verzweiflung und Frust herauszuhören. Viele Libanesen haben zwischen 1975 und 1990 einen blutigen Bürgerkrieg erlebt. Doch selbst sie sagen: Die Detonation im Hafen ist das Schlimmste, was ihnen widerfahren ist.
Seit Monaten leidet das Land am Mittelmeer ohnehin unter einer schweren Wirtschaftskrise, die durch die Coronapandemie weiter verschärft wurde und grosse Teile der Bevölkerung in Armut getrieben hat. Die Preise, etwa für Lebensmittel, sind explodiert. Im Juni lag die Inflation bei 90 Prozent.
In den sozialen Medien boten viele in den vergangenen Wochen ihr Hab und Gut an, um noch irgendwie über die Runden zu kommen. Und jetzt diese Explosion, diese Zerstörung. Und kein Geld für einen Wiederaufbau. «Wir sind einfach nur erschöpft», sagt eine Frau aus Beirut. «Wir waren schon vorher am Abgrund.»
Wut auf die Elite
In die Verzweiflung mischt sich wachsende Wut auf die politische Elite. Sie brach sich am Donnerstag Bahn, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Ort der Katastrophe besuchte. «Ihr seid alle Mörder», schreit eine aufgebrachte Frau von ihrem Balkon. «Wo wart Ihr gestern?» Auch gegen den libanesischen Präsidenten Michel Aoun richtete sich die Wut: «Aoun, Du bist ein Terrorist», brüllte die Menge.
Schon im vergangenen Oktober hatten Massenproteste begonnen, die ein neues politisches System forderten. Die Korruption ist im Libanon allgegenwärtig und hat massgeblich zum Verfall des Landes beigetragen. Die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise geht nicht zuletzt zurück auf eine Art Schneeballsystem über Staatsanleihen, mit dem sich die Elite über Jahren hemmungslos an den knappen Ressourcen bedient hat.
Den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete kann der Libanon nur mit internationaler Hilfe schaffen. Die Schäden gehen in die Milliarden. Kritiker werfen der Elite vor, sie wolle nur ihren Reichtum retten, nicht einen Staatszerfall verhindern. Reformen scheiterten auch an der ohnehin komplizierten Machtverteilung in dem kleinen Land.
Sie geht auf ein Proporzsystem aus dem Jahr 1943 zurück, das bislang als unantastbar gilt. Aufgeteilt ist die Macht unter den Konfessionen: Der Präsident muss immer ein Christ sein, der Regierungschef ein Sunnit, der Parlamentspräsident ein Schiit.
Doch das Land ist auch über die Konfessionsgrenzen hinweg gespalten. Ein starker Flügel ist eng mit dem schiitischen Iran und Syrien verbunden, andere richten sich gen Westen oder dem sunnitischen Saudi-Arabien aus. Und mittendrin sitzt die mächtige Hisbollah.
Die schiitische Organisation, treu mit dem Iran verbunden, bildet im Libanon einen Staat im Staate. Sie kontrolliert etwa das Grenzgebiet zum verfeindeten Nachbarn Israel im Süden des Libanons. Die Hisbollah gehört auch der Regierung an – gegen sie und ihren charismatischen Anführer Hassan Nasrallah kann keine Politik gemacht werden.
Das spürten auch die Demonstranten, die in den vergangenen Monaten auf die Strasse gingen. Trupps der Hisbollah liefen mehrfach auf – eine eindeutige Warnung an die Demonstranten, es mit den Forderungen nach Reformen nicht zu übertreiben. Die Macht der Hisbollah, das war die Botschaft, darf nicht angetastet werden. Ohne Reformen aber dürfte die internationale Gemeinschaft nur zögerlich Geld geben.
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