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Bötschi fragt Anwalt Valentin Landmann: «Das war ein riesiger Fehler»
Bruno Bötschi
16.4.2018
Er ist der berühmteste Strafverteidiger der Schweiz: Valentin Landmann (67) erzählt über seine Ticks, spricht über den grössten Fehler seines Lebens und sagt, wann er zum letzten Mal geweint hat im Gerichtssaal.
Wenige Minuten nachdem die Interview-Anfrage per Mail verschickt ist, ruft Valentin Landmann bereits zurück. «Und natürlich können Sie das Interview gegenlesen», sagt der Journalist am Ende des Gespräches. Antwort Landmann: «Das mache ich nie.»
Wir treffen uns in seiner Kanzlei – Landmann nennt sie Praxis – im Kreis 6 in Zürich: roter Teppich, weisse Möbel, auf dem Besprechungstisch ein Totenkopf.
Der Anwalt trägt ein blaues Hemd und Jeans. Er sieht exakt so aus, wie auf den Bildern: Glatze und stechender Blick. Landmann wirkt an diesem Morgen konzentriert, fast fröhlich. Man spürt: Er mag Auftritte.
Bluewin: Herr Landmann, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in der nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach «weiter».
Valentin Landmann: Oder ich sage «passen».
St. Gallen oder Zürich?
Ich bin in St. Gallen aufgewachsen und nach wie vor Fan dieser Stadt. Ich liebe sie und ich liebe Bratwürste. Ich mag das Kleinstädtische, ich mag das Ländliche, ich bin auch gerne im Appenzellischen unterwegs. Heute aber lebe ich in Zürich und tue das gerne.
Bratwürste mit oder ohne Senf?
Selbstverständlich ohne. Der Senf gehört zur Cervelat.
Polizei oder Schmier?
Schmier ist ein Wort aus dem Rotwelschen und stammt vom hebräischen Wort «Schmira» ab, was so viel wie «Bewachung» bedeutet. Schmier ist also ein Slangausdruck und muss nicht unbedingt despektierlich gemeint sein. Ich kenne Polizeibeamten, die sagen, dass Sie bei der Schmier arbeiten.
Ihre härteste Lebensschule?
Eine ganz harte Lebensschule war, als ich vor 26 Jahren selber angeklagt wurde. Das war extrem. Ich hatte einen riesigen Fehler gemacht. Ich war blauäugig bis zum Geht nicht mehr, obwohl ich grüne Augen habe. Das ist mir dann um die Ohren geflogen. Heute muss ich sagen, zu Recht. Es war massiv, aber ich habe daraus gelernt.
Wirklich wahr, dass Sie als Teenager dicklich und schwächlich waren?
Stimmt – und in der Verbindung habe ich den Übernamen Qualle. Allerdings enthält dieser Name auch, dass der Träger hin und wieder scharf beissen oder auch giftig reden kann. Aber es stimmt, meine Form als Jugendlicher war etwas rundlich und die Konsistenz auch.
Die Schweizer Armee nahm Sie nicht auf. Zu schwach, lautete die Begründung.
Ich konnte die Stange nicht hinaufklettern. Das hat mich furchtbar genervt.
Wie verdauten Sie diese Niederlage?
Es war keine Niederlage. Ich habe es zur Kenntnis genommen und bin in den Zivilschutz gegangen. Dort rückte ich Stufe für Stufe nach oben. Aber ich empfand die Organisation als sehr ineffizient. Es hat mir auf eine Art sogar wehgetan.
Wie wurden Sie stark? Was war Ihre Inspiration?
Mein Beruf hat mich stark gemacht – all die bearbeiteten Fälle, die Schwächen der Menschen, die Abgründe, die ich gesehen habe. Ich bemühe mich immer um ein sinnvolles Resultat für meine Klienten. Das heisst, ich will mich nicht in abstrakte Pfauenkämpfe verstricken oder nur da sitzen wie ein Kartoffelsack. Stärker gemacht hat mich auch das Schreiben meiner Bücher. Es erscheint demnächst ein neues – mit dem Titel «Das Gesicht der Wirtschaftskriminalität».
