Ultimativer Traumjob?Hoteltester Chris Brügger: «Während eines Tauchausfluges ging ich verloren»
Bruno Bötschi
25.3.2018
Reisen und dabei Geld verdienen – das ist der Traum vieler Menschen. Chris Brügger arbeitete während fünf Jahren als Hoteltester. Inkognito wohnte er in 5-Sterne-Hotels und erlebte dort so einiges.
Bluewin: Herr Brügger, Sie hatten den schönsten Job der Welt.
Chris Brügger: Stopp! Zuerst möchte ich ein Missverständnis klären: Viele meinen, als Hoteltester läge man den lieben langen Tag am Pool und könne dauernd Drinks bestellen.
Was ja – mindestens teilweise – auch stimmt: Sie wohnten in 5-Sterne-Hotels, genossen vorzügliches Essen, durften Zimmerservice, Pool und Wellness benutzen und verdienten damit auch noch Geld. Was ist es für ein Gefühl, ständig in den Ferien zu sein?
Stellt man sich den Beruf des Hoteltesters vor, fallen einem natürlich zuerst einmal nur Vorteile ein. Die Realität sieht jedoch oft anders aus – und vor allem stressiger. Der Job endet meist erst weit nach Mitternacht und beginnt oft vor 7 Uhr morgens. Mehr als fünf, sechs Stunden Schlaf gibt es während eines Hoteltests selten. Je nach Auftraggeber sind während eines Aufenthalts zwischen 750 und 2250 Fragen zu beantworten beziehungsweise Kriterien abzuarbeiten, zu überprüfen und im Computer zu erfassen.
Das Hotelzimmer war Ihr Büro.
Genau. Während eines Tests musste ich auf jedes noch so kleine Detail achten und es notieren. Aber der Job als Hoteltester fängt lange vor dem Einchecken im Hotel an.
Wann genau?
Im Moment des ersten Kontaktes: Wie oft klingelt es, bis ein Mitarbeiter ans Telefon geht, damit ich reservieren kann? Wie viele Minuten dauert es, bis meine E-Mail-Reservationsanfrage beantwortet wird? Oft nahm ich die Gespräche mit Hotel- und Restaurantmitarbeitern mit dem Handy auf, um sie danach im Zimmer wortgenau in einen Rapport zu tippen.
Klingt wie die Jobbeschreibung eines Geheimagenten.
Wie James Bond fühlte ich mich nie (lacht). Gewisse Tätigkeiten sind durchaus mit jenen eines Agenten zu vergleichen. Auch, weil man sich während des ganzen Aufenthaltes so unauffällig wie möglich verhalten sollte, um nicht als Tester enttarnt zu werden. Weshalb wir meist unter einem falschen Namen eincheckten.
Bewerteten Sie die Hotels immer inkognito?
Ja.
Wussten Sie immer, wie Sie heissen?
Einmal vergass ich beim Einchecken, unter welchem Namen ich das Zimmer gebucht hatte.
Was machten Sie?
Ich tat so, als bekäme ich einen Anruf, bückte mich zu meiner Tasche hinunter und suchte in den Unterlagen nach meinem aktuellen Namen.
Das heisst, schauspielerische Qualitäten sind ebenso gefragt.
Ja. In Dubai musste ich mit einer Arbeitskollegin ein Ehepaar mimen, das in den Ferien seinen ersten Hochzeitstag feierte – und zwar mit allem Drum und Dran: Rosenblätter auf dem Bett, Überraschungstorte, Candlelight Dinner und so weiter.
Küssen inklusive?
Hin und wieder Händchenhalten und sich zulächeln hat gereicht.
Hoteltester ist kein gewöhnlicher Beruf – wie sind Sie zu dem Job gekommen?
Ich besuchte die Hotelfachschule, später arbeitete ich in Zürich in einem 5-Sterne-Hotel. Einmal besuchten Tester das Haus. Ich fand deren Arbeit spannend, und weil ich sowieso noch etwas von der Welt sehen wollte, fing ich kurz darauf bei einer US-amerikanischen Beratungsfirma als Hoteltester an zu arbeiten.
Wie viele Tests machten Sie pro Jahr?
Ich besuchte rund 40 Hotels. In Businesshotels blieb ich eine Nacht, in einem Ferienresort bis zu fünf Nächte.
War alles nur schlimm, was Sie bei den Tests erlebten?
Nein, im Gegenteil: Ich war Hoteltester im Luxussegment. Das heisst, es waren alles Top-Häuser. Die Verantwortlichen wollten jedoch sicherstellen, dass die geforderten Standards in ihren Häusern jederzeit und überall eingehalten werden. In den letzten Jahren hat sich in Sachen Qualität ohnehin viel getan. Was vor allem dem Internet geschuldet ist.
