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Kontra
Weniger wäre mehr, lieber Herr Koch.
Momoll, ich war ein grosser Fan von Ihren Auftritten. Obwohl ich rasch spürte, dass Sie einer sind, der keine Widerrede duldet. Wie Sie als Delegierter des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für Covid-19 während des Lockdowns vor die Kameras traten und uns Schweizerinnen und Schweizer über die Coronapandemie informierten, war einfach grossartig.
Ich fand stark, dass Sie Ihre Pensionierung verschoben, um dem Bundesrat in der Krise weiterhin zur Seite stehen zu können. Ich weiss, Ihre Ausdauer kommt nicht von ungefähr: Mit Ihren Hunden betreiben Sie Canicross.
Mit Ihrer ruhigen Art wurden Sie für viele Menschen in unserem Land zur Kultfigur. Doch auch an Kritik fehlte es nicht. Nach Ihrer Pensionierung im Mai dachte ich deshalb: So, jetzt tauchen Sie ab. Endlich können Sie Ihre Ruhe geniessen, nach dieser Parforceleistung unter öffentlicher Dauerbeobachtung.
Abtauchen. Und wie Sie das taten – nur einen Tag nach Ihrer Pensionierung wurden Sie zum Instagram-Influencer. Im Anzug mit Krawatte sprangen Sie in die Aare und behaupteten: «Grüessech. Ich geniesse jetzt meinen Ruhestand.»
Ruhiger geworden ist es seither nicht, im Gegenteil. Sie wurden Botschafter für die Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft. Der Schlittschuh-Club Bern engagiert Sie als Experte. Sie warben für die Lockerung der 1'000er-Grenze für Grossevents. Sie waren Gast im «Donnschtig-Jass». Von einem Buchprojekt ist die Rede. Eine Firmengründung soll anstehen.
Herr Koch, ich bin überrascht. Sie wollen also auch nach Ihrer Pensionierung die öffentliche Debatte prägen. Wird aus dem trockenen Bundesangestellten plötzlich ein Selbstdarsteller? Wurden Sie während der Coronakrise gar vom Virus «Mediengeilheit» infiziert?
Ich bin nicht der Einzige, der Ihnen solches unterstellt. Die «NZZ am Sonntag» notierte unter dem Titel «Der berechnende Herr Koch», dass Sie das Zepter nur ungern aus der Hand gegeben hätten. Und weiter: Sie sollen immun gegen andere Meinung sein. Hatte ich mit meiner Vorahnung, dass Sie keine Widerrede dulden, also doch recht?
Egal, ich gebe Ihnen trotzdem einen Rat: Weniger ist mehr. Und falls Ihnen wenig zu wenig ist, dann machen Sie es doch wie Giuseppe Paternò.
Paternòs grösster Wunsch war, studieren zu dürfen. Doch seine Eltern waren arm. Der Mann wurde Bahnarbeiter. Bis er im hohen Alter seine Chance packte: Er hat kürzlich mit 96 (!) die Abschlussprüfung für Philosophie an der Universität Palermo bestanden, als Bester von allen.
Pro
Lasst doch den Herrn Koch in Frieden.
Ich finde, wir müssen die ganze Sache etwas differenzierter betrachten, lieber Bruno. Ich gehe mit dir einig, dass Herr Koch sich derzeit bezüglich des Coronavirus und deren Massnahmen nicht öffentlich äussern sollte. Diese Hoheit obliegt seinem Nachfolger Stefan Kuster.
Immerhin hat Koch als ehemaliger Coronadelegierter eine Autorität verliehen bekommen, der er sich auch nach seiner Pensionierung bewusst sein sollte. Dass er nun seine Hüte nach Belieben wechselt und etwa für den SCB einsteht und so Privatinteressen gegen aussen vertritt, ist sicherlich alles andere als optimal.
Dass er sich jetzt nicht einfach zurücklehnen kann, ist aber menschlich. Ich meine: Dieser Mann hat eine einmalige und nervenaufreibende Zeit hinter sich. Mitten in der Krise wurde er pensioniert. Wem fällt es in einer solchen Situation leicht, den Hut zu nehmen, sich zurückzulehnen und einfach nichts mehr zu tun?
Auch Koch darf Fehler machen. Und wenn er solche begeht, ist es verfehlt, wenn wir uns wie Hyänen auf ihn stürzen.
Das andere betrifft Kochs privates Engagement, seine Fernsehauftritte, sein Buchprojekt und sein Social-Media-Verhalten. Ich bin der Meinung: Lasst den Mann sein Leben leben, wie er es möchte. Auch wenn Koch nun keine öffentliche Funktion mehr innehat, sein Leben geht weiter und er darf dieses so gestalten, wie ihm beliebt.
Es ist meines Erachtens ein Unding, wenn Menschen einander ständig bewerten müssen, Konflikte suchen und andere für das, was sie in ihrem privaten Leben tun, fertig machen. Leben und leben lassen.
Wenn Herr Koch in seinem Anzug in die Aare springt und damit auf Badeunfälle hinweisen möchte, lasst ihn doch. Ein Mensch bekommt nur so viel Aufmerksamkeit, wie man ihm entgegenbringt. Wenn die Medien darüber schreiben und die Artikel rege gelesen werden, ist das ein Zeichen, dass man dem Mann Aufmerksamkeit geben will.
Koch interessiert. Und er darf auch interessieren. Das ist völlig unproblematisch aus meiner Sicht – so lange er keine Menschenleben gefährdet oder sich seiner Corona-Autorität nach Belieben bedient, um Privatinteressen durchzusetzen.
Jene Menschen, die Koch Aufmerksamsgeilheit vorwerfen, sich selbst aber öffentlichkeitswirksam in den sozialen Medien und in Kommentarspalten darüber aufregen, geben ihm zudem zusätzliche Aufmerksamkeit. Etwas widersprüchlich meines Erachtens. Kritik an Koch darf erlaubt sein, aber sie muss konstruktiv sein.