Der erste Werbespruch in eigener Sache. Es wird nicht der letzte bleiben. Valentin Landmann ist ein Mann mit Sendungsbewusstsein.
Den besten Ratschlag, den Sie je bekommen haben?
Finger weg – und ich habe ihn nicht eingehalten.
2012 sagten Sie in einem Porträt im Wirtschaftsmagazin «Bilanz», Sie seien als Student ein «Kotzbrocken» gewesen. Wie würden Sie sich heute in einem Wort beschreiben?
Als Student war ich streberisch und unterwürfig. Ich ging mit Krawatte und Anzug in die Vorlesungen. Ich stellte Autoritäten nicht in Frage. Damals war es für mich undenkbar, dass ein Schweizer Gericht ein Fehlurteil fällen könnte. Heute hätte ich wohl mit dem Landmann von damals in Diskussionen ziemlich oft Krach. Ich glaube zwar auch heute noch, dass man nicht alles aus Prinzip in Frage stellen sollte, aber ich bin offener geworden.
Nochmals: Wie würden Sie sich heute in einem Wort beschreiben?
Ich habe immer noch Eigenschaften eines Kotzbrockens. Ich bin furchtbar ungeduldig. Ich bin verfressen. Es ist nicht immer einfach mit mir.
Sie standen während der Studienzeit, alles laut Ihrer eigenen Aussage, «stramm rechts ». Wo stehen Sie heute?
Die Antwort auf diese Frage fällt aus – weil die Frage nicht gestellt wurde. Der Grund: Zeitmangel. Es geht nicht anders. Wir springen, weil sich Valentin Landmann nicht an die Vorgabe «schnell und spontan antworten» halten will. Die Uhr tickt. Warum hat man nie Zeit für 999 Fragen?
Warum bewundern Sie Christoph Blocher?
Er ist jemand, der viel für die Schweiz durchgesetzt hat. Dazu gehört der gesunde Abstand zur EU, wegen dem wir aktuell immer mehr angegriffen werden. Ich sitze hin und wieder mit Christoph Blocher zusammen. Wir haben einen regen Gedankenaustausch. Einen solchen Austausch habe ich aber auch mit dem Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch, auch mit ihm bin ich befreundet. Das schliesst sich gegenseitig nicht aus.
Ihre Meinung über Blochers Tochter Magdalena Martullo-Blocher?
Eine intelligente Frau. Eine Dame, die Power hat. Sie ist – ich hoffe, das wird, weil sie eine Frau ist, nicht negativ aufgefasst – eine Lokomotive. Sie zieht, sie ist in der Lage, zu entscheiden. Ich diskutiere gerne mit ihr. Weder Christoph Blocher noch Magdalena Martullo-Blocher sind irgendwie verschlossen. Natürlich, wenn sie in der Öffentlichkeit etwas durchziehen müssen, können sie nicht alle Argumente einbeziehen. Aber in der Diskussion, auch in der privaten, sind es offene, vife und wache Politiker.
Was können Frauen besser als Männer?
Wir haben die Gleichberechtigung und deshalb finde ich, wir sollten nicht von «besser» und «schlechter» reden. Eine Frau kann genauso gut als Politikerin, Anwältin oder Staatsanwältin arbeiten. Es kommt darauf an, wie bei einem Mann auch, welche Eigenschaften sie persönlich mitbringt. Ich hatte noch nie Probleme mit Frauen im Beruf. Ich habe auch schon in meiner Kanzlei Frauen als Anwältinnen beschäftigt und habe eigentlich keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber was kann eine Frau besser? Es gibt biologische Sachen, die der Mann mit Sicherheit nicht kann. Aber das ist banal (lacht).
Welche Parteien haben sich bei Ihnen gemeldet, nachdem Sie vor einigen Wochen in den Medien verlauten liessen, Sie würden gerne in die Politik einsteigen?