Das müssen Sie erklären.
Wir hatten im Tourismus noch nie Gäste, die so viel Macht haben. Mittlerweile können wir bereits, während wir im Restaurant sitzen, online unsere Meinung darüber kundtun auf Plattformen wie etwa Tripadvisor. Schlechte Bewertungen verbreiten sich viral extrem schnell.
Gehörten Handschuhe und UV-Licht zu Ihrer Standard ausrüstung als Tester?
Nein, ich habe nie Abstriche gemacht oder im Bad gar mit chemischen Substanzen gearbeitet. Natürlich fuhr ich mit den Fingern über Möbelkanten, schaute sehr genau, wie ein Zimmer geputzt ist, und der Blick unters Bett war ebenfalls Pflicht.
Was fanden Sie dort?
Einmal eine Visitenkarte, ein andermal einen ungebrauchten Pariser. Das ist nicht viel.
Die Hotels, die Sie testeten, waren 5-Sterne-Häuser der Top-Liga. Fehler passieren überall.
Das stimmt. Auf den Malediven ging ich einmal während eines Tauchausflugs verloren. Ich hatte einen Fortgeschrittenenkurs gebucht und war allein mit dem Tauchlehrer abgetaucht. Unter Wasser trieben uns Strömungen vom Boot weg. Als wir auftauchten, sahen wir das Schiff nur noch ganz klein am Horizont. Dummerweise hatte der Tauchlehrer keine Rettungsboje dabei.
Wie ging es weiter?
Wir warteten fast eine Stunde im Wasser, bis uns ein Schiff zu Hilfe kam.
Hatten Sie Todesangst?
Nein, die nächsten Inseln waren nicht sehr weit entfernt. Zudem war ich sicher, dass wir gerettet würden. Sie wussten ja, dass zwei Taucher fehlten.
Wenn Sie Hotels testeten, welche Fehler erlebten Sie besonders oft?
Unwohl war mir jeweils, wenn ich in ärmeren Ländern an einer Hotelbar Drinks bar bezahlte.
Wieso?
Beim sogenannten Cash Testing wird kontrolliert, ob der Mitarbeiter eine Quittung ausstellt. Tut er das nicht respektive steckt er das Geld in die eigene Tasche, was immer wieder vorkam, war die Chance gross, dass er entlassen wurde. Diesen Integritäts-Test führten wir deshalb immer zu zweit durch, damit ein Zeuge dabei war.
Hatten Sie nie ein schlechtes Gewissen wegen der Entlassung?
Nein. Ich möchte auch keine Mitarbeiter haben, die mich betrügen.
Ist es normal, dass Hotels zu zweit getestet werden?
Das kommt auf die Grösse des Hauses an. In Las Vegas gibt es Hotels, die über 5000 Zimmer haben. Dort waren wir jeweils zu acht unterwegs, damit wir wirklich alle Bereiche beanspruchen und bewerten konnten.
Sie lebten ständig in Hotels. Hat man da überhaupt noch Lust auf Ferien?
Die Lust ist mir nicht vergangen. Aber ich buche während der Ferien lieber ein Zimmer in einem netten 3- oder 4-Sterne-Hotel.
Warum?
Dort ist die Betreuung weniger intensiv als in einem 5-Sterne-Haus.
Wer von Berufs wegen dauernd mäkeln muss, bei dem scheint die Gefahr gross, dass er auch privat zum Motzer wird.
Es stimmt, ich bin durch meinen Job kritischer geworden. Aber keine Angst: Ich bin nicht ständig am Reklamieren. Dafür bin ich ein viel zu positiver Mensch.
Wann fühlen Sie sich in einem Hotel richtig wohl?
Freundliche Mitarbeiter sind das Wichtigste, und wenn ich geschäftlich unterwegs bin, sollte im Zimmerpreis eine schnelle Internetverbindung mit eingeschlossen sein.
Verraten Sie Ihr Lieblingshotel?
Ich habe mehrere davon. Ein Geheimtipp ist das Four Seasons Hotel in Sayan auf Bali. Es steht mitten im Urwald. Schon die Anfahrt ist ein Erlebnis. Es erinnert mich an den Wald im Film «Avatar».
Zur Person: Chris Brügger
Chris Brügger arbeitete während fünf Jahren als Hoteltester, auch Mystery-Man genannt, für eine US-amerikanische Beratungsfirma. Er testete vor allem Hotels im Luxussegment – unter anderem Four Seasons, Peninsula, Mandarin Oriental und One and Only Resorts. Davor war er mehrere Jahre in Managementpositionen in der Hotellerie im In- und Ausland tätig. Heute leitet er die Firma Denkmotor in Zürich, die er zusammen mit Jiri Scherer gründete. Brügger und Scherer sind Experten und Trainer für Kreativität und Innovation.
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