Urban Gardening Deswegen brauchen wir grünere Städte

dpa/mit

22.12.2018

Der Bosco Verticale in Mailand nimmt eine Vorreiterrolle in Sachen grünem Städtebau ein.
Der Bosco Verticale in Mailand nimmt eine Vorreiterrolle in Sachen grünem Städtebau ein.
Bild: iStock

Immer mehr Menschen leben in Städten. Dort wird immer mehr gebaut. Aber vor allem Pflanzen, Bäume und Wiesen in Städten können die Folgen des Klimawandels mildern. Doch ist das Stadtgrün nur ein Privileg für die Reichen?

Diesen Sommer wurde auch hierzulande greifbar, was der Klimawandel für jeden einzelnen bedeuten kann: Hitzewellen, Dürreperioden. Vor allem in Städten ist die Hitze besonders schlimm. Kaum Grün, dafür aber Autos, Luftverschmutzung und viel Beton. Stadtplaner, Architekten und Wissenschaftler haben Stadtgrün als die perfekte Waffe gegen schlechte Luft ausgemacht. Denn Bäume und andere Pflanzen sollen die Auswirkungen des Klimawandels lindern. Doch mit der Umsetzung ist es so eine Sache.

Drei Viertel der Bevölkerung in Europa werden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis 2020 in Städten leben. Natürlich könnten Grünflächen alleine den Klimawandel nicht aufhalten, sagt Matthias Braubach von der WHO. «Mit Grün in der Stadt kann man da zwar etwas kompensieren, aber da ist ein Umschwenken in ganz anderen Bereichen notwendig.» Verkehr und Energiegewinnung zum Beispiel.

Eine Schrebergartenanlage in Zürich.
Eine Schrebergartenanlage in Zürich.
Bild: Keystone

Doch Parks, Wiesen und grüne Balkons können die Auswirkungen des Klimawandels lindern. «Sie sind Puffer für extreme Hitzebelastungen», so Braubach. Pflanzen spenden Schatten und erhitzen weniger als versiegelte und asphaltierte Flächen. Zwei bis drei Grad Unterschied können zwischen Grün und bebauter Fläche gemessen werden.

Den Wald in die Stadt bringen

Architekten und Stadtplaner haben das Thema für sich entdeckt und experimentieren mit grünen Fassaden, Dachgärten und urbanen Gemüsebeeten. Eine besondere Vision hatte der italienische Architekt Stefano Boeri: Er lässt Bäume mitsamt der Häuser in den Himmel wachsen. In Mailand steht sein «Bosco Verticale», ein vertikaler Wald. Die beiden Hochhaustürme im Bankenviertel der Stadt hat er mit 800 Bäumen und 15'000 anderen Pflanzen verkleidet.

Beim Bosco Verticale in Mailand wachsen die Bäume gleich mit den Häusern in die Höhe.
Beim Bosco Verticale in Mailand wachsen die Bäume gleich mit den Häusern in die Höhe.
Bild: iStock

«Die Wälder in die Stadt zu bringen, ist sehr effektiv. Denn das ist, wie den Feind auf dem eigenen Feld zu bekämpfen», sagt er. Schliesslich würde das meiste schädliche CO2 in Städten produziert – und dort könnte es durch mehr Grün wieder abgebaut werden. Bei einer Tagung im italienischen Mantua diskutierten Hunderte Experten aus aller Welt über «Urban Forests» – Wälder in Städten.

Doch die Anstrengung ist enorm. Ein Kran muss die Bäume auf die Balkone bringen. Botaniker berechnen monatelang, welche Wurzeln wie wachsen. Die Pflege ist aufwendig - auch wenn Boeri sagt: «Es stimmt nicht, dass es so schwer ist.» Mehrere seiner senkrechten Wälder entstehen derzeit in der Welt, etwa in China oder Holland. 2014 gewann Boeri den Internationalen Hochhauspreis, der in Frankfurt verliehen wird.