Ich sagte, dass ich die Bereitschaft habe, wenn mich jemand fragen würde. Es kam dann ein SVP-Kreispartei-Präsident aus Zürich auf mich zu und sagte, er würde mich gerne portieren für die Kantonsratswahlen und mich möglicherweise noch für Weiteres empfehlen.
Was antworteten Sie?
Ja, ich stehe bereit. Ich sagte aber auch, ich sei kein gehorsamer Parteisoldat. Natürlich, ich würde Fraktionsentscheide mittragen. Wenn man etwas beschlossen hat, ist es eine Anstandsfrage, dies mitzutragen. Aber sonst darf man die Schnorre aufreissen, auch parteiintern. Ich bin der Landmann, ich stehe allen auf den Zehen herum. Aber wie gesagt, ich dränge mich nicht auf.
Landmann war als Student schon einmal Mitglied der SVP – aber auch bei der FDP, in den 1980er Jahren. Ein fulminantes Comeback? Man darf gespannt sein.
Warum braucht Zürich oder die Schweiz den Politiker Landmann?
Ach, es geht auch ohne mich. Wenn ich morgen vom Tram überfahren werde, wird hoffentlich die Schweiz weiterbestehen (lacht). Wenn ich aber einen Beitrag leisten kann an eine sinnvolle, ausgewogene Selbständigkeit der Schweiz, einen Beitrag an eine sinnvolle Finanzpolitik, an eine sinnvolle Sicherheitspolitik, an eine sinnvolle Justizpolitik, dann bringe ich diesen Beitrag gerne ein.
Tim Guldimann, ein anderer politischer Quereinsteiger, ist kürzlich nach nur zweieinhalb Jahren im Nationalrat zurückzutreten. Hätten Sie mehr Sitzleder?
Das wird sich weisen. Wenn mich Klienten fragen, wie ihr Verfahren ausgehen wird, dann antworte ich immer: «Ich bin kein Kaffeesatzleser.» Ich kann Risiken abwägen, Bandbreiten abschätzen, Prognosen kann ich aber keine abgeben. Aber so viel kann ich verraten: Es ist nicht geplant, dass ich in die Politik einsteige, um kurz danach alles hin zu schmeissen.
Sie sind 67. Andere Menschen haben da längst den Ruhestand angetreten.
Ich habe wahnsinnig Freude an meiner Arbeit. Ich arbeite heute vielleicht noch 100 statt 150 Prozent. Das reicht. Und ich bin kein Eremit. Ich habe acht Anwälte in meinem Büro. Bin ich besetzt, ist die Stellvertretung gewährleistet. Und sie wäre auch gewährleistet, wenn ich durch die Arbeit als Politiker absorbiert würde.
Wo zeigt sich Ihre Eitelkeit?
Wenn ich meine Haare zurückstreiche, obwohl ich eine Glatze habe. Und ich empfinde die Öffentlichkeit als Challenge. Ich bin für eine offene Kommunikation, ich diskutiere gerne, wie jetzt gerade mit Ihnen. Das macht mir Spass, sonst würde ich es nicht tun.
Welches Talent besässen Sie gerne?
Ich wäre gerne eine Sportskanone, damit ich endlich die Stange hinaufklettern könnte. Aber das wird mir in meinem Leben nicht mehr vergönnt sein.
Wie hat Ihnen der Titel «Valentin Landmann - Ein Anwalt auf politischer Mission» gefallen, welche die «NZZ» kürzlich über ein Porträt von Ihnen gestellt hat?
Ein sehr einfühlsames Porträt. Flurin Clalüna, der die Geschichte geschrieben hat, hat sich intensiv mit mir befasst. Ich finde, er hat mich sehr gut durchschaut. Ich habe nichts dagegen, wenn man mich durchschaut.
Es gibt seit Jahren einen Kult um Sie als Anwalt des Motorradklubs Hells Angels oder als Fürsprecher des Milieus: Sie werden als «Anwalt der Entrechteten» oder auch als «Kantengänger» tituliert, Ihre Auftritte mal als «schillernd», mal als «schrill» qualifiziert. – Wie würden Sie sich selber beschreiben?
Bis zu einem gewissen Grad trifft alles zu. Es heisst oft, ich würde viele Leute aus Randgruppen vertreten. Ja, Randgruppen wie Politiker, Manager, Polizeibeamten, Hell Angels, Junkies. Unsere Kanzlei hat ein sehr breites Spektrum. Ich stehe dazu. Ich verteidige auch Leute, die etwas Entsetzliches getan haben. Aber ich habe noch nie im Leben eine Tat verteidigt. Mein erster grosser Mordfall als Anwalt schien ein völlig aussichtsloser Fall zu sein. Damals lernte ich, man muss dem Klienten genau zuhören. Mein Klient sagte mir immer wieder: «Ich bin es nicht gewesen.» Der Mann war Eisenleger. Er hatte keine Agenda, mit der er alle seine Termine belegen konnte. Ein ganz schwieriger Fall. Aber schlussendlich wurde der Mann vom Gericht freigesprochen. Ich bin heute noch froh, dass ich diesen Fall übernommen habe. Seither weiss ich, dass meine Arbeit notwendig ist.
Valentin Landmann als Callboy für Frauen – keine berufliche Alternative für Sie?
Ich glaube, der Markt wäre sehr beschränkt. Ich könnte auf Anhieb keine Damen nennen, die bereit wären, für eine Nacht mit mir einen grossen Betrag hinzulegen.
Kennen Sie den öffentlichen Verkehr hautnah?
Nein, aber ich kenne Leute aus dem Rotlichtbereich, genauso wie ich Menschen aus der Bankenwelt kenne. Und das finde ich interessant.
Rauben Ihnen Gerichtsurteile den Schlaf?
Ja, es gibt Fälle, die mir den Schlaf rauben. Das ist vielleicht eine negative Charaktereigenschaft von mir. Aber ich hoffe sehr, dass sich dies nicht so auswirkt, dass ich am Gericht nicht mehr sachlich reden kann. Und ich glaube, das ist mir bisher auch soweit gelungen. Ich gelte als jemand, der gemessen auftritt und nicht herumschreit, der mit Argumenten versucht etwas zu lösen. Das soll auch so bleiben – auch in der Politik.
Der Prozess, der Sie in den letzten zehn Jahren emotional am meisten berührt hat?
Der Hells-Angels-Prozess, er dauerte zehn Jahre. Die Mängel in der Bundesanwaltschaft, die da offenbar wurden, kritisierte ich immer wieder öffentlich. Ich sage nicht, dass ein Hells Angel, der etwas gemacht hat, nicht drankommen soll. Nein, er soll drankommen wie jeder andere Mensch auch. Aber ich habe etwas gegen pauschal Verurteilungen von gewissen Gruppen. Dieser Fall hat mich emotional stark beschäftigt.
Was halten Sie von der Qualität der Zürcher Rechtsprechung?
Ich würde sagen, wir haben grundsätzlich eine sehr gute Rechtssprechung. Natürlich tauchen immer wieder Mängel auf, die man diskutieren muss. Aktuell haben wir zum Beispiel eine starke Psychiatrisierung bei den Gewaltdelikten. Das heisst, es entscheidet irgendwann nicht mehr der Richter, sondern nur noch der Psychiater. Ich bin aber der Meinung, es sollte immer der Richter das letzte Wort haben.
Ihr liebster Anwalt?
Es gibt verschiedene Anwälte, die ich sehr schätze. Mein ehemaliger Chef, Jean-Claude Wenger, war ein Zivilanwalt von bestem Kaliber. Ich lerne auch immer wieder Strafverteidiger kennen, bei denen ich sagen muss: Wow, da kann ich noch was lernen. Es wäre deshalb falsch, irgendjemand namentlich zu nennen.
Der schlimmste Staatsanwalt?