Menschen in Städten besonders gefährdet

Wissenschaftler weisen darauf hin, wie wichtig Stadtgrün für die Gesundheit ist. Wegen der klimatischen Entwicklung sei mit mehr Extremereignissen wie langen Hitze- oder Dürreperioden zu rechnen, heisst es in einem Papier des Bundesamtes für Naturschutz. Ein Forscherkonsortium erklärte erst kürzlich, dass der Klimawandel die Gesundheit von immer mehr Menschen bedroht. Es berichtete im Fachmagazin «The Lancet», dass unter anderem Menschen in Städten besonders gefährdet seien.

Die  Balkone der Hochhäuser in Mailands vertikalem Wald sind dicht bepflanzt. 
Die  Balkone der Hochhäuser in Mailands vertikalem Wald sind dicht bepflanzt. 
Bild: iStock

«Städte mit wenigen Grünanlagen sind schlechter gewappnet gegen extreme Wetterphänomene. Starkregen fliesst schlechter ab, die Innenstädte heizen schneller auf», erklärt Deliana Bungard vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Grüne Dächer und Fassaden würden nicht nur Heimat für Insekten und Vögel. Sie nehmen auch einen Teil der Regenmengen auf und speichern ihn. «Dadurch wird das Abwassersystem entlastet. Wie eine Isolierschicht verhindern sie, dass Räume sich zu stark aufheizen. Durch Verdunstung entsteht zusätzlich kühle Luft.»

Grün trägt auch zum positiven Image einer Stadt bei. In Berlin stimmten die Bewohner gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes. Auch in Schweizer Städten werden Brachen in Gartenanlagen umgewandelt, etwa auf dem Areal des ehemaligen Hardturmstadions in Zürich. Andere Städte präsentieren sich mit Gemüsebeeten als «essbare» Städte.

Schrebergartenanlagen im Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin.
Schrebergartenanlagen im Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin.
Bild: iStock

Auch wenn viele Kommunen das Thema erkannt haben. An der Umsetzung hapert es dennoch oft. «Einen Stadtwald kann man nicht so einfach hinpflanzen. Das dauert Jahrzehnte. Die Flächen müssen sich entwickeln, bis sie ihren vollen Wert für die Stadt entfalten», sagt WHO-Experte Braubach. Ein Parkplatz oder eine Sporthalle sind da schneller gebaut und haben eine sofortige Wirkung. Ausserdem müssen Parks kontrolliert und gepflegt werden. Wenn bei Unwettern Bäume umstürzen, ist der Schaden gross. Und eine dunkle, heruntergekommene Grünanlage, in der Drogen vertickt werden, hat ihren Sinn und Zweck auch verfehlt.

1500 Euro Nebenkosten für grüne Balkone

Ausserdem kann Grün in der Stadt die Gentrifizierung fördern: Die Mieten steigen dort, wo es besonders viel Grün gibt. Das Grün wird oft zum Privileg der Reichen. Deshalb sollten Kommunen viele kleine Grünflächen in der ganzen Stadt verteilt anbauen, die für alle zugänglich sind, sagt Bungard. Denn diese stärken den sozialen Zusammenhalt und fördern die soziale Integration.

Wer in Mailand im senkrechten Wald wohnt, hat jedenfalls Geld. Hier residieren angeblich Fussballer der Mailänder Clubs, Modeleute und Rapper. Am Eingang wird der abgefangen, der nicht dazugehört. Für das Grün am Balkon müssen die Bewohner keinen Finger krumm machen. Bewässerung und Pflege werden zentral erledigt. Etwa 1500 Euro Nebenkosten pro Monat fielen pro Wohnung an, haben Mailänder Medien errechnet.

Stefano Boeris Forest City in Liuzhou in China.
Stefano Boeris Forest City in Liuzhou in China.
Bild: Boeri

Architekt Boeri ist da anderer Meinung. Auch für Sozialbauten seien grüne Fassaden möglich. In Eindhoven in Holland entsteht unter seiner Federführung der erste senkrechte Wald für einkommensschwache und junge Menschen. Ein Baum und 40 Sträucher sind pro Wohnung geplant.

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