Normalerweise hat unsere Praxis ein gutes Verhältnis zu den Staatsanwälten. Staatsanwälte wissen, dass wir nicht hinterrücks handeln. Es ist aber auch wichtig, dass Staatsanwälte nicht hinterrücks handeln. Ich kann sagen, ich kenne in der Region Zürich keinen schlimmen Staatsanwalt. Wenn ein Staatsanwalt hart ist, macht mir das überhaupt nichts aus. Der pensionierte Ueli Weder war ein hervorragender Staatsanwalt für Gewaltdelikte. Ihn achtete ich sehr, genauso wie Alt Staatsanwalt Marcel Bertschi. Er war hochscharf. Er veranstaltet vor Gericht richtige Feuerwerke. Wichtig ist einfach, dass man – trotz Auseinandersetzungen – korrekt bleibt und ein Verhältnis bewahrt, bei dem man noch reden kann miteinander.
Im NZZ-Porträt ist ein psychologisches Gutachten erwähnt, darin steht über Sie der Satz: «Er ist in die Laster verliebt, die er selber nicht hat.» – Wahr oder nicht?
Eine herrliche Formulierung. Wenn ein Fachmann das sagt, muss es ja wohl stimmen.
Ihr grösstes Laster?
Ich habe einen Haufen Laster. Ich esse zum Beispiel gerne Schokolade und andere Desserts, die mir nicht gut tun. Ansonsten bin ich ein ganz normaler Mensch. Ich bin kein Superman, kein Übermensch. Natürlich habe ich auch an einer schönen Frau Freude. Ich habe eine Beziehung, eine feste Beziehung, zu einer sehr schönen Frau. Und ich hoffe sehr, dass ich frühere Fehler nicht mehr mache und diese Beziehung halten wird.
Warum steht auf dem Konferenztisch für Ihre Klientengespräche ein Totenkopf?
Der bronzene Totenkopf von Jean-Pierre Di Lenardo ist ein fantastisches Stück Kunst. Ich trage auch immer einen Totenkopf an meinem Gürtel. Die Totenköpfe und meine Uhren-Krawatten, die ich ebenfalls seit Jahren trage, symbolisieren für mich die Lebenszeit. Es ist die Lebenszeit, für die ich mich als Strafverteidiger einsetze. Diese sollte man als Anwalt immer im Auge behalten. Deshalb halte ich hin und wieder auch während einer Gerichtsverhandlung den Totenkopf an meinem Gürtel fest, um mich daran zu erinnern, für was ich kämpfe. Aber keine Angst, ich würde nie Unterhosen mit Totenköpfen tragen.
Hat Sie je eine Klientin oder ein Klient aufgefordert, den Totenkopf bitte wegzustellen, während Sie mit ihr oder ihm eine Besprechung abhielten?
Nein, das war noch nie ein Problem. Es ist ja auch kein echter Totenkopf, er ist aus Bronze gegossen.
Wie viel Uhren-Krawatten besitzen Sie?
Die erste bekam ich von René Beyer von Chronometrie Beyer in Zürich geschenkt. Wir sind seit Jahren befreundet. Später schenkte er mir noch einige Exemplare mehr. Das Modell ist längst ausverkauft, aber für mich hat Beyer immer noch zwei, drei an Lager, falls ich einmal Ersatz brauche.
Haben Sie Ticks?
Jede Menge. Ich bestehe aus Ticks. Das macht mich doch aus. Die Sache mit der Lebenszeit ist sicher auch ein Tick. Dieser Tick geht übrigens zurück auf eine Beerdigung eines Hells Angels. Ich war damals sehr traurig, als mir ein anderer Hells Angels am Grab die Hand auf die Schulter legte und sagte: «Der Tod gehört zum Leben, man muss ihn nicht fürchten. Man muss nur fürchten, im Zeitpunkt vom Tod nicht gelebt zu haben.»
Wann haben Sie zum letzten Mal das Gesetz übertreten?
Das könnte gestern gewesen sein, als ich die Parkzeit überzogen haben.
Danke, das war lustig. Nun müssen wir Sie, Herr Landmann, aber leider nochmals durchfoltern. Wie war das damals, als Sie im Käfig sassen?
Sie haben Erfahrung mit schwedischen Gardinen: 1992 kamen Sie in Untersuchungshaft. Ihnen wurde vorgeworfen, für einen Klienten Gewinne aus dem Drogenhandel gewaschen zu haben.
Das war ein einschneidendes Erlebnis, dass nie hätte passiern dürfen. Passiert ist es wegen meiner damaligen Auffassung, dass man den Leuten Türen öffnen müsse. Heute weiss ich, als Anwalt ist das nicht meine Aufgabe. Mein Aufgabe ist es, Leute zu verteidigen, die mit dem Feuer gespielt habe und sich dabei verbrannt haben. Aber es ist nicht meine Aufgabe, die Hand ins Feuer zu halten. Als mir das passiert ist, spulte mein ganzes Leben vor mir ab. Ich fürchtete, es könnte mein Todesstoss als Anwalt sein. Das war es zum Glück nicht. Das Gericht stellte fest, dass ich nichts von den Drogen gewusst hatte, aber dass ich bei entsprechend offenen Augen klar hätte erkennen müssen, dass etwas nicht gestimmt hat. Das Gericht stellte zudem fest, dass ich keinen Rappen illegal verdient habe. Seither halte ich mich an die Redewendung, die dem russischen Politiker Lenin zugeschrieben wird: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.»
Sie gelten bisweilen als lauter Anwalt. Sie selber haben sich 1992 aber von vom ruhigen Anwalt, Lorenz Erni aus Zürich, verteidigen lassen. Warum?
Lorenz Erni achte ich sehr. Er ist ein hervorragender Anwalt. Ich habe mit ihm, wenn auch ganz locker und sporadisch, bis heute Kontakt. Ich schätze ihn sehr, ich kann und konnte viel von ihm lernen. Seine Präzision ist unübertrefflich. Wer bei einem Wirtschaftskriminalfall dem Herrn Erni zuhören kann, erlebt ein Pläydoyer, dass ein Kunstwerk ist. Ich eifere ihm nach, versuche es wenigstens. Der Herr Erni hat aber ein Prinzip:Während eines Verfahrens sagt er keinen Ton in der Öffentlichkeit. Das weiss die Presse und deshalb wird er auch nicht gefragt. Bei mir ist es anders, ich mache es anders. Ich habe das auch schon diskutiert mit Lorenz Erni. Er macht es strikt nicht. Da kann man verschiedener Auffassung sein. Es gibt kein Richtig und kein Falsch.
Streiten Sie gerne vor Gericht?
Ich bin wahnsinnig gerne vor Gericht, heute Nachmittag grad wieder. Allerdings in einem Verfahren, in dem sich der Staatsanwalt und ich uns einig sind.
Und im Privaten?
Um Himmels Willen, nein! Ich bin jemand, der Streit im Privaten scheut, wahrscheinlich zu sehr scheut. Ich verkrieche mich lieber. Das ist ein Fehler. Man muss Sachen auch privat ausdiskutieren.
Sie haben schon einen Mann verteidigt, der seinen Sohn vergewaltigt und an andere Pädophile verkauft hat. Ist Ihnen egal, wie schwerwiegend die Tat eines Klienten ist?
Man verteidigt als Anwalt nie eine Tat und jeder Mensch hat Anspruch auf eine Verteidigung. Der betreffende Mann hatte mir damals aus dem Gefängnis geschrieben: «Ich war das Monster. So etwas darf nicht mehr passieren. Ich will alles offenlegen. Ich habe eine ganz massive Strafe verdient.» Später besuchte ich den Mann im Gefängnis und realisierte, er will wirklich alles offenlegen. Deshalb habe ich das Mandat übernommen. Und der Mann hat wirklich alles offengelegt. Dadurch konnte das ganze Netzwerk verhaftet werden.
Kann man wirklich alles vergeben und entschuldigen?
Nein, man kann nicht alles verzeihen. Natürlich kann ein Mensch nach einer schrecklichen Straftat ein Einsehen haben und um Verzeihung bitten; das ist sogar sehr wichtig, vor allem für die Opfer. Aber es gibt Taten, die sind so schwer, die kann man niemals vergeben. Wenn Sie mir ein Glas Wasser über die Hosen leeren würden, könnte ich Ihre Entschuldigung annehmen. Aber wenn Sie mir die Hand abhacken würden, könnte ich das nicht tun.
Wie oft haben Sie schon im Gerichtssaal geweint?
Ich weinte, als der Klient in meinem ersten Mordprozess freigesprochen wurde. Es rührt mich vieles im Gerichtssaal, aber ich bin mit den Jahren beherrschter geworden. Und wenn ich doch einmal die Tränen zuvorderst haben, weil die Erzählung eines Opfers derart schrecklich ist, dann sage ich: «Ich habe Heuschnupfen, ich muss schnell auf die Toilette.»
Hat Sie je eine Klientin oder ein Klient körperlich angegriffen?
Diese Frage fällt aus wegen Zeitmangel.
Wie viel Mal wurden aus einem Klient später ein Freund?
Fällt aus.
Gab es Klienten oder Klientinnen, die Ihnen als Honorar Naturalien anboten?
Fällt aus.
Sind Sie ein begabter Witzeerzähler?
Ich weiss es nicht. Das müssen die beurteilen, die lachen oder nicht lachen.
Ihre Mutter Salcia Landmann brachte, als Sie zehn Jahre alt waren, das Büchlein «Jüdische Witze» heraus.
Meine Mutter hat den Witz als die Waffe der Wehrlosen beschrieben. Ich selber neige zu zynischem, schwarzen Humor. Aber damit muss man vorsichtig sein bei Straffällen. Einmal hat mich ein Mandat kurz vor Weihnachten gefragt: «Du, aber gell, an Weihnachten komme ich doch raus?» Ich antwortete ihm: «Zweifellos, ich kann dir nur nicht sagen, an welcher Weihnachten.» Mein Mandant musste auch lachen. Er war dann übrigens auch vor der nächsten Weihnacht draussen. Solche Witze darf man aber nur machen, wenn eine Sache überblickbar ist. Ich hatte mal eine Mandantin, die wegen eines bescheidenen Verkehrsdelikts zu mir kam. Bevor ich Kaffee holen ging, machte ich einen dummen Witz. Ich sagte: «Hören Sie, wenn es schief geht, komme ich Sie jedes Jahr besuchen». Als ich mit dem Kafi zurückkam, realisierte ich, dass die Frau mit weitaufgerissenen, erschreckten Augen da sass und sich fast nicht mehr fassen konnte.
Ihre Mutter erreicht mit ihrem Witzbuch nahezu eine Millionauflage. Wieviel Auflage haben Sie mit Ihren Büchern geschafft?
Sicher nicht so viel, aber ich befasse mich auch mit anderen Themen. Ich freue mich aber darüber, dass das Buch meiner Mutter bis heute gekauft wird. Ich bekomme regelmässig vom Verlag Meldung, dass wieder eine neue Auflage gedruckt worden sei.
Eine Mitarbeiterin von Landmann schaut zur Tür herein und zeigt ihm mit einem Handzeichen an, dass der nächste Termin wartet.
Noch eine letzte Frage: 1994 sagten Sie in einem Porträt im «Das Magazin»: «Ich werde schaffen, bis ich krepiere.»
Diese Wahrscheinlichkeit besteht. Ich werde aber nur so lange arbeiten, wie ich etwas Sinnvolles schaffen und machen kann. Ich will nicht zu einer lächerlichen Figur werden, die im hohen Alter vor dem Gericht herumtattert. So lange ich die Kraft habe, werde ich weiter arbeiten. Und jetzt muss ich den nächsten Mandat treffen.
Der Journalist schaut auf die Uhr seines Aufnahmegerätes: 58 Minuten und 14 Sekunden. Händeschütteln. Abschied.
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